US-WAHLEN: Die Chance liegt auf der Straße

Im Gegensatz zu seinem Rivalen Kerry hat es George W. Bush geschafft, die amerikanische Seele anzusprechen. Auch in Zukunft wird er das Land polarisieren. Anlass für Protest gibt es weiterhin.

Am Ende haben auch die Regenjacken nichts genützt. George W. Bush bleibt US-Präsident. Dabei schickten die Demokraten noch am Dienstag 60.000 Plastik-Ponchos nach Ohio, um auch wirklich alle AnhängerInnen John F. Kerrys zur Wahlurne zu bewegen. Denn in dem Bundesstaat, wo die entscheidende Schlacht der amerikanischen Präsidentschaftswahl geschlagen wurde, hatte es zu regnen begonnen. An der Nässe lag es aber nicht, dass Kerry die Wahl verloren hat. Und an der hohen Wahlbeteiligung, die normalerweise eher den Demokraten zum Vorteil gereicht, auch nicht. Denn so groß war die Politisierung in den USA seit Jahrzehnten nicht mehr.

Zum einen lag es an Kerry selbst: Der Grandseigneur von der Ostküste hat es nicht verstanden, die Mehrheit der WählerInnen anzusprechen. Zwar wählte ihn ein Großteil der JungwählerInnen, Frauen, Geringverdienenden sowie Afro- und LateinamerikanerInnen. Doch es waren immer noch zu wenig. Kerrys Positionen blieben schleierhaft und ohne klare Linie. Er ist ein Politiker ohne Vision.

Das war vor zwölf Jahren anders, als der Demokrat Bill Clinton – in der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Krise der Post-Reagan-Ära – mit kommunitaristischem Rüstzeug im Gepäck an den Gemeinsinn seiner Landsleute appellierte. Clinton war, im Gegensatz zu Kerry, ein Präsident zum Anfassen. Dieses Mal war es genau anders herum: Während der demokratische Kandidat nicht den Schlüssel zur amerikanischen Seele fand, sprach Bush den AmerikanerInnen aus dem Herzen. Zumindest der knappen Mehrheit – und die ist konservativ.

Die Rechte hat die kulturelle Hegemonie in den USA übernommen. So sind es offenbar vor allem moralische Werte, denen die meisten Amerikaner Priorität einräumen. Die fundamentalistischen Christen, die gegen Abtreibung und Homoehe sind, und die traditionellen Rechten, die Freiheit als Freiheit zur bewaffneten Selbstverteidigung interpretieren – sie alle halten Bush für einen der ihren.

Hinzu kommt aber auch, dass Bush mehr als Kerry den Amerikanern ein Gefühl der Sicherheit vermittelt. In einer Zeit der Angst vor äußerer Bedrohung, freilich von ihm selbst geschürt, liefert er einfache Lösungen und zeigt unerbittliche Härte. Auch wenn er selbst in seinen Auftritten alles andere als sicher wirkt: Im Wahlkampf schwang er sich zum auserwählten Retter auf.

Da überrascht es nicht, dass Bush im Gegensatz zum anrüchigen Wahlskandal von 2000 nun sogar die absolute Zahl der WählerInnen, auf seiner Seite hatte. Und das, obwohl der Präsident ein langes Register politischer Untaten aufweist: Bush zettelte einen nicht legitimierten und auf Lügen aufbauenden Krieg gegen den Irak an, in dessen Folge bereits mehr als tausend US-Soldaten und noch viel mehr IrakerInnen starben; sein Hauptfeind im Kampf gegen den Terrorismus, Osama bin Laden, ist immer noch nicht gefasst; in den USA selbst wurden unterdessen durch den Patriot Act viele Bürger- und Menschenrechte außer Kraft gesetzt; außerdem sammelte sich während Bushs erster Amtsperiode ein gigantisches Haushaltsdefizit an; die Reichen wurden reicher und die Armen ärmer; und die Umweltpolitik der US-Regierung war nicht zuletzt mit dem Ausstieg aus dem Kyoto-Protokoll ein Desaster.

Bush hat viele Menschen auf der Welt gegen sich aufgebracht und sein eigenes Volk polarisiert. Unfreiwillig hat er zur Mobilisierung einer weltweiten Protestbewegung beigetragen: Millionen haben 2003 gegen den Irak-Krieg demonstriert, in New York gingen zuletzt im August während des Republikaner-Kongresses tausende Menschen auf die Straße. Sie alle setzten ihre Hoffnungen auf Kerry, obwohl dieser ein schwacher Kandidat war. Doch trotz der Niederlage der Demokraten muss der Protest auf der Straße weitergehen. Die Chance der Opposition bei einem von Republikanern dominierten US-Kongress liegt jetzt vor allem auf außerparlamentarischem Gebiet. Bush wird seinen Kampf gegen den Terrorismus fortführen. Und wenn er sich nicht eines Besseren besinnt, wird dies auch weiter der Anlass für den politischen Kampf gegen ihn sein.


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