FILM UND MUSIK: hör/sicht/bar

Am 13. April wird in der Philharmonie das Film- und Musikprogramm „Free Radicals“ aufgeführt. Über den Genuss ausgewählter Kurzfilme und Musikstücke hinaus geht es um das Nebeneinander und Miteinander von Bildern und Klängen abseits der Mainstream-Filmmusik.

Das Sein und das Nichts: Klänge und Bilder gleichberechtigt nebeneinander.

Der Dirigent betritt die Bühne. Er breitet seine Partitur auf dem Notenpult aus, hebt die Hand, zeigt den ersten Takt an. Auf der Leinwand über der Bühne tut sein Double das Gleiche. Synchron beginnen die gefilmten MusikerInnen oben und die wirklichen unten auf der Bühne zu spielen. Zuerst setzen die BläserInnen ein: Auf der Leinwand blickt man von oben in einen Probesaal, nur der Dirigent, eine Flöte und zwei Klarinetten sind zu sehen. Dann werden zwei Violinen, zwei Bratschen und ein Cello eingeblendet, Streichakkorde begleiten die Melodie. Im Film sind immer nur die MusikerInnen zu sehen, die gerade spielen, der Blick der ZuschauerInnen geht zwischen Bühne und Leinwand hin und her.

Bady Mincks „Das Sein und das Nichts“ ist ein ganz besonderer Musikfilm: Statt ein Orchester beim Musizieren abzufilmen, oder gar die Crescendi mit Sonnenaufgängen zu illustrieren, hat sich die Luxemburger Filmemacherin für eine analytische Herangehensweise entschieden. Zusätzlich zu den ein- und ausgeblendeten MusikerInnen defiliert die Partitur des Stückes von rechts nach links unter den Figuren hindurch. Auf der Leinwand sieht man also die Noten und darüber die dazu gehörenden Musikerfiguren, die genau dann auftauchen, wenn ihre KollegInnen auf der Bühne einsetzen. Dass die Figuren bei einem Crescendo schon mal ins Riesenhafte wachsen, sorgt für Heiterkeit.

Das Bild macht die Musik

Am Schluss des Stückes, zum Klang des tosenden Beifalls, ist es der Leinwand-Dirigent, der wächst. „Das ist ein ironischer Kommentar“, erklärt Bady Minck im Gespräch mit der woxx. „Ich wollte darauf hinweisen, dass an einem Projekt wie diesem gut 40 Personen beteiligt sind, aber nur eine oder zwei davon im Rampenlicht stehen.“ Minck, die mit ihrer politischen Aktionskunst die herrschenden Verhältnisse hinterfragt, konnte es sich nicht verkneifen, am Rande des eher unpolitischen „Free Radicals“-Projekts Kritik am herrschenden Kunstbetrieb zu üben.

Bei „Free Radicals“, das nach Venedig und Wien am 13. April in der Luxemburger Philharmonie gezeigt wird, geht es um das Verhältnis von Film und Musik. Auf dem Programm stehen ein halbes Dutzend Kurzfilme, mehrere für dieses Projekt konzipierte Musik-Film-Werke und ein halbes Dutzend Musikstücke. Außer zu den Kurzfilmen wird die Musik live vom Klangforum Wien gespielt. Der Programmteil mit reiner Musik besteht aus moderner Klassik, von Arnold Schoenberg bis Karlheinz Stockhausen. Für den Man-Ray-Film „Le retour à la raison“ wurden drei zeitgenössische KomponistInnen beauftragt, eine „Begleitmusik“ zu schreiben. Bady Minck ihrerseits hat in dreijähriger Arbeit zwei „Begleitfilme“ zu Stücken von Beat Furrer und Morton Feldman geschaffen.

