PAUL THOMAS ANDERSON: Gier frisst Hirn

In „There will be blood“ porträtiert Paul Thomas Anderson einen geldgierigen Ölmagnaten, für dessen überragende Darstellung Daniel Day-Lewis verdientermaßen den Oscar gewonnen hat.

Just take a seat and watch it burn…

Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis der erste Satz gesprochen wird. Die Anfangsszene zeigt eine verdreckte und verwahrloste Gestalt in einer Grube werkeln, und man ahnt, dass hier nach Bodenschätzen gegraben wird. Die Einsamkeit im heißen Sand wird regelrecht fühlbar, die Erniedrigung, der der Glücksritter sich unterzieht, der mit bloßen Händen und nur wenigem Werkzeug in einem dunklen und gefährlichen Erdloch scharrt. Der Mann, dessen Lebensgeschichte in den nächsten 158 Minuten erzählt wird, heißt Daniel Plainview, und es ist die Gier nach dem großen Geld, die ihn diese scheinbar jämmerliche Existenz in der kalifornischen Gesteinswüste führen lassen. Eines Tages, so ist sich Plainview sicher, wird er fündig, eines Tages werden sich die Mühen lohnen und er ausgesorgt haben. Doch es ist nicht das Silber, nach dem er ursprünglich gesucht hat, das ihn zu Geld und Ruhm kommen lassen.
Plainview stößt auf Öl, den Schmierstoff der sich Anfang des 20. Jahrhunderts rasant entwickelnden Industrialisierung. Sein halbwüchsiger Sohn H.W. ist sein Partner, der das Öl mit der Muttermilch aufgesogen hat.

Plainview ist kein abgrundtief böser Mensch, jedenfalls nicht zu Beginn des Films. Zwischen diesem und dem Ende liegen immerhin mehrere Jahre von Plainviews Leben, die im Zeitraffer vorbei laufen. Er ist einfach nur geldgeil, und wenn man dazu jemanden übers Ohr hauen muss, dann tut er das, ohne mit der Wimper zu zucken. Als er eines Tages auf Ölvorkommen auf dem Land der armen Farmerfamilie Sunday stößt, will er sie für einen Appel und ein Ei abspeisen. Da kommt ihm Eli, Sohn der Sundays und fanatischer Prediger der „Kirche der dritten Offenbarung“, in der Quere. Eli will von Plainview Geld für seine Kirche.

Religion und Öl, Spiritualität und der schnöde Mammon, es ist dies eine Symbiose, die auch heute noch im Kapitalismus Hochkonjunktur hat. Geld an sich ist nicht schlecht, denn Gott gibt nur dem, der es sich auch verdient hat. Doch Plainview und der Sohnemann der Sundays sind sich nicht grün, zwei Dickköpfe prallen aufeinander. Als H.W. bei einem Unfall auf einem Ölfeld verletzt wird, gibt Eli Sunday dem Vater die Schuld, da der eifrige Prediger die Quelle vorher nicht segnen durfte. H.W. bleibt taub, ein Leben lang gezeichnet vom Ölrausch. Eli Sunday und Daniel Plainview verzetteln sich nun in einen Kampf der Egomanen, bei dem scheinbar Eli immer eine Nasenlänge voraus ist. Er demütigt Daniel, indem er ihn vor versammelter Christengemeinde dazu zwingt zuzugeben, seinen Sohn im Stich gelassen zu haben. Es ist der einzige Weg für Daniel, an ein Grundstück eines der Mitglieder der Kirchengemeinde zu gelangen, das er für den Bau seiner Pipeline braucht. Eli genießt die Demütigung, und nun brennen bei Daniel alle Sicherungen durch. Das Böse bricht sich seine Bahn, Plainview sinnt auf Rache, und es kommt zum Showdown zwischen dem mindestens genau so geldgierigen Prediger und dem Ölmagnaten.

„There will be blood“ ist eine Adaptation des Romans „Oil“ von Upton Sinclair aus dem Jahr 1927. Bei der Oscar-Verleihung vergangene Woche erhielt Daniel Day-Lewis den Oscar für seine Darstellung des Daniel Plainview. Der Film zeigt die Macht des Geldes über die Moral, und die fatale Wirkung von Macht und Geld auf labile Charaktere. Eine der Parolen der Anti-Irak-Kriegsbewegung lautete „No blood for oil“ – doch dass das Kapital über Leichen geht, ist keine Entwicklung der Neueren Geschichte. Als in einer Szene des Films ein Bohrturm explodiert und das sprudelnde Öl Feuer fängt, weckt dies unweigerlich Assoziationen an die brennenden Ölfelder in Kuwait während des ersten Golfkriegs Anfang der 90er Jahre. „There will be blood“ beschreibt beeindruckend, dass der Fluch des Öls viel älter ist. Längst ist das schwarze Gold zum Paria geworden, Schuld an Klimawandel und Kriegen, an Luftverschmutzung und ausuferndem Individualverkehr. Irgendwann wird das Öl alle sein, und die Menschheit wird sich neu orientieren müssen, will sie nicht im kalten und dunklen sitzen. „There will be blood“ erzählt von den blutigen Anfängen einer Epoche, deren Ende absehbar ist.

Im Utopolis


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