MAMMERENT: Schaukampf

Die juristische Kritik am Regierungsbeschluss zur Erziehungszulage geht am eigentlichen Problem vorbei.
Nicht die Legalität der Regelung, sondern die Mammerent an sich gehört in Frage gestellt. Und die Art, wie die Entscheidung getroffen wurde.

Es ist eine merkwürdige Allianz, die das neue Finanzierungsmodell der Erziehungszulage hervorgerufen hat: Gewerkschaften und Arbeitgeberorganisationen, die DP und das ADR, der Staranwalt Gaston Vogel und der Tripartite-Veteran John Castegnaro wehren sich dagegen, dass die Mammerent künftig von den Rentenkassen statt vom Staat bezahlt werden soll. Dabei betonen die meisten KritikerInnen, die Erziehungszulage sei „eine gute Sache“, aber: Das Finanzierungsmodell der neuem Regierung sei ein Verrat an den Rententisch-Abmachungen und ein Betrug an den BeitragszahlerInnen.

Dass, abgesehen von Déi Gréng und Déi Lénk, alle Parteien die Mammerent positiv bewerten, ist erstaunlich, war sie doch bei ihrer Einführung umstritten. Die Erziehungszulage „belohnt“ nämlich diejenigen Frauen, die auf Erwerbsarbeit verzichtet haben, um sich „ganz ihrer Familie zu widmen“. Fortschrittliche PolitikerInnen befürchteten seinerzeit, es handle sich um den ersten Schritt in Richtung „Mutterlohn“, mit dem Frauen aus dem Arbeitsmarkt gelockt werden sollten. Diese Diskussion um den Sinn der Mammerent scheint heute völlig vergessen.

Erster Kritikpunkt am Beschluss der neuen Regierung: Die zukünftigen Renten seien durch die neue Belastung der Rentenkassen bedroht. Gewiss, 75 Millionen Euro pro Jahr sind kein Pappenstiel. Doch eine Rentenversicherung, die auf dem Umlageverfahren aufbaut, muss sowieso regelmäßig auf ihre Finanzierbarkeit überprüft werden – unabhängig davon, ob neue Leistungen eingeführt werden oder nicht. Außerdem gehen die 75 Millionen nicht verloren. Dem Staat bleiben Ausgaben in der gleichen Höhe erspart, was in Zeiten knapper Kassen gewiss sinnvoll ist. Noch sinnvoller wäre allerdings gewesen, Jean-Claude Juncker hätte 2001 seine Steuersenkungen bleiben lassen. Dann könnte er heute problemlos die Mammerent aus den Budgetüberschüssen finanzieren.

Der zweite Vorwurf: Die Reserven der Rentenkassen würden durch das neue Finanzierungsmodell zweckentfremdet. Das klingt einleuchtend: ArbeitnehmerInnen zahlen ein, und im Ruhestand wird ihre Rente anhand der geleisteten Beitragszahlungen berechnet. Die NutznießerInnen der Erziehungszulage hingegen haben in der Regel keine Beiträge eingezahlt.

Doch die luxemburgischen Rentenkassen sind kein reinrassiges Versicherungssystem. EmpfängerInnen von Mindestrenten zum Beispiel erhalten in der Regel mehr als das, was sie eingezahlt haben. Auch die so genannten abgeleiteten Rechte, die vor allem Witwe-r-n zugute kommen, passen nicht zur reinen Versicherungslogik. Und bereits jetzt berücksichtigen die Rentenkassen Babyjahre und Erziehungszeiten, um Renten aufzubessern. Die Mehrausgaben für erstere werden vom Staat gegenfinanziert, die für letztere sind ein reiner Solidarmechanismus. Auf der Einnahmenseite ist zu bemerken, dass die Rentenbeiträge zu einem Drittel aus dem Staatsbudget bezahlt werden.

Deshalb ist es abenteuerlich, die Finanzierung der Mammerent über die Kassen mit einer juristischen Argumentation anzugreifen. Schließlich kann man die Babyjahre – also die Anrechnung einer Unterbrechung der Berufstätigkeit von bis zu vier Jahren – durchaus als Anerkennung einer gesellschaftlich sinnvollen Tätigkeit interpretieren. Die Mammerent, so lässt sich argumentieren, dehnt diese Anerkennung auf nicht berufstätige Eltern aus.

Diese Rechtfertigung ist nicht weiter hergeholt als die für abgeleitete Rechte oder für Erziehungszeiten. Der Mammerent-Beschluss der Regierung ist kein juristisches Problem, sondern ein politisches. Die Einführung neuer Leistungen und der damit einhergehenden Belastungen der Kassen wird in der Regel mit den Sozialpartnern abgesprochen. Die Finanzierung der Mammerent dagegen wird den Kassen oktroyiert, und das gegen den erklärten Willen der Sozialpartner. Das schadet dem Image der Regierung und der Glaubwürdigkeit der Sozialversicherungssysteme. Und nützt wohl vor allem dem ADR.


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