ABSCHIEBUNGEN: Endstation Hoffnung

Tope, Mathias und Victor wollten in Luxemburg ihren Traum von einem besseren Leben verwirklichen. Trotz vorbildlicher Integration wurden sie abgeschoben.

„We Shall Not Be Moved”: Demonstration für das Bleiberecht von MigrantInnen in Luxemburg am vergangenen Mittwoch auf der
Place Clairefontaine.

Tope Omissor hat Angst. Er will nicht in das Flugzeug steigen und versucht sich zu wehren. Vergeblich. Die Polizeibeamten haben ihn unter Kontrolle. Er ist noch schwach. Als sie ihn vor einer Woche abholten, hat der 21-Jährige einen Zusammenbruch erlitten. Verdacht auf Herzinfarkt. Dennoch befand ihn der zuständige Arzt für reisetauglich. Der Protest, den ASTI, ASTM und die Christliche Vereinigung zur Abschaffung der Folter einlegten, blieb ohne Erfolg. Auch eine Kundgebung auf der „Place Clairefontaine“ vor dem Außenministerium kann die Abschiebung nicht mehr verhindern.

„Wir haben die Dossiers genau geprüft“, beteuert der beigeordnete Außenminister Nicolas Schmit. „Aber wir fanden nichts, was gegen eine Ausweisung sprechen würde.“ Die Polizei bringt Tope am Donnerstagmorgen, dem 28. Februar, zusammen mit drei anderen nigerianischen Asylbewerbern aus der Abschiebehaft zum Flughafen Findel. Begleitet von acht Polizeibeamten, einer Krankenschwester und einer Begleitperson vom Roten Kreuz, werden sie mit einer Chartermaschine nach Lagos geflogen. Nach einer Zwischenlandung in Algerien erreicht das Flugzeug am Nachmittag die nigerianische Millionenmetropole.

„Als wir ankamen, verloren wir einander schnell aus den Augen“, erzählt Tope einen Tag später. „Dann überprüften die Zollbeamten meine Identität und verhörten mich. Ich hatte große Angst.“ Er kennt die Erzählungen von anderen Asylbewerbern. Unter ihnen geht das Gerücht um, die Rückkehrer würden in Nigeria ins Gefängnis geworfen und nur gegen Bezahlung freigelassen. Tope weiß: Ohne Bestechung läuft dort nichts. Laut der Anti-Korruptionsorganisation „Transparency International“ hat das westafrikanische Land eines der korruptesten Staatswesen der Welt. Die Polizei lässt sich für jeden Schritt bezahlen. Wer im Gefängnis sitzt, hat ohne Geld schlechte Karten. Doch Tope hat Glück im Unglück: Eine Frau unter den Zollbeamten spricht Yoruba, seine Sprache. Sie ruft ihm ein Taxi. Der junge Mann fährt zu einem Freund. Bei dem ist er seither untergebracht. Ihm gehe es gut, sagt er am Telefon, doch seine Stimme klingt traurig. Er spricht Luxemburgisch. „Ich vermisse meine Freundin und meine Freunde in Luxemburg.“

Fast fünf Jahre hat Tope im Großherzogtum verbracht. Als 17-Jähriger verließ er Lagos, nachdem sein Vater, der sich für eine Oppositionspartei engagiert hatte, ermordet worden war. Seine Familie ist verschwunden, Tope entkam. Wie Abertausende anderer Afrikaner, die ihr Leben riskieren, um nach Europa zu gelangen und die vor Bürgerkriegen, Hungersnöten und Chaos fliehen, zog es den Teenager in der Hoffnung auf ein besseres Leben nach Europa. Die Flüchtlinge vertrauen sich skrupellosen Schleppern an. Für manche endet die Reise in der Wüste, andere ertrinken im Meer, wiederum andere kommen durch. Tope schaffte es nach Luxemburg. Hier absolvierte er Praktika bei der Caritas und bei H&M, lernte Französisch und Luxemburgisch und lebte in einer luxemburgischen Familie. In dem Filmprojekt „Behind the Dream“ von Interactions anlässlich eines europäischen Jugendcamps vertrat er Luxemburg.

