PROSTITUTION: Selbst- oder fremdbestimmt?

Prostituierte und Kunden sind Opfer. Sie merken es nur schon nicht mehr. So die „feministische“ Ansicht des Chancengleichheitsministeriums.

Eine nackte junge Frau, fast in Kreuzigungsstellung, liegt in Zellophan eingepackt auf einer Polyesterplatte – wie ein handelsübliches Stück Fleisch mit Barcodeangaben. „Se payer une personne prostituée, c’est financer le commerce d’êtres humains“, heißt es zu dem Bild, das kürzlich an vielen Bushaltestellen in Luxemburg-Stadt zu sehen war.

Dieses Plakat des Chancengleichheitsministeriums fügt sich ein in die zurzeit stattfindende Debatte über Prostitution und über den Versuch, diese im Kontext eines „Luxemburger Modells“ zu regeln. Ziel der Plakataktion ist es, den Menschenhandel mit Frauen zum Zwecke sexueller Ausbeutung anzuprangern sowie darüber hinaus die Freier dazu zu bringen ihre Neigungen zu hinterfragen. Dem Freier soll klargemacht werden, dass der Kauf sexueller Dienstleistung nicht nur Zwangsprostitution unterstützt, sondern auch Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern verstärkt.

Im gleichen Licht stand auch der Kongress „Le client de la prostitution“, der letzte Woche in Luxemburg-Stadt stattfand. Nach der – wenn auch nicht ganz repräsentativen – Milieustudie des Vorjahres zu den Prostituierten beschäftigte sich dieser Kongress insbesondere mit der „unsichtbaren“ Kundschaft, worunter nach Ermittlungen von TNS-Ilres in Luxemburg rund 12 Prozent der Männer fallen.

Ein am 19. März von Claudia Dall’Agnol, John Castegnaro, Lydie Err und Marc Angel deponierter Gesetzesvorschlag, sah bereits das Verbot des Kaufes von sexuellen Dienstleistungen in Luxemburg vor. Erwischte Kunden sollen zu „travaux d’intérêt général respectivement à la participation obligatoire à des séminaires interactifs sur la prostitution d’une durée entre 10 et 20 heures“ bestraft werden. Der Kongress verdeutlichte ebenso, dass auch die Luxemburger Regierung eine abolitionistische Richtung eingeschlagen hat. Es fanden keine kontroversen Debatten zur Prostitution mehr statt. Geladen waren fast nur Vertreter des sogenannten Schwedischen Modells dessen Ziel ist, die Prostitution als Phänomen längerfristig abzuschaffen, indem Kunden zur Rechenschaft gezogen werden. Dies mit der Begründung, Prostitution sei nicht im Sinne der Gleichstellung zwischen den Geschlechtern und nicht mit der Würde der Frau vereinbar. „Eine Gesellschaft, die die Gleichstellung zwischen Frauen und Männern fördern will, kann nicht tolerieren, dass der Körper eines Menschen gekauft, verkauft, gebraucht oder ausgenutzt werden kann“, so die Familienministerin Marie-Josée Jacobs.

Fraglos ist es begrüßenswert, dass das Chancengleichheitsministerium seit 2006 mit konventionierten NGOs Aufnahme- und Schutzvorrichtungen für Frauen geschaffen hat, die in die Prostitution gezwungen werden. Auch das vor einer Woche deponierte Gesetzesprojekt „portant sur l’assistance et la protection des victimes de la traite des êtres humains“ ist eine wichtige Initiative, da es entsprechend der Konvention des Europarates vorsieht, dass jene bestraft werden, die Dienstleistungen von so genannten „gehandelten“ Personen beanspruchen.

Problematisch ist jedoch die sich auch beim Kongress herauskristallisierende, zunehmend einseitige Lesart des Phänomens „Prostitution“ und die davon abgeleiteten Lösungsansätze: Prostituierte werden fast ausschließlich als Opfer betrachtet, die keinen eigenen Willen haben, und denen geholfen muss. Auch den Kunden wird eine „misère affective“ zugeschrieben.

So etwa vom Soziologen Saïd Bouamama, der seine Studie vorstellte, die er für die französische, katholisch angehauchte Organisation gegen Prostitution „Mouvement du Nid“ angefertigt hat. Ein „Kundenprofil“, erstellt aus Befragungen mit Freiern, ergibt einen Durchschnittsmann aus der Mittelschicht, größtenteils verheiratet, der ein Selbstwertproblem hat.

Auch die Prostitution wird von Bouamama ausschließlich durch eine Brille gesehen: die der „domination masculine“. So würde die Frau im Rahmen der Prostitution zweimal dominiert: „en tant que femme insérée dans des rapports de genres inégalitaires, en tant qu’actrice d’un rapport marchand non moins inégalitaire.“ Die Prostitution im Allgemeinen und die Freier im Besonderen sind Auswüchse der tiefen Ungleichheiten, die nach wie vor die Geschlechterbeziehungen in unserer Gesellschaft kennzeichnen, und die mittels Prostitution und Pornografie weiter tradiert werden, so die Theorie von Bouamama. So würden Pornografie und Prostitution fast ausschließlich von Männern konsumiert und es sei der Kunde, der die kommerzielle Beziehung bestimme. Bei der Prostitution finde eine Aufspaltung zwischen der physischen und affektiven Dimension der Sexualität statt, die das Gegenüber – die Frau – zum Konsumobjekt degradiere. „Agir pour la disparition du fait prostitutionnel c’est donc, inévitablement, agir pour l’émergence et le développement de rapports de genres égalitaires“, folgert Bouamama.

