GLEICHSTELLUNG: Langer Atem

Die Stadt Luxemburg hat einen längst überfälligen Leitfaden für Behinderte herausgegeben. Dieser offenbart Mängel an öffentlichen Gebäuden.

„Easy City“ – so heißt die Informationsbroschüre, die die Stadt Luxemburg diese Woche vorgestellt hat. Sie wolle damit Bedingungen schaffen, „die es behinderten Personen ermöglichen, aktiv am Stadtleben teilzunehmen und ihnen so weit wie möglich den Alltag zu erleichtern“, schreibt Bürgermeister Paul Helminger in seinem Vorwort. Das ist löblich und die Publikation selbst nützlich. Sie bietet einen Leitfaden über Zugangserleichterungen über Hilfe und Betreuung von Behinderten im Alltag, Informationen über Renten und Beihilfen sowie über den Zugang zu Sport- und Kulturstätten in Luxemburg. Und sie zeigt, wo Behindertenparkplätze zu finden sind. Nicht zuletzt gibt sie Auskunft über den öffentlichen Transport.

Es scheint sich in den vergangenen Jahren tatsächlich für Menschen mit Behinderungen etwas getan zu haben. Seit dem europäischen Aktionsjahr 2003 habe ein so genanntes Mainstreaming stattgefunden, stellt Info-Handicap-Direktor Silvio Sagramola fest. In den gesellschaftlichen Debatten werde häufiger auf die Probleme der Behinderten hingewiesen. In der Tat werden deren Belange bei öffentlichen Neubauten und Renovierungen berücksichtigt. Nur: Reicht das?

Vom europäischen Jahr der Behinderten 2003 in Luxemburg ist vor allem ein schon länger vorbereitetes Gesetz übrig geblieben, das deren Einkommen – hauptsächlich in den „ateliers protégés“ – regelt. Darüber hinaus wurde viel diskutiert: über Integration in den Schulen, über behindertengerechten öffentlichen Transport und eben über die Zugangserleichterungen zu Verwaltungs- und Industriegebäuden. Doch viel Konkretes ist bisher nicht geschehen. Es gebe noch einiges an Nachholbedarf in manchen Bereichen, sagt Sagramola. Wenn sich was tut, dann nur langsam. Wer Ergebnisse erwartet, braucht einen langen Atem.

So gibt es zum Beispiel seit 1991 ein Gesetz zur Integration von Behinderten auf dem Arbeitsmarkt, das eine bestimmte Quote je nach Größe der Betriebe für „Travailleurs handicapés“ festlegt. Dabei stellte sich heraus, dass sich nur wenige dran halten – am wenigsten die öffentliche Verwaltung. Die Gewerkschaften griffen das Thema zwar auf. Doch die Diskussion, wie Verstöße gegen die Quotierung geahndet werden sollen, verlief mehr oder weniger im Sand.

Eine Bündelung der einzelnen Bereiche – Arbeit, Schule, Transport, etcetera – fand darüber hinaus nicht statt. Diese hätte vielleicht mit einem Rahmengesetz wie zum Beispiel dem Gesetz zur Gleichstellung der behinderten Menschen in Deutschland stattfinden können. Stattdessen bleiben die einzelnen Belange aufgeteilt.

Dass noch einiges im Argen liegt, offenbart ein Blick in „Easy City“. Unter den Zugangserleichterungen zu Verwaltungsgebäuden gibt es vier in Spalten eingeteilte Kriterien: Zugang über Rampe, Zugang über Aufzug, Autostellplatz und Behinderten-WC. Bei keinem der 32 aufgeführten Gebäude sind alle vier Kriterien erfüllt, stattdessen lautet elf Mal die Antwort Nein in allen Kategorien. Nur vier öffentliche Einrichtungen verfügen über ein Behinderten-WC. So viel zum Nachholbedarf.

Und was den langen Atem angeht. Den hat die Stadt Luxemburg bewiesen. Sie hat 1998 die Erklärung von Barcelona unterzeichnet, mit der sich eine Reihe europäischer Städte verpflichtet hatten, die Teilhabe der Menschen mit Behinderungen am gesellschaftlichen Leben zu fördern, also deren Recht auf Gleichbehandlung als BürgerInnen zu erreichen. Da zielt übrigens auch die von der schwedischen Behindertenbewegung erarbeiteten und vom European Disability Forum autorisierten „Agenda 22“ ab.

Die Erklärung von Barcelona wurde im März 1995 bei dem Kongress „Die Stadt und die Behinderten“ verfasst. Luxemburg hat also drei Jahre bis zur Unterzeichnung gebraucht. Noch mal sieben Jahre hat es dann bis zur Publikation der Broschüre „Easy City“ gedauert. Wahrlich ein ganz langer Atem. Also doch nicht alles so easy, liebe City.


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