„Wir geben den Asylbewerbern die Chance, eine Ausbildung zu absolvieren und sich zu integrieren“, erklärte unlängst Minister Nicolas Schmit. Tope Omissor hat sich gut integriert. Ebenso Mathias Jonas, der im September 2004 nach Luxemburg kam. Er hat keine Familie mehr in Nigeria, seine Frau und seine beiden Kinder sind verschwunden. Der heute 34-Jährige nahm an dem ASTI-Projekt „go4lunch“ teil. Seine Freunde beschreiben ihn als ruhigen, zurückhaltenden Menschen. Der Gleichaltrige Victor Akpala wirkte bei dem Theaterstück „Hurt and Dignified“ mit. Doch kurz vor der Premiere wurde er ins Schrassiger „Centre de rétention“ gesteckt, wie später auch Tope und Mathias. „Wir haben nichts verbrochen“, betonten die drei immer wieder. Nur der vierte Nigerianer, der abgeschoben wurde, war wegen eines Drogendelikts ins Gefängnis gekommen.

„Unverständlich sind die Kriterien für die Abschiebung“, erklärt Jean Lichtfous von der ASTI. „Es ist wie ein Lotteriespiel.“ Er kritisiert, dass Flüchtlinge mit Kriminellen gleichgesetzt werden. In der Tat scheint der Zufall zu regieren: Wann bekommt wer einen Negativbescheid? Wann gibt es ein definitives „annulé“, was dazu führt, dass der Betroffene weder finanzielle Unterstützung noch einen Busfahrschein bekommt und zudem ständig in Angst leben muss, eines Tages abgeholt zu werden? Aufatmen darf höchstens, wer eine „tolérance“, einen Aufschub von sechs oder neun Monaten gewährt bekommt. Ein Auswahlprinzip ist nicht zu erkennen ? nur das System der Willkür.

Die Diplomaten der nigerianischen Botschaft müssen vor einer Abschiebung in Luxemburg prüfen, ob der jeweilige Asylbewerber aus ihrem Land stammt. Eine illegale Vorgehensweise, wie sich herausgestellt hat.

Die Fluchtgeschichten der afrikanischen Asylbewerber gleichen einander häufig. Nicht immer sind sie glaubhaft. Allerdings werden sie auch kaum richtig überprüft. Stattdessen dient jedes unstimmige Detail als Argument für eine Ablehnung. Wird der Name einer Person bei der Schilderung der Flucht einmal falsch geschrieben, hegen die zuständigen Beamten Zweifel und es schwingt bereits das Damoklesschwert über dem Antragsteller. Gegen einen Negativbescheid kann er zwar beim Verwaltungsgericht Klage einreichen, bestätigt dieses jedoch den Entschluss, liegt die Entscheidung in den Händen des Ministers. Ein dreifacher Negativbescheid bedeutet die endgültige Ablehnung. Zurzeit befinden sich rund 200 Asylbewerber aus Nigeria in Luxemburg, die davon betroffen sind. Nur 22 erhielten ein immerhin befristetes Bleiberecht.

Die im Zuge der europaweit angestrebten Harmonisierung der Asylpolitik strengeren Asylprozeduren haben ihre abschreckende Wirkung nicht verfehlt: Die Zahl der Antragsteller ist in Luxemburg von 1.577 im Jahr 2004 auf 426 im vergangenen Jahr zurückgegangen. Einen ähnlichen negativen Effekt sollen die Abschiebungen haben. Jean Lichtfous befürchtet, dass die aktuelle Aktion der Auftakt einer Serie ist. Als Grundlage könnte jenes Rückführungsabkommen dienen, das Außen- und Immigrationsminister Jean Asselborn 2006 mit Nigeria traf. Ein „memorandum of understanding“, nennt es dessen Stellvertreter Nicolas Schmit, ein „gentlemen’s agreement“. Nigeria gehöre bestimmt nicht zu den sichersten Ländern, gibt der beigeordnete Minister zu. Das hieße jedoch nicht, fügt er hinzu, dass niemand dorthin abgeschoben werden könne.

Dazu bedarf es aber in jedem einzelnen Fall eines Passierscheins der nigerianischen Botschaft. Deren Diplomaten müssen in Luxemburg überprüfen, ob der jeweilige Asylbewerber aus ihrem Land stammt. Eine illegale Vorgehensweise, wie sich herausgestellt hat: Denn laut einer 1963 in Wien getroffenen internationalen Konvention darf ein Asylbewerber nicht zum Kontakt mit den Autoritäten seines Herkunftslandes gezwungen werden. Dass die Menschenrechte in Nigeria nach wie vor mit Füßen getreten werden, belegen die jährlichen Berichte von Amnesty International und Human Rights Watch. Tausende von Menschen befinden sich in dem ölreichen Staat ohne Gerichtsverfahren im Gefängnis. Die Rivalitäten der einzelnen ethnischen Gruppen haben unzählige Todesopfer gefordert. Die Präsidentschaftswahl im April vergangenen Jahres war von Gewalt und massiven Unregelmäßigkeiten geprägt. Bei Auseinandersetzungen zwischen Anhängern der regierenden „People’s Democratic Party“ (PDP) und der Opposition kamen mindestens hundert Menschen ums Leben. Sabotageakte und Anschläge auf Ölförderanlagen im schwer umkämpften Nigerdelta sind an der Tagesordnung, regelmäßig werden Mitarbeiter ausländischer Erdölfirmen entführt. In dem Gebiet bekriegen sich mehrere Rebellengruppen.

