POP: Die lässige Wut

Die Hamburger Musterschüler von Tocotronic pflegen seit 15 Jahren ihren kritischen und poetischen Diskursrock, ohne in Routine zu erstarren.

Kapitulation kann befreiend sein – und ein Anstoß zum Neuanfang. Kapitulation ist aber auch Unterwerfung. Im kommerziellen Sinne haben sich Tocotronic nie unterworfen – vor allem saßen sie keinen Moden auf. Vielmehr haben sie seit ihrer Gründung vor 15 Jahren immer wieder Kontrapunkte zum Zeitgeist gesetzt. Dass sie zusammen mit „Blumfeld“ und „Die Sterne“ die so genannte Hamburger Schule bildeten, geschah eher ungewollt. Wie mit vielem, was sie am Wegesrand ihrer Bandgeschichte fanden, gingen sie auch damit ironisch diskursiv um: Eines ihrer Lieder heißt bezeichnenderweise „Ich bin neu in der Hamburger Schule“.

Die mittlerweile aus vier Mitgliedern bestehende Band um den aus Baden zugewanderten Verseschmied Dirk von Lowtzow hat mit Titeln wie „Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein“ oder „Wir kommen uns zu beschweren“ prägende Slogans in die Welt gesetzt, die sogar die T-Shirts ihrer Fans zieren. Auf ihrem ersten Album „Digital ist besser“ brachte das damalige Trio nicht nur ihre Abneigung gegen Gitarrenhändler und Freiburger Fahrradfahrer zum Ausdruck, sondern demonstrierte, dass sich hinter der Schale scheinbar oberflächlicher Banalitäten die tiefgründige Reflexion über die Gegenwart verbirgt. Dirk von Lowtzow bastelte aus Alltagsphrasen die von Reimen unbeschwerte Lyrik zur philosophisch-dialektischen Reflektion. Der scheppernde, von Grunge, Punk und Garagenrock geprägte Gitarrensound unterstrich die sperrige Verweigerungshaltung gegenüber dem Mainstream. Tocotronic machten aus ihrem Argwohn gegenüber Trends nie einen Hehl, ohne in todernster Introvertiertheit zu erstarren. Ihre cool-scheue Lässigkeit im Auftreten verbarg dabei das gehörige Potenzial Wut, das in ihnen schlummerte.

Die Assoziation der Hamburger Schule der Pop-Avantgarde mit der Frankfurter Schule der Kritischen Theorie kommt nicht von ungefähr: Die Diskursrocker und „Ja, aber“-Sager von der Alster stellen das ständig verneinende Subjekt dar und das poetische Ich als Sand im Getriebe der instrumentellen Vernunft. Politisch blieben sie sich treu, indem sie oft ihre Solidarität mit antifaschistischen und neoliberalisierungskritischen Gruppen erklärten und nicht auf den Zug des „Wir sind auch wer“ des neuen deutschen Pops aufsprangen. Den „Comet“ des Musiksenders Viva lehnten sie dankend und konsequenterweise ab, Nationalisierungstendenzen erteilten sie ebenso ihre Absage wie einer unpolitischen Harmonisierung, auch wenn einer ihrer neueren Songs den Titel „Harmonie als Strategie“ trägt. „Dieses ganze Scheiß Harmlosistan“ – so der Kommentar von Dirk von Lowtzow in einem Interview.

Dass sich Tocotronic in den vergangenen Jahren immer weiter entwickelt haben, verwundert bei so viel Anspruchsdenken kaum. Auf den Lorbeeren ausruhen und Alben am Fließband produzieren war nie ihre Sache. Auch wenn die Stücke der Band eingängiger geworden sind im Vergleich zu den Anfangszeiten Mitte der 90er Jahre, verweigern sie sich dem Weg in Richtung professioneller Perfektion. Schludrigkeit bedeutet bei ihnen vor allem Lebendigkeit. Trotzdem haben sie sich von Platte zu Platte mehr und mehr dem zarten Popsong genähert. Böse Geister würden das als anspruchsvolle Begleitmusik zu Frühstücksei und Morgentoast bezeichnen. Doch wer glaubt, Tocotronic hätten nach der Pleite ihres Labels „L’Age d’Or“ vor der Popindustrie kapituliert, sollte dem Begriff Ka-pi-tu-la-ti-on auf den Grund gehen. Für die Band bedeutet die Kapitulation sowohl größte Niederlage als auch größter Triumph. Unterwerfung versteht sich im Sinne von Hingabe. „Mein Ruin ist mein Triumph, Empfindlichkeit und Unvernunft“, heißt es einmal. Die Wut ist geblieben. Sie wird nicht zwingend deutlich auf Konzerten – die nach den Worten des Sängers nichts anderes als Reproduktionen des ewig Gleichen sind. Aber es bleibt Wut, immer noch lässig, aber verspielter.

Tocotronic spielen am Freitag, dem 18.4. um 20 Uhr in der Rockhal.


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