ERWEITERUNG: Wo liegt Lettland?

Seit über einem Jahr kündigt die Regierung eine Sensibilisierungskampagne zur europäischen Erweiterung an. Derweil gehen deren Etappen eine nach der anderen vorbei.

In Estland fand am Sonntag ein Referendum statt. Hand aufs Herz: Wissen Sie, wo genau Estland liegt? Kennen Sie die Hauptstadt von Litauen? Die Nachbarländer der Slowakei? Oder den Präsidenten von Ungarn? Falls ja, gehören Sie wohl eher zu den Ausnahmen in Luxemburg. Auch wenn sich bei der letzten Eurobarometer-Umfrage im Frühjahr dieses Jahres 48 Prozent der Luxemburger Bevölkerung gut informiert fühlten – das ist doppelt so viel wie der europäische Durchschnitt -, so sagt das noch nichts über ihre tatsächlichen Kenntnisse aus. Außenministerin Lydie Polfer genügt diese Selbsteinschätzung jedoch: In der Antwort von Juni 2002 auf eine parlamentarische Anfrage des sozialistischen Abgeordneten Ben Fayot machte sie kühn aus der subjektiven Aussage eine objektive Tatsache. Wer aber im Eurobarometer weiterblättert, stellt fest, dass es bei den wenigen Fragen, in denen es um konkrete Kenntnisse zur europäischen Konvention geht, eher mager aussieht. Auf die Frage zum Beispiel, ob die Regierungen der zukünftigen Mitgliedsländer beim Konvent vertreten waren, antworteten 17 Prozent mit Ja, ebenso viele mit Nein und 66 Prozent wussten nicht zu antworten.

Dass die gleichen Befragten sich skeptischer als der EU-Durchschnitt gegenüber einer breiten Öffnung der Union gaben, ist da wohl nicht nur der Ausdruck eines gesunden Misstrauens gegenüber der Kompetenz von Kommission und Ministerrat bei der Vorbereitung der Erweiterung oder einer kritischen Einstellung zur Erweiterung an sich. Ein Teil der Bedenken sind sicher auch der mangelnden Information über den Erweiterungsprozess selbst wie auch über die Beitrittsländer zuzuschreiben.

Was tut die Luxemburger Regierung, um diese Kenntnislücken aufzufüllen? Diese Frage stellt Ben Fayot schon seit einiger Zeit in schöner Regelmäßigkeit der Außenministerin. Und diese antwortet, wie bei der genannten parlamentarischen Anfrage, stets, die Regierung sei dabei, „de préparer activement sa campagne publique d’information sur l’élargissement“. Und: „Il est prévu que la campagne d’information se poursuivra tout au long de l’année 2003, moment crucial des ratifications des actes d’adhésion.“ Im Oktober vergangenen Jahres wurde Frau Polfer konkreter: Herzstück der Kampagne sei ein Reportagenzyklus über die Beitrittsländer, wofür die Luxemburger Presse eingeladen ist, ihren Beitrag zu leisten, jeweils nach einem von Regierung und Kommission finanzierten Aufenthalt vor Ort.

So weit, so gut. Aber ob das genügt, um die Luxemburger Bevölkerung fit zu machen für die Erweiterung? Ob das ausreicht, um das erklärte Ziel der Europäischen Kommission – vermitteln, dass die Erweiterung nur Gewinner schafft – zu erreichen? Vielleicht hätte die Regierung dazu mal über den Tellerrand schauen und sich bei anderen Mitgliedstaaten informieren sollen. Nennen wir nur das Beispiel Frankreich, dessen Regierung über eine spezifische Internetseite zu Europa verfügt. Zur Erweiterung gibt es nicht nur einen gut gemachten Überblick, sondern auch pro Beitrittsland präzise Informationen. Broschüren werden ebenfalls verteilt, sogar die Tour de France wurde zur Sensibilisierungskampagne für die Erweiterung umfunktioniert.

Am ersten Mai 2004 wird die erste Etappe der Erweiterung mit der Aufnahme von zehn neuen Mitgliedstaaten abgeschlossen. Der Luxemburger Regierung bleiben also gerade mal sieben Monate, um den Informationsstand ihrer Bevölkerung aufzupolieren. Am Sonntag findet übrigens schon das vorläufig letzte Referendum zur Erweiterung statt, diesmal in Lettland. Lettland, ja wo liegt denn das schon wieder Ù?


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