EU-REFERENDUM: Nein sagen verboten

Die Ratifizierungsprozedur zum EU-Verfassungstext sieht ein „Nein“ nicht vor. Damit soll auch die demokratische Debatte unterbunden werden.

Das Referendum zur Europäischen Verfassung findet nicht am 10. Juli, sondern am 29. Mai statt. Nein, es handelt sich hierbei weder um einen verspäteten Aprilscherz, noch wird die Luxemburger Wahlbürgerschaft sich an diesem Tag in die Wahlbüros bemühen müssen – es brauchen nicht einmal solche Büros eingerichtet werden. Das alles ist nicht Resultat eines technischen Fortschritts, der es erlauben würde, per Knopfdruck von zu Hause aus sein Votum abzugeben, sondern die Konsequenz eines absurden europäischen Spektakels.

Das geeinte Europa soll sich eine neue politische Ordnung geben. Der Weg dahin ist jedoch je nach Mitgliedsstaat sehr unterschiedlich: In den meisten Ländern sind es die nationalen Parlamente, die den Vertragstext ratifizieren müssen. In zehn Ländern werden zudem Referenden abgehalten. Doch auch hier gibt es Unterschiede. In sieben Ländern, darunter Frankreich und Großbritannien, ist das Referendum verbindlich. In Luxemburg und zwei weiteren Ländern dagegen hat es nur konsultativen Charakter. Absurd wird das Ganze durch den Umstand, dass die diversen Zustimmungsverfahren auf anderthalb Jahre verteilt sind. Was aber nutzt das positive Votum der Spanier vom Februar diesen Jahres, wenn die Briten, irgendwann im Mai 2006, den Vertragstext ablehnen werden?

Und so wie es zurzeit aussieht, brauchen wir nicht einmal so lange zu warten, bis es zur „Panne“ kommt.

Am 29. Mai werden die Franzosen offiziell über den EU-Vertrag abstimmen. Nebenbei stellen sie auch der Politik Jean-Pierre Raffarins und seiner KollegInnen ein Zeugnis aus, und das droht nicht besonders gut auszufallen. Dessen bewusst, soll der Premierminister, so will die satirische Zeitung „Canard Enchaî né“ erfahren haben, kurz vor dem Urnengang zurücktreten – um den VerfassungsgegnerInnen die Luft aus den Segeln zu nehmen. Ob dieses Opfer ausreichen wird, um das Negativ-Ergebnis noch zu verhindern, ist allerdings ungewiss.

Neben den beiden EU-Schwergewichten Frankreich und Großbritannien drohen auch die Referenden in Polen, Tschechien und Dänemark negativ auszufallen. Um den Europa-SkeptikerInnen in den „kleinen“ Mitgliedsstaaten eine Bedenkzeit einzuräumen, wurden die dortigen Volksabstimmungen, wie in Großbritannien, in das Jahr 2006 verlegt. Dabei setzt die EU bewusst auf einen gewissen Druck auf die Neuen, am Ende nicht als Spielverderber dazustehen.

Dieses Szenario sollte offenbar eine grundsätzliche Frage vergessen machen: Was passiert, wenn ein Land oder mehrere dem Vertrag über eine Europäische Verfassung nicht zustimmen? Allein der Gedanke an diese Möglichkeit, so wird hinter vorgehaltener Hand gewarnt, gebe den GegnerInnen Auftrieb.

Seitdem französische Umfrageergebnisse die Nein-SagerInnen im Aufwind sehen, wird aber auch von offizieller Seite in dieser Frage zunehmend Tabubruch betrieben. Allerdings nicht, um sachlich die sich bietenden Optionen zu diskutieren, sondern um einmal mehr ein Gespenst an die Wand zu malen, das die SkeptikerInnen ins Ja-Lager zurückholen soll: Ein „Nein“ wäre das Ende der europäischen Integration, so werden Raffarin, François Hollande und all die anderen Befürworter nicht müde zu beschwören

Während sich in Großbritannien sowieso fast täglich die Frage stellt, ob das Land denn nun wirklich zur EU gehört und bei den kleineren Staaten auch die Möglichkeit eines Austritts diskutiert wird, gilt im Falle eines französischen „Non“ der Verfassungstext als gescheitert.

Ein auch von den BefürworterInnen in vielen Punkten als mangelhaft empfundener Text und eine wenig transparente Prozedur haben das europäische Schiff schlingern lassen. Doch gerade die Fähigkeit, mit einem „Nein“ leben zu können, Optionen wie Neuverhandlungen oder Sonderregelungen offen zu halten, könnten den demokratischen Charakter Europas verstärken. Das Gesetz zu einem Jubel-Referendum, wie es die Luxemburger Chamber am Dienstag verabschieden will, um noch rechtzeitig im „peloton de tête des pays membres ratifiant la Constitution européenne“ aufgenommen zu werden, ist da fast schon überflüssig.


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