KLIMAWANDEL: Trumpf im Ärmel

Um den Klimawandel aufzuhalten, müsste jeder Akteur seine besten Karten ins Spiel bringen. Der Versuch, klüger zu sein als die anderen, könnte für alle böse enden.

Survival of the fittest – Bootskauf als Antwort auf die Klimabedrohung?

Dienstag, 13. März 2008. Eine Chamber-Sitzung wie viele andere. Orientierungsdebatte zum Klimapaket der EU-Kommission. Umweltminister Lucien Lux übt den Spagat. „Nichts zu tun angesichts des Klimawandels, würde die Basis für den künftigen Wohlstand schädigen (…) der Klimaschutz ist auch eine Chance (…). Wenn wir jetzt die Hände in den Schoß legten, müsste man uns später dafür einsperren…“

Während es weltweit notwendig ist, einen Pro-Kopf-CO2-Ausstoß von unter zwei Tonnen jährlich zu erreichen, ist es in Luxemburg unmöglich, zwanzig Tonnen zu unterschreiten.

Ob Lux hinter Gitter gehört, mögen die Nachgeborenen entscheiden. Ein Denkmal wird man ihm wohl kaum errichten. Zwar scheint der Minister den Ernst der Stunde erkannt zu haben und sich grundsätzlich zu den – immer noch bescheidenen – CO2-Reduktionszielen der EU-Kommission zu bekennen. Doch wenn es um konkrete nationale Ziele geht, setzt er sich dafür ein, dass Luxemburg weitgehend so weitermachen kann wie bisher.

Lux kritisiert, dass die Kommission die Lastenverteilung anhand des Pro-Kopf-BIPs vorgenommen hat, das die Produktivität der GrenzgängerInnen einschließt. Dabei würde jede sinnvolle Berechnungsmethode zum gleichen Ergebnis kommen: Luxemburg stößt überdurchschnittlich viel CO2 aus und muss deshalb überdurchschnittlich viel davon einsparen. Doch der Umweltminister sieht das anders, und mit ihm sämtliche Chamber-Fraktionen mit Ausnahme der Grünen: Die Potenziale zur Reduktion von CO2 und zum Ausbau der erneuerbaren Energien lägen niedriger als das, was die Kommission von Luxemburg verlange. Mit anderen Worten: Während es weltweit notwendig ist, einen Pro-Kopf-CO2-Ausstoß von unter zwei Tonnen jährlich zu erreichen, ist es in Luxemburg unmöglich, zwanzig Tonnen zu unterschreiten.

„… außer wir verzichten auf den Tanktourismus und die damit verbundenen 1,4 Milliarden Euro in der Staatskasse“, so der LSAP-Abgeordnete Roger Negri während der gleichen Chambersitzung. Das aber wolle wohl niemand. Der laut Negri für das hohe Niveau von Sozialleistungen in Luxemburg unabdingbare Treibstoffexport wird der nationalen CO2-Bilanz zugeschlagen. Seine Rechnung: Der Tanktourismus bringt derzeit ein Vielfaches von dem ein, was Luxemburg für die Überschreitung seines Klimaschutzziels bezahlen muss. „Die LSAP wird nicht vor den Wagen laufen, so lange es nicht notwendig ist.“ Und so unterstützt Negri die Forderung seines Parteikollegen Lux nach „flexibleren Möglichkeiten“ bei der Erfüllung der CO2-Vorgaben. Dass es eigentlich notwendig wäre, wenn schon nicht dem Tanktourismus, dann doch dem Spritpreisdumping den Garaus zu machen, scheint dem ansonsten als Verfechter des Schienentransports auftretenden Abgeordneten entgangen zu sein.

Die LSAP nimmt mittlerweile – aus Sorge um den Erhalt des Sozialstaates? – in der Klimadebatte die umweltfeindlichste Position ein. Das ist unklug, denn es ermöglicht der Koalitionspartnerin CSV, sich einen grünen Anstrich zu geben, obwohl sie ihren Teil der Verantwortung trägt. Schließlich wäre Budgetminister Luc Frieden vermutlich eher bereit, sämtliche AsylbewerberInnen zu regularisieren, als die benötigten massiven Finanzmittel für eine Energiewende zur Verfügung zu stellen.

Beim derzeit stattfindenden EU-Frühjahrsgipfel, der das Klimaschutzpaket der Kommission begutachtet, steht Luxemburg mit seiner Forderung nach „mehr Flexibilität“ nicht allein da. Auch Länder wie Spanien und Großbritannien möchten stärker auf die „flexiblen Mechanismen“ (FM) zurückgreifen. Dabei geht es um die Möglichkeit, das bei Projekten in anderen Ländern eingesparte CO2 auf die nationale Bilanz anrechnen zu können. Im jetzt vorliegenden Kommissionsplan dürfen höchstens drei Prozent des Reduktionszieles auf diese Weise erbracht werden.

