KUSTURICA: Emir und die Gangster

Kusturicas „Zavet“ strotzt mit visueller Poesie und verrückten Gags. Nicht alle sind zum Lachen.

Schall und Rauch mit Blaskapelle – „Zavet“ fehlt es nicht an visueller Energie und abstrus-albernen Gags.

Dass die Juroren in Cannes Emir Kusturica eine dritte Goldene Palme vorenthielten, kann man ihnen nicht übel nehmen. „Zavet (Promise Me This)“ ist sicher nicht der beste und originellste Film aus dem Haus Kusturica. Zwar gelingt dem serbischen Regisseur, wie wir es von ihm kennen und lieben, ein Feuerwerk aus absurdem Humor, Slapstick-Einlagen, feuriger Unza-Unza-Musik und drolligen Charakteren mit einer zumindest im Ansatz romantischen Liebesgeschichte zu verbinden. Doch anders als im weitaus überzeugenderen „Black Cat White Cat“ bleibt die Handlung fahrig und diffus.

Der Hauptstrang, der den Film nur notdürftig zusammenhält, versetzt uns zunächst in eine dörfliche Idylle: Inmitten von Kühen und Apfelbäumen lebt der junge Tsane (Uros Milovanovic) mit seinem verschrobenen Großvater (Aleksander Bercek). Als der Opa fühlt, dass es mit ihm zu Ende geht, schickt er Tsane mit einer dreifachen Aufgabe in die Stadt: Der Knabe soll sich ein Souvenir, eine Ikone und eine Braut beschaffen. Doch in der Stadt trifft Tsane neben der hübschen Jasna (Marija Petronijevic) auch auf diverse zwielichtige Gesellen, die alles darauf anlegen, ein schnelles Happy End zu verhindern.

Dass Kusturica mit „Zavet“ zwar kein umwerfender, aber immerhin ein sehr unterhaltsamer und sehenswerter Film gelungen ist, liegt an den von abstrus-albernen Gags und visueller Energie berstenden Szenen, zu denen die Handlung nur den Anlass liefert. Dabei lässt sich selbst dem Mangel an einem sorgfältig ausgearbeiteten Plot etwas Positives abgewinnen: Indem die Handlung in den Hintergrund tritt, gibt sie die Sicht frei auf die einzelnen versatzstückartigen Motive und erlaubt uns so womöglich einen tieferen und direkteren Einblick in Kusturicas Welt als seine älteren Filme, in denen dieselben fixen Ideen weniger markant hervortreten.

„Zavet“ ist wie ein Traum, dessen schemenhafte Handlung das Unterbewusstsein nur als Vehikel und fadenscheinige Verkleidung benutzt, um verdrängte Obsessionen ins Bewusstsein zu schmuggeln ? ein Tarnfahrzeug für Traumata. Bei Kusturica diagnostiziert der Psychoanalytiker vor allem einen Hass auf die Kriegsgeneration, die er als kriminell und käuflich verachtet. Seine Sehnsucht nach Unschuld – die Hoffnung auf eine bessere Zukunft und die nostalgische Verklärung einer besseren Vergangenheit ? projiziert Kusturica auf das Verhältnis zwischen Enkel und Großvater, das den Vater mitsamt seinen notgeilen Kumpanen und kupplerischen Nutten außen vor lässt.

Trotz aller Komik gibt sich „Zavet“ bei weitem bitterer und zynischer als „Black Cat White Cat“. So wie Hänsel und Gretel nüchtern betrachtet eine alte Frau ermorden und ihre Ersparnisse plündern, so handelt auch das Märchen von Tsanes Sieg über die bösen Provinzgangster weniger von einem Triumph der Liebe und Unschuld als von einer Einführung in Sex und Gewalt. Zynismus war schon öfters eine Goldene Palme wert. Doch nach Märchen- und Traumdeutung stand den Preisrichtern in Cannes wohl einfach nicht der Sinn.


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