„2003 sind Mitglieder des Klangforums Wien an mich herangetreten, nachdem sie meinen Film? Im Anfang war der Blick‘ gesehen hatten“, erinnert sich Minck. Das Klangforum, 1985 vom Komponisten und Dirigenten Beat Furrer gegründet, ist ein selbstverwaltetes, auf zeitgenössische klassische Musik spezialisiertes Ensemble. Die MusikerInnen fanden die normalen Stummfilm-mit-Musik-Programme unbefriedigend, weil die klangliche Dimension dabei meist im Hintergrund bleibt. In den beiden Minck-Filmen ist die Musik sicher nicht unterlegen, denn es wurde auf eigenständige Stücke zurückgegriffen. „Ziel meiner Filme wie auch des gesamten Programms ist, Musik und Film als gleichberechtigte Medien zu behandeln“, sagt Minck. „Wobei mal das eine, mal das andere mehr im Vordergrund steht.“

Beim Kurzfilm „Attention: Light!“ von Jòzef Robakowski und Paul Sharits zum Beispiel ist das Bild völlig von der Musik abhängig. Der Film besteht aus einer Abfolge von die Leinwand ausfüllenden Farbflächen zu einer Mazurka von Chopin, wobei jedem Ton eine Farbe entspricht. Das Farbflimmern ist zwar anstrengend für das Auge, doch die Klavierklänge lassen die Bilder logisch und notwendig erscheinen. Ohne die Musik dagegen existiert dieser Film nicht. Sobald man den Ton abschaltet, will das Gehirn nichts anderes mehr erkennen als willkürliches Geflacker.

Ganz anders dagegen Barbara Dosers „even odd even / distilled“. Die pulsierenden schwarz-weißen Muster sind eine perfekte Ergänzung zu den anschwellenden, ausklingenden und nachhallenden elektronischen Klänge von Kurt Hofstetter. Dreht man hier den Ton weg, so „hört“ man die visuellen Strukturen weiter klingen. Umgekehrt kann man die Augen schließen und trotzdem, auf der Grundlage der Musik, die Veränderung der Muster „sehen“.

Freiheit für die Töne

Die Programmzusammenstellung durch Bady Minck und das Klangforum-Team war ein komplizierter – und nicht abgeschlossener – Prozess. Zum Beispiel war der Film „78 tours“ von Georges Schwizgebel, der bunte, nostalgische Bilder zu Walzerklängen drehen und sich verändern lässt, in der Vorauswahl enthalten, wird nun aber nicht gezeigt. „Die Musik passt nicht und die Bilder sind zu gefällig“, kommentiert Minck. Man riskiere immer, die Aufmerksamkeit des Publikums mit gefälligen Sequenzen von den anspruchsvolleren Stücken abzulenken.

Die Filmemacherin gibt sich auch kritisch, was „traditionelle“ Filmmusik angeht: „Die meiste Musik zu Hollywood-Filmen dient dazu, die durch die Bilder hervorgerufenen Emotionen zu verstärken.“ Man gestehe den Komponisten kaum Freiheiten zu, und die Musik die dabei herauskomme, könne nicht für sich stehen. „In den großen Filmstudios ist kein Platz für Kunst, da geht es nur ums Geld.“ Minck meidet die Mainstream-Filme: „Da schlaf‘ ich nach einer halben Stunde ein.“

Begeistern kann sich die Künstlerin dagegen für Avantgarde-Filme wie „A Study in Choreography for the Camera“ von Maya Deren aus dem Jahr 1945, der ebenfalls im Rahmen von Free Radicals gezeigt wird. Ein Stummfilm, doch „die Schnitte sind wie Musik“, sagt Minck. Bei vielen Stummfilmen hört sie zwar nicht Musik, aber einen Takt ? „das Herzklopfen des Films“. Und in ihrem eigenen Film mit den auf- und abtauchenden Musikerfiguren sollte man, so die Filmemacherin, die Musik anhand der Bilder „hören“ können.

Die Struktur von Beat Furrers „Ein Lied, das über das Ende des Liedes hinaus ein anders Ende finden wollte“ ist jedenfalls in Bady Mincks „Das Sein und das Nichts“ optisch wie akustisch nachvollziehbar. Die Dekonstruktion einer Melodie von Schumann, die sich in einzelne Noten auflöst, wird durch die gegen Schluss des Stücks nur noch blitzartig zu sehenden Musikerfiguren veranschaulicht – auch das filmische Konstrukt löst sich auf.