Einige Prostituierte aus dem Milieu sind mit diesen grundsätzlich negativen Zuschreibungen der Prostitution nicht einverstanden. Sie fühlen sich durch die Abschiebung in die „Opferecke“ diskriminiert und entmündigt. Kritisiert wird das Chancengleichheitsministerium, da es hier „einseitige“ Normen für eine gute und eine böse Sexualität setzte. Durch ein Luxemburgisches Modell, das Kunden zukünftig sanktioniert, droht zudem einer sozialen Minderheit die teils über Jahre ausgeübte Erwerbsgrundlage wegzubrechen.

Als Opfer abgestempelt

„Ich sehe mich nicht als Opfer“, ärgert sich etwa Anne*, eine Prostituierte mittleren Alters, die zunächst in Deutschland und nun schon seit neun Jahren in Luxemburg im sexuellen Dienstleistungsgewerbe arbeitet. „Ich habe das aus freien Stücken gemacht. Ok, als ich angefangen habe mich zu prostituieren, da war ich jung und naiv. Ich habe auch einen Typen gehabt, der eine Zeitlang sehr gut davon gelebt hat. Irgendwann habe ich mein Geld selbst behalten. Und es war definitiv in Ordnung.“ Abwertend seien auch Behauptungen, dass nur jene Frauen sich prostituierten, die nichts gelernt hätten. „Ich habe eine Schulausbildung und eine Lehre gemacht. Aus Neugierde, bin ich irgendwann einmal in die Prostitution abgerutscht, dabei bin ich aber auch meinen Jobs nachgegangen,“ meint Anne. Natürlich gebe es viele Frauen, die sich aus Not heraus prostituierten, um ihre Familien zu unterstützen. „Ich glaube, es muss jedem Menschen selbst überlassen bleiben, sich der Prostitution hinzugeben.“

Anne ist wie andere Frauen aus dem Milieu gegen ein Luxemburger Prostitutionsmodell, das die Kunden sanktioniert und den Prostituierten so ihre Lebensgrundlage entzieht. „Sinnvoll ist es, Zuhälter zu bestrafen. Aber wenn jetzt Kunden verfolgt werden, werden noch mehr Frauen privat arbeiten. Und es werden noch mehr illegale Frauen kommen, oder Frauen, die zur Prostitution gezwungen werden“, glaubt Anne. Auch werde sich das Problem einfach an die Außengrenzen von Luxemburg verlagern. Hier bestehe die Gefahr, dass die Kontrolle, die Polizei und Sozialarbeiter bisher im Milieu hatten, viel geringer sein wird. „Und was passiert dann mit solchen Institutionen wie dem Drop-In, die für uns immer da sind, sei es mit Kondomen, ärztlicher Behandlung, Informationen in puncto Sozialamt oder einfach psychologischer Beratung? Was passiert, wenn solche Institutionen geschlossen werden, weil man sich nicht mehr als Prostituierte outen kann, wenn Freier sanktioniert werden? Wo gehen wir dann in Zukunft noch hin?“, fragt Anne.

Sie selbst habe mittlerweile ein Alter erreicht, wo sich die Prostitution nicht mehr lohne. Auch hier sei das Drop-In gefordert, um Betroffenen Berufseinstiegshilfen zu bieten. Gerade in Luxemburg, wo jeder „Jenni und Menni“ kennt, sei es nicht einfach den Absprung ins reguläre Berufsleben zu schaffen.

Von heute auf morgen für alle Frauen, die sich prostituieren, eine Arbeit zu finden oder Sozialgelder auszuzahlen, die den Staat einiges kosten – wird nicht einfach sein. An solche Berufseinstiegshilfen – auch für ältere Prostituierte – muss jedoch gedacht werden, falls jemals eine Art „Schwedisches Modell“ in Luxemburg Schule macht. „Die Prostitution gibt unbeständigen Leuten die Möglichkeit, ihr Leben selbst zu bestreiten. Es sind viele Prostituierte, die nicht für jemand anderes arbeiten können und die sich nicht an gewisse Uhrzeiten halten können“, meint Carmen Kronshagen, Verantwortliche des Drop-In. „Wo ist die Alternative für diese Frauen?“

Dazu komme, dass es gerade jener Prostituierten, die ein Großteil ihres Lebens nichts anderes gemacht hat und die auf eigenen Füßen stand, schwer fallen wird, sich irgendwo unterzuordnen, meint Anne. Und: Auch wenn es einige gibt, die sich im Alter ein zweites Standbein schaffen, etwa indem sie ein Nagel- oder Sonnenstudio eröffnen, oder lebenslang in die Pensionskasse einbezahlt haben, viele behalten trotzdem ihre Stammkunden bei. „Es ist nicht so, wie oft erzählt wird, dass der Kunde die Frauen dominiert. Das ist vielleicht der Fall bei einer drogenabhängigen Prostituierten. Aber eine richtige Prostituierte spielt mit dem Kunden“, meint Anne.

Warum – statt eines abolitionistischen Gesetzes – nicht bestehende, positive Ansätze ausbauen? Die Sexualaufklärung in der Schule in Hinblick auf gegenseitige Rücksichtsnahme ausrichten, um die gerade bei Jugendlichen vorherrschende pornografische Vorstellung von Sexualität zu revidieren, Institutionen ausbauen, die Zwangsprostitution bekämpfen und solche, die Zwangsprostituierte schützen, sowie Ausstiegshilfen für Prostituierte anbieten?

„Ich weiß nicht, warum Prostitution plötzlich zu so einem Problem geworden ist“, meint Anne. „In Luxemburg tut man sich schwer, uns Prostituierte anzuerkennen, das ist das Problem. Wir sind denen einfach im Wege.“

*Name von der Redaktion geändert


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