KINO: Entrückt

In „Der Untergang“ standen die Täter des Nazi-Regimes im Mittelpunkt – mit „Sophie Scholl – Die letzten Tage“ widmet sich das deutsche Kino den WiderstandskämpferInnen.

Die Lage ist brenzlig: Sophie Scholl (Julia Jentsch) wird beim Verteilen von Flugblättern erwischt.

„Der Pianist“, „Taking Sides“, „Band Of Brothers“ – Filme über den Nationalsozialismus haben sich in den vergangenen Jahren zunehmend von den großen epischen Erzählungen abgewandt und sich auf Augenhöhe mit einzelnen ProtagonistInnen begeben.

Auch das deutsche Kino hat diese Art des „story-telling“ vor einiger Zeit wieder entdeckt. Vorläufiger Höhepunkt: Der „Untergang“, bei dem sich der mikroskopische Blick jedoch viel mehr pornographisch als analytisch motiviert durchs Schlüsselloch des Führerbunkers bohrte, um dort, ganz nah bei Hitler und seinen Getreuen, die letzten Tage des tausendjährigen Reiches zu durchleben. Das Szenario war so sehr auf Distanzlosigkeit und völlige Einschmiegung getrimmt, dass Georg Seesslen in der „Zeit“ zurecht notierte, der Film weigere sich ganz offensichtlich, den Untergang des Faschismus als eine Befreiung zu sehen.

Und jetzt Sophie Scholl. Als Mitglied der „Weißen Rose“ wurde sie, gemeinsam mit ihrem Bruder, beim Verteilen von Flugblättern an der Münchner Universität geschnappt. In Stalingrad hatte die Wehrmacht soeben gegen den Willen ihres Führers kapituliert und damit der unaufhaltbaren Niederlage der Nazi-Armee ein Symbol verschafft. Ein Exempel musste statuiert werden, um jenen Volksgenossen, die nicht mehr restlos vom „Endsieg“ überzeugt waren, die nationalsozialistischen Mores zu lehren.

Der Film ist den letzten sechs Tagen im Leben der Sophie Scholl gewidmet. Von der Verhaftung über die Verhöre bis zur Hinrichtung begleiten wir sie, sind ihr ganz nahe, während sie uns doch, einer Heiligen gleich, immer mehr entrückt. Wenn sie aus dem Zellenfenster gen Himmel blickt und dabei ein Choral ertönt, dann scheint es gar, als werde die Tiefgläubige lang vor ihrem filmischen Tod ins Jenseits entschweben.

Wie irdisch wirken dagegen die Nazischergen. Der Verhörbeamte Mohr, der die Einzelheiten der Tat und die Namen der Mitverschwörer aus ihr herauspressen soll, kommt daher wie ein „Herr Lehmann“ der Münchner Gestapo-Zentrale: So einem kann man doch nicht wirklich böse sein. Ein zu kurz Gekommener, soviel ist klar, der anders als die dem Bürgertum entstammende Sophie Scholl erst durch die Nazis seine Chance zum Aufstieg bekam. Doch so richtig will er der Scholl nicht ans Leder, weshalb er ihr immer wieder Brücken baut. Schließlich, so der Gestapo-Mann, gehe es ja auch ihr „um das deutsche Volk, nicht wie dem Elser, der feige“ dem Führer eine Bombe legte.

Drehbuchautor Fred Breinersdorfer hat sein intimes Wissen aus dem Vernehmungsprotokoll, das bis 1989 im Archiv des Ministeriums für Staatssicherheit lag. Mohrs Worte sind es, die in die Akte und damit in das Script eingingen, denn er hat die Aussagen Scholls aus seiner Perspektive diktiert. Wieder einmal floss also die nationalsozialistische Optik in die Regie mit ein, wie man es schon von den Bildern aus dem Warschauer Ghetto – eigentlich NS-Propagandafilme – kennt.

In dieser bereinigten Atmosphäre gleitet der Film dahin, nur selten klingt an, was es bedeutete, der Nazijustiz ausgeliefert zu sein. Etwa wenn Sophie Scholl nachts von Foltergeräuschen aus dem Schlaf geweckt wird, oder wenn die Angeklagten vor Roland Freisler stehen, der an ihnen seine „Rechtsauffassung“ exekutiert. Ansonsten überlässt uns das Werk wohlig tränenbenetzt der Identifikation mit einer Kinofigur die heute, Umfragen zufolge, bei Attac oder ähnlichen Gruppen wäre, und in der Berliner Republik vor allem für das bessere Deutschland steht. Denn über einen Propagandisten der Tat wie Georg Elser, da hat der Gestapo-Mann schon recht, wird zwischen München und Berlin so schnell kein Film gedreht.

Im Utopia


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