In ihrem Film „Schein Sein“ ist der Ansatz kein analytischer – das Stück „Madame Press Died Last Week at Ninety“ von Morton Feldman steht eher für meditative Musik. Die Filmemacherin verändert unmerklich die Kulisse, von einer Aufstellungsskizze zum realen Ensemble, vom Spielen in einem leeren Saal zu einem gut besuchten Konzert. Die Musik zieht derweil ihre eigenen Bahnen – losgelöst vom realen Umfeld. Und dennoch der physischen Realität verhaftet: „In Feldmans Art und Weise zu komponieren gibt es Bezüge zu bildender Kunst“, erläutert Minck. „Die Aufstellung der MusikerInnen ist wichtig: Die Klänge sind im Raum verteilt wie Farbelemente.“ Die Filmemacherin bedauert, dass diese Dimension bei reinen Filmvorstellungen teilweise verloren geht. Um den Raumklang richtig zu hören, gehe nichts über eine Vorstellung mit Live-Musik, wie sie in der Philharmonie gegeben wird.

Drei Mal live

Live interpretiert werden auch die drei Kompositionen zu „Le retour à la raison“, dem experimentellen Film von Man Ray. 1923 als Stummfilm konzipiert, kann der Film ohne musikalische Begleitung gesehen werden, darüber sind sich die drei KomponistInnen, von der woxx befragt, einig. Das Erlebnis sei aber tiefer, intensiver und komplexer in Verbindung mit Musik, meint Theo Verbey. James Clarke dagegen pocht auf die Eigenständigkeit der beiden Medien: „Meine Musik ist eine unabhängige Aussage. Im Gegensatz zu ?Filmmusik‘, die direkt an den Film anknüpft.“ Clarke missfällt, wenn Musik Veränderungen der Stimmung oder des Subjekts des Filmes aufgreift und damit eine Interpretation suggeriert.

Man Rays Filmsequenz besteht zum Teil aus Rayogrammen, also weißen Schatten von Objekten auf belichtetem schwarzen Hintergrund, die durch das Bild laufen. Misato Mochizuki hat sich von solchen Bildelementen inspirieren lassen: „Bei den tanzenden Nägeln habe ich gleich an den Klang von Metall gedacht.“ Theo Verbey hat eher die Struktur des Films aufgegriffen: „Gegen Ende des Filmes folgen die Schnitte schneller aufeinander und die Schlusssequenz mit der nackten Frau funktioniert wie eine Coda.“ James Clarke hat bewusst eine Antithese zum Genre der Filmmusik komponiert: „Meine Musik verändert sich wenig und wenn das Bild wechselt, wechselt nichts Entsprechendes in der Musik.“ Das bringe den Zuschauer dazu, die Veränderungen im Film, also dessen Struktur, zu sehen. Man könne diese Musik durchaus zu einem anderen, passend gewählten Film spielen, meint Clarke.

„Wir verzichten darauf, den ?Retour à la raison‘ ein viertes Mal ohne Ton zu zeigen“, sagt Bady Minck. Die Klangteppiche von Clarke würden das Filmerlebnis wenig beeinträchtigen, also fast dem Stummfilmerlebnis entsprechen. Bei Verbey sticht für Minck die Entsprechung von musikalischer und filmischer Dramaturgie hervor. Misato Mochizukis Musik schließlich gehe auf die einzelnen Facetten des Films ein und sei stark mit den Bildereignissen synchronisiert – im Ergebnis fast „Comic-mäßig“.

In der Verschiedenheit der drei Kompositionen könne man einen Hinweis darauf sehen, „wie verschieden unsere Blicke auf die gleiche Welt sind“, so Mochizuki. „Wenn wir sie mit der Musik zeigen, sind es drei verschiedene Filme“, sagt Minck. „Bei Clarke laufen die Bilder wie in Zeitlupe ab, Mochizukis Fassung ist sehr kurzweilig und Verbeys Begleitung suggeriert eine Einheit des Gezeigten.“

In gewisser Weise ist also dieser Teil des Free-Radicals-Projekts eine audiovisuelle Fortsetzung von Man Rays rein visuellem Experiment von vor 80 Jahren. Man darf gespannt sein auf das Live-Erlebnis am 13. April in der Philharmonie.

Free Radicals – Musik und Film in verdichteter Form.
Filme und Live-Musik, interpretiert vom Klangforum Wien unter der Leitung von Jean Deroyer.
Am 13. April, 20h in der Philharmonie.
Um 18h30 Backstage: Podiumsdiskussion „Mit den Augen hören, mit den Ohren sehen – Perspektiven für die Begegnung von Film, Musik und Kunst“ in Anwesenheit von Bady Minck (Details: woxx-Agenda Seite 9).
www.badyminck.com


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