Crialese Emanuele: Respiro

Mitten im Winter wärmt uns eine Fabel aus dem sonnigen Süden: „Respiro“ von Emanuele Crialese.

Italienisches Kino pur!

Die kleine Insel Lampedusa liegt südlich von Sizilien. Auf den ersten Blick verzaubert dieser paradiesisch anmutende Ort mit seinen kargen Felsen die ins azurblaue, klare Meer hinausragen, mit seinem netten Fischerdorf, das zum Farniente einlädt.

Oben auf den Klippen spielen Jungs in den Überresten einer alten Festung. Sie fangen Vögel, sperren sie in eigenartige Käfige ein, die sie in den Boden versenken. Es sind absonderliche Spielchen, die dort ebenso zum Alltag gehören, wie die Rangeleien unter den Jugendbanden. Etwas weiter im Keller der Festung bellen Hunde, die, ehemals frei streunend, nun eingesperrt sind, und nach ihrer einstigen Freiheit kläffen.

Erste Misstöne werden hörbar und kündigen an, dass die scheinbare Leichtigkeit des Lebens von Macht und Gewalt geprägt ist.

Grazia kennt diese Gegensätze schon lange. Ihr Mann ist Fischer, sie hat drei Kinder und hilft wie alle Frauen in der Fischfabrik aus. Es ist unklar ob sie die Insel schon jemals verlassen hat, ob sie irgendwann hier glücklich war. Sehnsüchtig singt Grazia alte italienische Schlager, träumt im Garten vor sich her, spielt mit den Kindern als wär sie selbst noch nicht erwachsen. Wie ein bunter Fisch, der aus Versehen in diese Einöde gespült wurde, ringt sie nach Atem, nach dem vollen, prallen Leben. Das Meer zieht Grazia magisch an, dort fühlt sie sich in ihrem Element, leicht, befreit vom unsichtbaren Netz der archaischen Gesellschaft, die sie zu ersticken droht. Selbst Grazias kleinste Abweichungen von den Dorfregeln, schockieren und stempeln die junge Frau schnell zur Außenseiterin und Verrückten, die in eine Klinik abgeschoben werden soll. Als Grazia dann verschwindet, wird klar wie wichtig ihre Rolle im Dorf ist. Ohne den „bunten Fisch“ mit seiner naiven Unbeschwertheit wird das Leben öde und schwer. Grazias Abwesenheit bringt alle zum Nachdenken.

Crialeses Geschichte ist ein Fabel mit viel Symbolik aber auch realistischen Zügen. Sie dreht sich vor allem um das Gewaltvolle, das sich im Schönen versteckt, erzählt von Freiheit und Toleranz.

Urlaubsidee

Die Fotografie von Fabio Zamarion ist hervorragend: verwaschene, sonnengebleichte Farben an Land, herrliche Unterwasserbilder, die graziöse Bewegungen einfangen.

Der Regisseur hat schon mit seinem ersten Film „Once we were strangers“ positive Kritiken geerntet. Ihn drehte er 1999 in New York, seinen zweiten Film wollte er aber in seiner Heimat verlegen. Während eines Urlaubs auf Lampedusa ist die Idee zu „Respiro“ entstanden. Crialese lernte die Bewohner der Insel, und besonders die Kinder, genauer kennen und begann eine Art Märchen über sie zu schreiben, bis dann am Ende ein ganzes Drehbuch daraus entstand.

Er beobachtete die Kinder in ihrem Alltag, wie sie sich mit Gewalt auseinandersetzen. Den größten Teil der Schauspieler fand der Regisseur unter den Bewohnern Lampedusas – allen voran die außergewöhnlich gute Darstellung der Kinder.

Für die Rolle von Grazia engagierte er die professionnelle Schauspielerin Valeria Golino, aus Neapel. Ihren Mann spielt Crialeses Nachbar aus New York, der eigentlich Bildhauer von Beruf ist und schon im ersten Film mit dabei war.

Mit Respiro bekam Crialese in Cannes den „Grand Prix de la Semaine de la Critique 2002“ sowie den Publikumspreis.

Sylvie Bonne

Im Utopia

Auch mit drei Kindern kann das Leben öde sein. Valeria Golino in „Respiro“.


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