PESTIZIDE: Schattenkämpfe im Parlament

Spannung in Straßburg: Wird der Entwurf für eine striktere Pestizid-Regelung im Plenum Bestand haben? Dafür setzte sich im Umweltausschuss die Abgeordnete Erna Hennicot ein – und bekam kräftig Gegenwind aus den eigenen Reihen.

Welche Strategie die Europäische Union anwenden wird, damit weniger Gift auf Äckern
und Wiesen landet, ist
noch ungewiss.
(Foto: johnnyalive/flickr)

Eine Erdbeere, die es in sich hat: Rückstände aus 14 verschiedenen Pestiziden fanden Umweltschützer in der kleinen Frucht aus Belgien, die sie im Sommer in einem GB-Supermarkt gekauft hatten. Dieser Laden befand sich nicht irgendwo, sondern mitten im Brüsseler Parlamentsgebäude in der rue Wiertz. Im Früchtekorb, der ins Labor wanderte, lagen auch Orangen, Trauben, Äpfel, Aprikosen und Birnen. Zusammen lieferten sie Spuren von immerhin 28 verschiedenen Pestiziden, darunter zehn krebserregende und drei neurotoxische Substanzen, die zum Teil die zugelassene Höchstmenge deutlich überschritten. Fazit der Umweltverbände: Auch EU-Abgeordnete sind ständig bedenklichen Pestizid-Rückständen in Lebensmitteln ausgesetzt. Mit dieser beunruhigenden Erkenntnis wollten sie die Parlamentarier in die Abstimmungsrunde der kommenden Woche schicken. In Brüssel macht jeder Lobby-Arbeit auf seine Façon.

Die Debatte um eine neue Pestizid-Verordnung zieht eine ganze Schar von Lobbyisten an und droht gar, ein zweites Reach zu werden. Kaum ein Gesetzesvorhaben sorgte bislang im Europaparlament für so viele Änderungsanträge und innerparteiliche Auseinandersetzungen wie die seit 1. Juni gültige Chemikalien-Verordnung (Reach). Ähnliches könnte nun das Paket zur Novellierung der EU-Pflanzenschutz-Richtlinie provozieren. Auf der Tagesordnung stehen drei Berichte, bei denen es zum einen um eine Direktive für den nachhaltigen Einsatz von Pestiziden geht, zum anderen soll eine Verordnung die Zulassung von Pestiziden neu regeln.

Vor allem Letztere ist hart umkämpft. Über mehr als 700 Änderungsanträge musste Mitte September der Umweltausschuss abstimmen. Am Ende lag ein Bericht auf dem Tisch, der in einigen Punkten weiter geht, als der von der Kommission vorgeschlagene Text. 44 Abgeordnete sprachen sich für, nur elf gegen den Bericht von Hiltrud Breyer (Fraktion der Grünen) aus, die gefährlichen Pestiziden endgültig die Rote Karte geben will. Im Visier hat der Ausschuss vor allem langlebige Stoffe, die sich in Umwelt und Lebewesen anreichern können, sowie krebserregende oder erbgutverändernde Substanzen. Solche Ausschlusskriterien hatte auch die Kommission vorgeschlagen. Das Parlament will jedoch auch Pestizide mit hormoneller sowie immun- oder neurotoxischer Wirkung auf die Schwarze Liste setzen. Zudem müssten künftig Stoffe dann ersetzt werden, wenn die Alternative ein deutlich geringeres Risiko für Gesundheit und Umwelt aufweist. Schließlich sollen Wirkstoffe, die ein Risiko für sensible Gruppen, wie Föten, Babys oder Kinder darstellen, keine Zulassung mehr erhalten.

„Frau Hennicot-Schoepges ist eine große Kämpferin. Das Problem sind die deutschen CDU’ler.“

Solch weitreichende Verbote werden längst nicht von allen Abgeordneten befürwortet. Besonders Teile der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) stellen sich quer. Dennoch sieht Hiltrud Breyer der Debatte im Plenum mit Zuversicht entgegen. „Ich denke, es wird eine gute Abstimmung werden“, sagt die deutsche Abgeordnete gegenüber der woxx und spricht zugleich der Verhandlungsführerin der Christdemokraten „ein großes Kompliment“ aus. „Frau Hennicot-Schoepges ist eine große Kämpferin!“, so Breyer, „das Problem sind in diesem Fall die deutschen CDU´ler“. Die Luxemburger CSV-Abgeordnete war von der EVP als „Shadow“ eingesetzt worden. So werden im Europaparlament diejenigen bezeichnet, die im Namen ihrer Fraktion mit den zuständigen BerichterstatterInnen um Kompromisse feilschen.

