KINO: Alltagskuchen

Die Luxemburger Regisseurin Anne Schiltz dokumentierte mit ihrer Videokamera in Siebenbürgen den Alltag der Sachsen.

„Wir haben alles“: Rosi und Michael Müller leben fast vollkommen autark von ihren eigenen Erträgen.

„Ich habe das Messer lange drin gehalten, damit die Dame das Blut filmen kann“, sagt Michael Müller. Das Schwein windet sich noch ein wenig, die Männer gießen sich Schnaps ein. „Es gibt keinen besseren Metzger im Dorf als Michael Müller.“ Die rumänischen Nachbarn nicken anerkennend. Der 75-jährige Müller ist ein Siebenbürgensachse. Ihn und seine Tochter Rosi hat die Luxemburgerin Anne Schiltz mit ihrer Kamera für den Dokumentarfilm „Sweet Life and all that goes with it“ begleitet.

Vor 800 Jahren zogen die Sachsen aus Flandern, Wallonien, dem Rhein-Mosel-Gebiet und aus Luxemburg nach Osten. Auch heute noch sprechen sie ein Gemisch aus Deutsch und Luxemburgisch und unterscheiden sich durch ihre Lebensgewohnheiten von ihren rumänischen Landsleuten. Nach dem Fall der Mauer 1989 sind viele Siebenbürgensachsen wieder Richtung Deutschland ausgewandert, auf der Suche nach einem angenehmeren Leben. Michael und Rosi Müller sind geblieben. „Ich bin einsam geworden“, sagt Rosi Müller. Vor dem Zusammenbruch des Ostblocks lebten 550 Sachsen in der Ortschaft Alzen, heute sind es nur noch 73.

Anne Schiltz drehte „Sweet Life… “ im Sommer 2002 als Abschlussarbeit für einen MA (Master of Arts) in visueller Anthropologie am Granada Centre in Manchester. Der Kurs richtet sich an StudentInnen, die ihre Recherchen in sozialer Anthropologie mittels Film oder Video weiterführen möchten. Die Filmemacherin bleibt mit ihrer Kamera eine Beobachterin der Geschehens: Sie verzichtet auf einen klar ersichtlichen dramaturgischen Aufbau und Erzählhilfen wie Kommentare aus dem Off oder Musik. „Sweet Life…“ wirkt auf den ersten Blick in formaler Hinsicht fast wie ein Amateurvideo, wären da nicht die tiefen Einblicke in das alltägliche Leben der Einwohner, die der Film trotz seiner sehr fragmentarischen Form, gewährt.

Michael Müller erntet Zwiebeln: „Wir brauchen nichts, wir haben alles.“ Es wäre leicht dieses autarke Leben der westlichen Konsumgesellschaft entgegen zu setzen, Vergleiche anzustellen. Anne Schiltz überlässt ausschließlich den EinwohnerInnen das Wort und umschifft so jede Schwarz-Weiß-Malerei. „Nichts haben ist ein ruhiges Leben, aber ein schweres“, sagt
Michael Müller.

Er sitzt in seinem Hof und sieht sich eine Zeichnung an. Sie zeigt eine Alterspyramide. „Ich bin hier“, erklärt er und zeigt auf einen Mann um die 70. Einen Gehstock braucht er noch keinen, darauf ist er stolz. Hie und da huschen kleine Kinder durchs Bild, sie hüten die Viehherden. Aber beim Begräbnis einer Bewohnerin von Alzen versammeln sich nur ältere Menschen. Dazwischen scheinen mehrere Generationen einfach nicht zu existieren.

Tradition und Gewohnheit bestimmen den Alltag. Die Männer versammeln sich zum Gras schneiden auf dem Friedhof. Moni, eine der ältesten Frauen im Dorf, zeigt ihre Trachtenhauben, die sie auch heute noch zur Messe trägt. Besonders Rosi, die Tochter, schwankt während des halbstündigen Filmes immer wieder zwischen dem Stolz auf ihren Ursprung und der Sehnsucht nach dem „süßeren“ Leben in Deutschland oder anderswo. Auf dem Viehmarkt fragen sie die Frauen, warum sie sich nicht im Westen einen netten Mann sucht. Anne Schiltz lässt sich von ihr erklären wie man „Grammeln“ kocht. Daraus wird Rosi Müller später Kuchen zubereiten. „Keinen Sonntagskuchen“, erklärt sie, „Alltagskuchen“.

„Sweet Life and all that goes with it“ ist an diesem Samstag, den 30. Oktober im Rahmen der Reihe „Films made in Luxembourg“ auf RTL Télé Lëtzebuerg zu sehen.


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