KUNST: Aus einer Laune heraus

„Capricci“, die aktuelle Ausstellung des Casino will alltägliche Dinge auf ungewohnte Weise darstellen. Ergebnis ist eine verspielte, insgesamt eher oberflächliche Umsetzung des Themas.

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Capricci
(Möglichkeiten anderer Welten)
noch bis zum 2. September
im Casino Luxemburg

Papierfahnen von Klorollen, die auf rotierenden Ventilatorenblättern stehen, flattern unaufhörlich. Oder: Vertiefungen des hellblau gestrichenen Wandputzes, vom Künstler dunkel ausgemalt, mit einem Bilderrahmen eingefasst und „Hundred Lakes“ genannt.

Die neue Ausstellung im Casino gründet auf der Poesie des Unerwarteten – „Capricci“ lautet ihr Titel. Auch wenn die Entstehung dieses Begriffes nicht ganz geklärt ist, leitet er sich womöglich von capra (Ziege) ab und ist im Sinn von Laune oder Grille gebräuchlich. Es geht um den absichtlichen Regelverstoß, die spielerische Überschreitung von allgemeingültigen Normen, ohne diese außer Kraft zu setzen. Gedankenspiele oder die Frage nach dem „Was wäre wenn?“ werden ausgelotet, um eine andere Realität entstehen zu lassen als jene, die als bekannt und erwiesen gilt.

Rund zwanzig Beiträge von internationalen KünstlerInnen hat das Casino zusammengetragen, um diesem Gefühl des spielerischen Regelverstoßes auf die Spur zu kommen. Die Arbeiten werden in Pastell gestrichenen Räumen ausgestellt, die das Ambiente des latent Irrealen und Poetischen verstärken sollen. Vor allem Installationen mit verfremdet angebrachten und veränderten Alltagsgegenständen sowie viele – sehr viele – Landkarten und Stadtpläne, deren Lesbarkeit ad absurdum geführt ist, sind zu sehen.

Etwa die Rauminstallation „Another Map Not to Indicate: The World before America“ des US-amerikanischen Konzeptkünstlers Joseph Kosuth. Sie bezieht sich mittels historischer Weltdarstellungen auf eine prä-kolumbianische Zeit, in der Amerika oder Australien noch unentdeckt waren. In den beigefügten Texten wird die Relativität der kartographischen Ortungssysteme reflektiert: „Neither the historian nor the carthographer can ever reproduce the reality (…) they can but give a plan, a series of indications, of this reality.“ Mikro- und Makroaufnahmen, historisch und wissenschaftlich bedingter Kenntnisstand vermitteln keine allgemeingültige, sondern jeweils eine spezifische Wahrnehmung der Realität und des Umfeldes, in dem man sich bewegt.

Einer weniger rückwärtsgewandten, eher utopistischen Herangehensweise bedient sich der als New Yorker Gastronom bekannt gewordene Florent Morellet, der sich mittlerweile auch einen Namen als Zeichner von minimalistischen Stadtplänen gemacht hat. Es geht ihm um Gedanken- und Planspiele, um die Frage etwa, wie Paris auf einem schematisierten Stadtplan aussehen würde, wäre es von Amerikanern gebaut worden. Oder wie die Ansiedlung der französischen Metropole aussähe, falls die Stadt sich in der Wüste befände. Wie sich Luxemburg-Stadt entwickelte, wenn ein Staudamm die Täler der Petruss und der Alzette fluten würde. Morellet veranschaulicht diese „Was wäre wenn?“-Fragestellungen, die durchaus auch auf mögliche Auswirkungen des Klimawandels anspielen, in seinen gezeichneten Kartographien.

Weniger fiktional, aber um so ästhetischer, ist die raumgreifende Installation der im Libanon geborenen Künstlerin Mona Hatoum. In ihren Werken beschäftigt sie sich mit den Themen Macht und Identität. Im Casino hat sie durch Anordnung von Hunderten auf dem Boden liegenden Glasmurmeln eine zerbrechliche und bewegliche Weltkarte geschaffen. Die Struktur der Welt wird auf anderer Ebene auch vom italienischen Künstler Alighiero Boetti thematisiert: Ausgestellt ist eine gestickte politische Weltkarte von 1984. Die einzelnen Länder werden durch ihre Nationalflaggen symbolisiert: Einmal mehr wird deutlich, wie gravierend sich die Weltordnung binnen zwanzig Jahren verändert hat: Politische Systeme und territorialer Besitz erscheinen als kurzlebig im Vergleich zur Beständigkeit der Kontinente oder Ozeane.

In einem komplett anderen Sinnzusammenhang als jenem der Weltordnung scheinen alle restlichen Installationen der Ausstellung zu stehen: Was haben etwa die an der Decke der Eingangshalle von Anita Molinero angebrachten verbrannten roten Plastikmülleimer mit den Möglichkeiten anderer Welten zu tun? Das ist denn auch ein Manko der Konzeption insgesamt: Man kann sich als Betrachter diese scheinbar beliebige Auswahl und Gewichtung der Objekte nicht erklären. Die Installationen wirken wie künstlich aneinandergereiht.

Problematisch ist auch die inhaltliche Konzeption. Sogar wenn der Besucher bei den einzelnen Installationen den Gedankengang des „Was wäre wenn?“ und die Poesie des Unerwarteten mehr oder weniger nachvollziehen kann. Und solche Gedankenspiele, ein Evozieren von anderen Realitäten, als immanente Bestandteile des kreativen Prozesses gelten und laut Hirnforschung sogar schlau machen – verlässt man die Ausstellung doch mit dem schalen Gefühl nur durch ein Sammelsurium von mehr oder weniger originellen Ideen gestreift zu sein. Das Ganze verbleibt auf einer recht vordergründigen Ebene und erscheint wie ein Sommer-Capriccio der Kuratoren. Wünschenswert wäre dagegen, wenn das Casino die eigene Plattform mal wieder für eine mutigere politische und gesellschaftskritische Auseinandersetzung und Stellungnahme nutzen würde, in der Kunst mehr ist als nur schönes Objekt oder nette Idee.


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