Jérome Sallé: Anthony Zimmer

„Anthony Zimmer“ von Jérôme Sallé ist ein zurecht gezimmerter Krimi, der partout nicht zusammenhalten will.

Ein Mann und eine Frau begegnen sich zufällig im Zug nach Nizza. Ein paar tiefe Blicke, ein Reißverschluss, der klemmt und schon bald geraten zumindest seine Hormone aus dem Häuschen. Dass die unbekannte Schöne (Sophie Marceau) die Geliebte des berüchtigten, polizeilich gesuchten Wirtschaftskriminellen Anthony Zimmer ist und ihn gezielt als Köder für die heranrückenden Kriminalbeamten auserkoren hat, davon ahnt der Pechvogel (Yvan Attal) offenbar nichts. Schon bald beginnt eine rasante Verfolgungsjagd kreuz und quer durch Nizza, mit falschen Fährten und listigen Lockvögeln.

Vielleicht sind es diese Irrungen, die einen Kritiker dazu veranlasst haben, Jérôme Salles Debüt mit Alfred Hitchcocks „North by Northwest“ zu vergleichen. Außer dass auch „Anthony Zimmer“ von einem verwirrenden Katz und Maus-Spiel handelt, das anders endet, als zunächst gedacht, ist an dem Polizeifilm nichts, aber auch gar nichts „à la Hitchcock“. Dafür fehlt dem Film eben jener Spannungsbogen, den der Altmeister bis zur Perfektion beherrschte. „Anthony Zimmer“ kann allenfalls als ein Versuch betrachtet werden, einen solchen zu entwickeln. Und der Versuch ist leider gescheitert.

Daran ändern auch dunkle Sonnengläser, wilde Verfolgungsfahrten und Stunts auf steilen Treppen nichts. Denn der Mangel liegt nicht in den Effekten. Es ist die schwache Handlung, die den ersten Langfilm von Salles so hohl erscheinen lässt.

Dass eine Frau einen Unbekannten im Zug verführt, um den eigenen Geliebten vor der Verhaftung zu bewahren, ist nachvollziehbar. Dass sich dieser binnen weniger Minuten unsterblich verliebt und der Angebeteten trotz sichtlicher Schüchternheit aufs Hotelzimmer folgt, mag vielleicht auch noch möglich sein. Gänzlich unplausibel wird die Geschichte aber, wenn der arme Tropf, der so sehr unter Angstzuständen leidet, dass er bei der geringsten Aufregung rot-blaue Pillen nehmen muss, einem Mordanschlag entkommt – und danach ausgerechnet zu der Frau zurückkehrt, mit der sein lebensgefährliches Schlamassel begonnen hat. Sicher können starke Gefühle ungewöhnliche Handlungen im Menschen hervorrufen. Allein, die ProtagonistInnen wirken in keinem Moment des Films wirklich verliebt. Sophie Marceau spielt die kühle, dominante Gangsterbraut mit immer gleicher, verschlossener Miene. Von zärtlichen Gefühlen, gar Leidenschaft: keine Spur. Souverän lenkt sie den Aufgelesenen in ihr First-Class-Hotelzimmer – und ihre schwarze Luxus-Limousine durch gefahrenvolle Tiefgaragen.

Ein Kleiderwechsel sorgt dann dafür, dass auch der Mann mal zum Zuge kommt: Mit schwarzem Anzug und cooler Brille ausstaffiert, beginnt der angeblich Ahnungslose sein eigenes Schicksal – und allmählich auch die auserwählte Frau – in beziehungsweise an die Hand zu nehmen. Panikattacken und Schüchternheit sind wie weggeblasen. Den Grund für diesen erstaunlichen Wandel in Habitus und Auftreten erfährt das Publikum erst am Schluss, der an Plausibilität ungefähr so viel zu bieten hat, wie Anfang und Mitte der Geschichte. Wie ein schlecht gebackener Kuchen fällt am Ende alles zusammen. Der Held ist (nicht) der, den wir meinen. Und die Heldin keineswegs so emanzipiert, wie sie tut. Er steuert den schwarzen Mercedes, sie sitzt brav daneben. Alles wird gut.

Ines Kurschat


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