Eigentlich klingt die Luxemburger Argumentation logisch: Als atypisches Land verfüge man über geringere Potenziale als andere, könne aber mehr Geld aufbringen. Deshalb solle man dem Großherzogtum erlauben, massiv auf FM zurückzugreifen. Der Haken ist, dass die meisten der FM-Projekte umweltpolitisch gesehen problematisch und entwicklungspolitisch desaströs sind (siehe woxx Nr. 923). Hinzu kommt, dass in einem künftigen Klimaschutzabkommen auch der CO2-Ausstoß für die Länder des Südens begrenzt sein wird. Die über die FM in den Norden transferierten Quoten werden dann für die wirtschaftliche Entwicklung des Südens fehlen.

Der Druck, das Maßnahmenpaket der Kommission in diese Richtung zu verändern, wird nicht der einzige Stolperstein beim Gipfel sein. Mehrere Länder betrachten die Reduktionsziele als nicht realistisch, und die EU-Finanzminister haben vor den Auswirkungen für öffentliche Finanzen und Wettbewerbsfähigkeit gewarnt. Doch es gibt nicht nur Forderungen, das Paket aufzuweichen. Ein von den europäischen Gewerkschaften sowie den Umwelt- und den Sozial-NGOs unterzeichneter offener Brief ruft die Gipfelteilnehmer auf, noch über das 20-Prozent-CO2-Ziel hinauszugehen. Die Wettbewerbsfähigkeit könne aufrechterhalten werden mittels einer „border tax“ auf Produkten aus Ländern, die den Klimaschutz untergraben.

Unklar ist, welche Schlussfolgerungen die Staats- und Regierungschefs aus dem Bericht „Klimawandel und internationale Sicherheit“ von EU-„Außenminister“ Javier Solana ziehen werden. Auf ihrer Webseite „Wir Klimaretter“ hoffen die Autoren des gleichnamigen Buches, dass der „riesige Problemdruck“ den Anstoß zu einer Einigung bei den Klimaschutzverhandlungen liefern werde. Solana beschreibt die Erderwärmung als Bedrohungsmultiplikator für bereits gegebene Instabilitäten auf internationaler Ebene. So seien Verteilungskämpfe um verknappende natürliche Ressourcen wie Wasser vorprogrammiert. Die EU könne auf der Ebene der Konfliktprävention und dem Krisenmanagement auf diese Bedrohungen antworten.

Doch die Probleme auf anderen Kontinenten könnten laut Solana schnell zu europäischen Problemen werden. So sei bis 2020 mit Millionen von „Umweltflüchtlingen“ zu rechnen, auch der Migrationsdruck auf Europa steige. Weltweit werde es einen Rush auf die zur Neige gehenden fossilen Energieträger geben. Weil die größten Reserven in Regionen liegen, die besonders vom Klimawandel betroffen sind, sei die Energieversorgung doppelt gefährdet. Im Bericht wird vor „nie dagewesenen Sicherheitsszenarien“ gewarnt.

Der Fatalismus des Solana-Berichts könnte dazu verführen, mehr Gewicht auf die Vorbereitung der vorhergesagten Klimakrisen zu legen als auf ihre Prävention.

Weil zwar die Gefahren gut beschrieben, die Handlungsoptionen aber sehr vage formuliert sind, lässt sich der Solana-Bericht auch anders denn als Aufforderung zu mehr Klimaschutz verstehen. Die Redaktion der Website „Schattenblick“ sieht darin eine Aufforderung, die Flüchtlingsabwehr der EU zu verstärken: Zusätzlich zu dem Hightech-Zaun an der Ostgrenze würden bald die Seerouten lückenlos überwacht. Auch der im Bericht vorgeschlagene Ausbau der „Instrumente zur Krisenbewältigung und Katastrophenhilfe (zivil und militärisch)“ wird interpretiert: Es gehe der EU nicht nur um „die Abwehr von dicht gedrängten Flüchtlingen auf morschen Pirogen“, sondern vor allem um „die Sicherung von Ressourcen zum Zweck der Durchsetzung des eigenen Herrschaftsanspruchs“.

Wie dem auch sei, der folgende Satz aus einem Beitrag Solanas in der britischen Tageszeitung Guardian stimmt nachdenklich: „Selbst wenn wir heute wirklich alle Lichter ausknipsen würden, so wären doch die Folgen vergangener CO2-Emissionen morgen zu spüren, und wir müssen uns jetzt darauf vorbereiten. Das gilt auch für die sicherheitspolitischen Folgen.“ Dieser Fatalismus könnte die EntscheidungsträgerInnen dazu verführen, mehr Gewicht auf die Vorbereitung der vorhergesagten Klimakrisen zu legen als auf die Bremsung des Klimawandels. Luxemburg will seinen Tanktourismus-Trumpf nicht dem Klimaschutz opfern, sondern solange wie möglich nutzen, um das Danach vorzubereiten. Ähnlich könnte die EU, statt ihre wirtschaftliche Macht durch einen ökologischen Umbau zu gefährden, diese nutzen, um sich für die Kriege nach 2020 zu rüsten.


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