„Die Industrie missbraucht die deutschen Christdemokraten, die nun deren Position ins Parlament bringen“, kommentiert der Luxemburger Abgeordnete Claude Turmes (Fraktion der Grünen) die aktuelle Debatte. „Es ist daher sehr positiv, dass Erna Hennicot eine wissenschaftliche Linie vertritt.“ Dass BASF und Co massiv Druck ausübten, bestätigt auch die CSV-Abgeordnete. „Die Lobby der deutschen chemischen Industrie zirkuliert in den Brüsseler Gängen“, so Erna Hennicot-Schoepges. „Ich habe sogar in der vergangenen Woche einige ihrer Vertreter aus einer Arbeitssitzung geschmissen.“ Hennicot machte sich in den Verhandlungen mit ihrer Fraktion stark für eine strikte Ablehnung solcher Stoffe, bei denen eine Gefahr für die menschliche Gesundheit nicht ausgeschlossen werden kann. „Die Industrie muss gezwungen werden nach Alternativen zu forschen“, so ihre Überzeugung. „Das ist auch durchaus machbar, und durch die neue Gesetzgebung ist ein effizienter Pflanzenschutz keineswegs in Gefahr.“

Das sehen die Vertreter der Industrie ganz anders. Der Bericht des Umweltausschusses sei ein „wesentlicher Rückschritt gegenüber den Prinzipien einer soliden Wissenschaft und einer rationellen Entscheidungsfindung“, so Euros Jones, der Leiter des Dachverbands der Pflanzenschutzmittel-Hersteller (ECPA). Um Resistenzen gegen einzelne Mittel zu umgehen, sei ein Bauer darauf angewiesen, flexibel und schnell Alternativen einzusetzen, heißt es in einer Presseerklärung.

Der Einsatz der Branche lohnt sich: In der EU werden jährlich 300.000 Tonnen Pflanzenschutzmittel versprüht. Dies ist immerhin ein Viertel des Weltverbrauchs, obwohl die landwirtschaftlich genutzte Fläche nur vier Prozent der weltweiten Wiesen und Äcker ausmacht. Dass Handlungsbedarf besteht, zeigen andererseits die Messungen der EU-Kommission, die seit gut zehn Jahren systematisch verschiedene Gemüse-, Obst- und Getreidesorten aus den Mitgliedstaaten auf eventuelle Rückstände untersucht. Im Jahr 2004 lag bei immerhin fünf Prozent der Proben die Rückstandsmenge über dem zulässigen Grenzwert.

„Die Lobby der Industrie zirkuliert in den Gängen. Ich habe einige ihrer Vertreter aus einer Arbeitssitzung geschmissen.“

Ein weiterer Bericht des Umweltausschusses befasst sich mit dem „Aktionsrahmen für den nachhaltigen Einsatz von Pestiziden“. Auch hier lagen über 400 Änderungsanträge vor. Umstritten ist beispielsweise das Verbot der Luftsprühung, das die Kommission in ihrem Entwurf vorgesehen hatte. Eine Einschränkung, die vor allem Winzer und Forstwirte betreffen würde. Der Ausschuss entschied sich für eine Abschwächung des Kommissionstextes und fügte in seinem Bericht die Möglichkeit hinzu, auf nationaler Ebene Ausnahmen zuzulassen.

Viel diskutiert wurde auch über den Vorschlag der Kommission, die Europäische Union in verschiedene Zonen aufzuteilen, in denen dann jeweils dieselben Regelungen gelten würden. Die Zulassungen müssen weiterhin auf nationaler Ebene erteilt werden, so jedoch die Meinung des Umweltausschusses. „Die Grenzen für die Zonen wurden zu willkürlich festgelegt“, so Hiltrud Breyer. Die Hänge links und rechts der Mosel etwa würden in zwei unterschiedlichen Zonen liegen. „Auch der Rat, der zurzeit parallel an einem Entwurf für eine Direktive arbeitet, ist gegen die Einteilung in Zonen“, sagt Erna Hennicot-Schoepges.

An diesem Punkt ist ihre Fraktion ebenfalls geteilter Meinung. „Wir erleben dasselbe wie im Reach-Dossier“, so Hennicot. „Es ist derzeit nicht klar, wie die EVP-Abgeordneten letztendlich abstimmen werden.“ Auf sie wird es jedoch möglicherweise ankommen. Zwar erwartet Hiltrud Breyer die Unterstützung von der Sozialistischen, der Grünen und der Linken Fraktion sowie von Teilen der Liberalen. Um eine Mehrheit zu bekommen, müssten sich jedoch noch ein paar EVP´ler dazugesellen.

Doch sie scheinen sich derzeit selbst mit Kompromissvorschlägen schwer zu tun. So auch in Bezug auf eine eventuelle Informationspflicht der Pestizid-Anwender: Die Fraktion der Grünen hatte gefordert, dass Bauern künftig ihre Nachbarn 48 Stunden im Voraus über etwaige Sprühmaßnahmen informieren müssen. „Ich habe dann als Kompromiss ein zentrales Informationssystem vorgeschlagen, durch das Interessierte die Sprühzeiten rechtzeitig abrufen können“, so Hennicot-Schoepges. Auch dieser Vorschlag fand jedoch in der EVP keine Mehrheit. Auf die Frage, ob angesichts dieser Front kein Frust beim „Shadow“ aufkommt, sagt die ehemalige Ministerin: „Es ist noch nicht gelaufen. Am Montag haben wir Fraktionssitzung!“ Am Dienstag oder Mittwoch muss dann im Plenum Farbe bekannt werden.


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