ANTISEMITISMUS: Gefährliche Allianz

Nazis als Täter und Islamisten als Trittbrettfahrer – der Anschlag auf ein jüdisches Zentrum in Paris ist nur ein Beispiel für eine ideologische Querfront, die eines gemeinsam hat: Antisemitismus. Und den gilt es zu bekämpfen, egal aus welcher Ecke er kommt.

Es gibt eine rot-grün-braune Allianz“, konstatierte Roger Cukierman bereits im vergangenen Jahr angesichts der grassierenden antisemitischen Übergriffe in Frankreich. Die Unterstellung des Präsidenten des Conseil représentativ des institutions juives de France (CRIF), es gebe eine antisemitische Front aus Linken, Islamisten und Nazis, mag sich im ersten Moment wie eine vulgäre Version der Totalitarismustheorie anhören. Der jüngste Anschlag auf ein jüdisches Gemeindezentrum in Paris scheint ihm jedoch Recht zu geben.

In der Nacht von Samstag auf Sonntag hatten Unbekannte die koschere Küche für sozial bedürftige Menschen in Brand gesteckt. Am Tatort fanden sich auch pro-islamische und antisemitische Schmierereien, darunter Hakenkreuze.

Zunächst schien alles klar: Eine bis dato unbekannte islamistische Gruppierung bekannte sich auf einer Internetseite zu der Tat. Bald traten jedoch Zweifel auf. Inzwischen geht die Polizei eher von rechtsextremen Tätern aus.

Möglich also, dass Neonazis den Anschlag gleichzeitig benutzen wollten, um gegen in Frankreich lebende Moslems Stimmung zu machen. Doch was bringt die islamistischen Internet-Trittbrettfahrer dazu, sich zu einer Tat im Zeichen des Hakenkreuzes zu bekennen? Das sind eben Spinner, ist man versucht zu sagen, denn der Widersinn scheint unauflösbar. Doch so einfach ist es nicht.

Ortswechsel: Am 16. Januar dieses Jahres zogen NPD-Mitglieder unter dem Motto „Solidarität mit Palästina“ durch die nordrhein-westfälische Stadt Hamm. Wenig später wollten die Nazis in Bochum gegen einen geplanten Synagogenbau marschieren. Das zeigt: Für die antisemitische Hetze ist jedes Themenfeld recht.

Gleichzeitig bejubelte NPD-Anwalt Horst Mahler die antisemitisch motivierten Anschläge vom 11. September als Ende des „Mammonismus“ und als „berechtigt“. Diese „Analyse“ bekam man im Übrigen auch von Teilen der Linken zu hören. Dennoch will Mahler demnächst mit seiner Partei unter dem Motto „Berlin bleibt deutsch“ gegen „islamistische Zentren“ demonstieren.

Auch Lyons Oberrabbiner Richard Wertenschlag beobachtet eine solche „Art Konfusion“: Einerseits antijüdische Übergriffe sowohl durch Menschen arabischer Herkunft als auch durch Rechte, während andererseits Millionen Moslems in Frankreich mit Hassparolen und Angriffen konfrontiert seien. Der CRIF sieht zudem hinter einigen der 510 antisemitischen Übergriffe des ersten Halbjahres 2004 „kleine Schurken ohne großen politischen Hintergrund“ am Werk.

Das macht es nicht besser. Denn Antisemiten sind nicht weniger gefährlich, wenn sie keine politische Organisation hinter sich haben. Schlimmer noch, viele Taten sind von der Überzeugung motiviert, sich auf einen signifikanten Teil der Gesellschaft berufen zu können. Antisemitismus ist nicht primär eine politische Ideologie, sondern ein Wahnsystem, das viel mehr mit dem seelischen Haushalt des Einzelnen, als mit seinem politischen Profil zusammenhängt. Es handelt sich um eine Denkform, die vermeintlich hilft, die komplexe Welt zu erklären, einen Schuldigen zu benennen für die Zumutungen des abstrakten Kapitalverhältnisses. Mithin ist der Antisemitismus eine komplette Weltsicht, was ihn vom Rassismus unterscheidet.

Der moderne Rassismus verachtet am Anderen nicht das Fremde, sondern die Gemeinsamkeit, die in der Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt zutage tritt. Der Hass auf die Juden dagegen macht diese für alles verantwortlich. Ob für den Nahost-Konflikt, die Börsenspekulation oder für die erbärmliche Lage in der Banlieue, ist dabei völlig egal. Vermeintliche Argumente für dieses Denken braucht man erst, wenn man eine politische Strategie daraus machen will. Das haben die organisierten Nazis und Islamisten den „kleinen Schurken“ voraus.

So bleibt die „Allianz“, von der Cukierman sprach, noch weitgehend eine Verwandtschaft im Geiste. Um zu verhindern, dass daraus eine praktische Querfront entsteht, bedarf es der Bekämpfung des Antisemitismus jeder Couleur.


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