Die Wirtschaftsmetropole Lagos mit ihren offiziell elf Millionen Einwohnern ist durchdrungen von giftigen Kloaken, übersät mit Müllhalden und eingehüllt in eine stinkige Smogdecke. In der zweitgrößten Stadt Afrikas herrschen Elend und Gewalt. Gangs terrorisieren ganze Viertel. Die örtliche Tageszeitung „Guardian“ buchstabiert Lagos mit „Lawlessness, Armed Robbery, Gridlock, Overpopulation, Stench“ (Gesetzlosigkeit, bewaffnete Überfälle, Verkehrschaos, Überbevölkerung, Gestank). In der Megalopolis ist Leben längst zum Überleben geworden. 80 Prozent der Bewohner müssen mit weniger als einem Euro pro Tag auskommen. Es gibt viele Gründe, diesen Moloch zu verlassen. „Das Leben hier ist nicht einfach, es ist sogar gefährlich“, sagt Tope. Vier Tage nach seiner Abschiebung wohnt er noch bei einem Freund in Ijesha Surulere im Osten von Lagos. Seit seiner Ankunft hat er keinen Schritt vor die Tür gesetzt. „Ich habe Angst nach draußen zu gehen.“

Nach den Worten des beigeordneten Immigrationsministers gehören die Abschiebungen zum Asylverfahren. Wenn eine Sanktion nicht angewandt wird, so seine Logik, ist auch das System in Frage gestellt. Die Abschiebungen sollen human sein. Um dies zu bestätigen, wird eine Beobachterin des Roten Kreuzes mitgeschickt, die einen sauberen Ablauf garantieren soll. Die Organisation liefert danach einen Bericht an das Ministerium, doch dieser bleibt geheim, was die ASTI immer wieder anprangert. Pfarrer Eamonn Breslin, Oberhaupt der englischsprachigen Kirche in Luxemburg, kritisiert die unmenschliche Behandlung der Flüchtlinge bei den Abschiebungen. Victor Akpala gehörte zu seiner Gemeinde. Angestrebt sind laut Immigrationsministerium sogar Sammelabschiebungen abgelehnter Asylbewerber aus mehreren Ländern. Die sind nicht nur billiger und effizienter, sondern werden zum großen Teil aus Mitteln der Europäischen Union finanziert. „Return“ heißt das 2005 in Evian beschlossene Projekt, das bereits in mehreren Ländern praktiziert wurde. „Von einer Bündelung der Kräfte“ sprach damals Nicolas Sarkozy, zu jener Zeit noch französischer Innenminister.

Die Kräfte bündeln wollen auch die luxemburgischen Unterstützer der von der Abschiebung Bedrohten. In einer erneuten Kundgebung am Mittwoch wurde ein altes Protestlied der US-amerikanischen Gewerkschaftsbewegung gesungen. „We Shall Not Be Moved“ hallte es über die Place Clairefontaine, dazu die Djembe-Trommeln der Africulture-Gruppe der ASTI. Für ein Bleiberecht der Betroffenen spricht vieles. Die meisten haben sich integriert. Jeder hätte auf dem hiesigen Arbeitsmarkt Chancen, stellt Jean Lichtfous fest. Auch Tope: In Nigeria habe er keine Zukunft, sagt er und fügt hinzu: „Ech wëll rëm op Lëtzebuerg. Do sinn ech doheem.“

Bustos Domecq ist freier Mitarbeiter der woxx. Er arbeitet vor allem zu den Themen Migration und Lateinamerika.

 

Am kommenden Dienstag, dem 11. März, wird Immigrationsminister Nicolas Schmit um 17 Uhr eine Delegation aus Betroffenen und der Asti empfangen. Zu ihrer Unterstützung gibt es zeitgleich auf der Place Clairefontaine vor dem Außenministerium eine Solidaritätsaktion. 


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