KEN LOACH: Ironie als Schmerzmittel

Ken Loachs „Ae Fond Kiss“ zeigt, wie schwer es für zwei Liebende ist, sich gegen die überkommenen Traditionen durchzusetzen. Und wie leicht es sein kann, statt eines Melodrams eine Tragikomödie zu drehen.

Pakistanischer Romeo trifft irische Julia in Schottland; Atta Yaqub und Eva Birthistle in „Ae Fond Kiss“.

Die Familie als ein Ort proletarischer Identität ist eines der Themen, mit denen sich der britische Regisseur Ken Loach in seinen Filmen oft auseinandergesetzt hat. Sie ist das letzte Rückzugsgebiet seiner Helden, oft aber auch das Schlachtfeld, auf denen Konflikte ausgetragen werden – und nicht zuletzt ist sie das Spiegelbild einer zerrissenen Gesellschaft. Meistens ist nicht mehr viel von den Familien in Loachs Werken übrig geblieben, so zum Beispiel in „Ladybird, Ladybird“ (1993), der Geschichte einer allein erziehenden Mutter, oder in „Sweet Sixteen“ (2002), in dem ein junger Schotte seinem 16. Geburtstag entgegenfiebert, an dem auch seine Mutter aus dem Gefängnis entlassen werden soll.

Manchmal kann die Familie jedoch auch eine Falle sein,
so in Loachs neuestem Streifen „Ae Fond Kiss“ (2003).
Der handelt von Casim (Atta Yaqub), einem erfolgreichen DJ in Glasgow. Der Sohn pakistanischer Einwanderer träumt davon, eines Tages seinen eigenen Club zu eröffnen. Er lernt Roisin (Eva Birthistle) kennen, die Musiklehrerin seiner jüngeren Schwester Tahara, und verliebt sich in sie. Doch seine Eltern, streng gläubige Muslime, planen Casims Heirat mit seiner Cousine, die er noch nie gesehen hat. Der Ehe mit einer Europäerin würden sie niemals ihr Einverständnis geben.

Derweil stellt auch Roisins Umgebung der Liebe des jungen Paares Hindernisse in den Weg. Denn die Irin ist Katholikin, und für die Festanstellung an ihrer Schule braucht sie, die bereits einmal verheiratet war, eine lupenreine katholische Weste. Da sind sie wieder, die gesellschaftlichen Zwänge, denen Loachs Protagonisten stets ausgesetzt sind. Und wie so oft zieht sich dabei die Schlinge immer enger um die Helden und Anti-Helden aus der Welt des wohl berühmtesten britischen Regisseurs sozialkritischer Filme. In „Raining Stones“ (1993) sind es die Kredithaie, denen der Arbeitslose Bob Williams ausgeliefert ist, in den beiden in Schottland spielenden Filmen „My Name Is Joe“ (1998) und „Sweet Sixteen“ sind die Bösewichte Drogendealer.

Während sonst in Loachs Filmen normalerweise die kleinen Leute aus der britischen Unterschicht um ihr Glück kämpfen, sind es diesmal eine pakistanische Einwandererfamilie und eine junge Irin – sozusagen Underdogs a priori. Casims Eltern haben hart gearbeitet, um ihre drei Kinder glücklich zu machen. Doch während die älteste Tochter, die in Glasgow Psychologie studiert hat, in die Ehe mit dem für sie bestimmten Mann einwilligt, geraten Tahara und Casim mit der Tradition zwangsläufig in Konflikt: die Teenagerin, weil sie gegen den Wunsch des Vaters Journalismus in Edinburgh studieren möchte, und ihr Bruder, weil er die bereits beschlossene Ehe verweigert.

Bereits in früheren Loach-Filmen kamen Misch-Beziehungen zwischen Briten und Nicht-EuropäerInnen vor – zum Beispiel in „Ladybird,
Ladybird“ und in „Carla’s Song“ (1996) -, doch nie waren die Barrieren zwischen den beiden Partnern so hoch. „Ae Fond Kiss“ zeigt, dass nur ein Sprung über die Mauer die Rettung bringt, auch wenn der Sturz noch so schmerzhaft ist. Den Schmerz mildert der Film mit einem leicht dosierten Humor, auch ein typisches Merkmal in vielen Loach-Streifen. Ohne ihn sind diese schwerfälliges Thesenkino, die linke Theorien abarbeiten, wie „Carla’s Song“, oder bestenfalls düstere, schonungslose Sozialstudien à la „Sweet Sixteen“. Dass „Ae Fond Kiss“ letztendlich kein Melodram geworden ist, dafür sorgen kleine, aber prägnante Szenen voller Ironie: Damit nicht immer Hunde an das Werbeschild vor seinem Lebensmittelgeschäft pinkeln, setzt Casims Vater die Tafel unter Strom – mit wahrlich elektrisierender Wirkung auf die Hunde.


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