KRIMINALITÄT: Filmreif inszeniert

Die angebliche Unsicherheit im Luxemburger Bahnhofsviertel ist zum Medienthema avanciert. Dabei wird in populistischer Manier der Bogen zur Asyldebatte geschlagen.

Eine leere Whiskey-Flasche liegt auf der regennassen Straße. Im Hintergrund ist der Luxemburger Bahnhof zu erkennen – und ein Mann mit dunkler Hautfarbe. Mit diesem kunstvoll komponierten Foto beginnt diese Woche die Zeitschrift Revue ihre Reportage über Missstände im hauptstädtischen Bahnhofsviertel. Ein paar Seiten weiter schaut eine Polizistin einem Afrikaner in den Mund. Der dazu gehörende Text handelt von „schwarzafrikanischen Asylantragstellern“, in deren Hand sich angeblich der Heroin- und Kokainhandel im Bahnhofsviertel befindet, sowie von Junkies, die auf Raubzug gehen und Leute anpöbeln. Der Artikel ist ein Rundumschlag gegen alles, was für die Einzelhändler im Gare-Viertel geschäftsschädigend sein könnte: Obdachlose, Prostituierte und Drogenabhängige. Und er fügt sich ein in ein Horrorszenarium, in dessen Zentrum afrikanische Drogendealer stehen.

Ein Szenarium, zu dem nicht zuletzt die Regierung beigetragen hat. Bereits im vergangenen Jahr hat Premierminister Jean-Claude Juncker vor nigerianischen Dealern in Luxemburg gewarnt. Und Justiz- und Polizeiminister Luc Frieden ließ es sich vor kurzem nicht nehmen, in Trenchcoat und uniformierter Begleitung filmreif durch die Straßen des Bahnhofsviertels zu streifen – mit der Presse im Schlepptau und von RTL fernsehgerecht in Szene gesetzt. Die Regierung habe die feste Absicht, mit Entschlossenheit gegen die Dealer vorzugehen, sagte Frieden und verwies auf die eigens eingesetzte Spezialkommission der Polizei.

Gut inszeniert, Herr Frieden. Dem will die Gemeinde Luxemburg natürlich in nichts nachstehen. Sie veranstaltet am 25. Oktober ein öffentliches Hearing im Kulturzentrum Bonneweg, dem neben Gare und Hollerich am meisten von der Kriminalität betroffenen Stadtviertel. Das Thema ist also platziert. Das dürfte ganz nach dem Geschmack von SOS Gare sein, jener ominösen Vereinigung, die kürzlich mit einer Petition von sich reden machte, in der es heißt: „Les rues sont envahies de trafiquants de drogues, surtout de race africaine“. Hauptschuldige sind SOS Gare zufolge die MigrantInnen.

Natürlich gibt es ein Drogenproblem im Luxemburger Bahnhofsviertel. Das wissen die dafür zuständigen überlasteten Drogenberatungsstellen von der „Jugend- an Drogenhëllef“ und „Abrigado Szenekontakt“ am besten. Und natürlich betrifft die Obdachlosigkeit immer mehr Menschen in Luxemburg. Das können die „Stëmm vun der Strooss“ und das Foyer „Ulysse“ in Bonneweg bezeugen. Doch Lösungswege wurden bisher reihenweise verbockt: Noch immer gibt es keine Fixerstube; deren Einrichtung in der Hollericher Straße wurde bekanntlich von der Gemeinde Luxemburg abglehnt; und immer noch gibt es keine wirkliche Dauerlösung für die Obdachlosen-Misere. Statt erschwinglicher Wohnungen gibt es lediglich Container.

Zugleich wird regelmäßig die Verbindung zur Asylfrage hergestellt. AsylbewerberInnen aus Afrika werden in einen Topf mit „nigerianischen Gangs“ geworfen, als wären alle afrikanischen ImmigrantInnen potenzielle DrogendealerInnen, die – nach Friedens Worten – die Asylprozedur missbrauchen. Doch der Minister ist clever genug zu präzisieren: „Nicht jeder Asylbewerber ist ein Drogenhändler und nicht jeder Drogenhändler kommt aus Westafrika.“ Ob seine Polizei danach handelt, steht auf einem anderen Blatt. Jedenfalls sind Menschen mit dunkler Haut am Bahnhof das bevorzugte Objekt polizeilicher Kontrollbegierde. Dies belegen zahlreiche Aussagen von Betroffenen und Zeugen. Bei den mutmaßlichen TäterInnen wird also wenig differenziert: Wer afrikanisch aussieht, ist verdächtig. Bei den angeblichen Opfern wird da schon eher unterschieden. Das sind demnach weniger Drogenabhängige und Obdachlose, sondern Geschäftsleute.

Nicht Ursachenforschung ist zurzeit angesagt, könnte man meinen, sondern die repressive Keule. Und zu deren Legitimation dient eine populistische Hetze, bei der man sich des Kunstgriffs bedient, den Bogen zur Asyldebatte zu schlagen – das Ganze von einigen luxemburgischen Medien bewusst oder unbewusst inszeniert. Trotzdem leicht zu durchschauen.


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