SCHÜLERSTREIK: Fit, flott an arbechtslos

Der Arbeitsminister fühlt sich missverstanden. Doch trotz seines Willens zum Dialog will er die umstrittenen Neuregelungen zur Jugendarbeitslosigkeit Gesetz werden lassen.

Arbeitsminister Biltgen hat herausgefunden, weshalb die Schüler am heutigen Freitag streiken: Das Dossier Jugendarbeitslosigkeit ist zu kompliziert, um bloß in den klassischen Medien darüber zu sprechen. Aus dem Kontext gerissene Nebensätze hätten dazu geführt, dass die Jugendlichen glauben, die Regierung mache sie für ihre Situation verantwortlich. Bei soviel Kenntnis der Medien fragt sich, weshalb Politprofis wie Biltgen und Juncker partout nicht auf ihre griffig formulierten Nebensätze über das „Hotel Mama“ oder Schulabgänger, die lieber Urlaub machen als sich eine Arbeit zu besorgen, verzichten können.

Bei den Betroffenen und der sonstigen Öffentlichkeit sei die von der Regierung angedachte „Philosophie“ nicht richtig angekommen. „Arbeit finanzieren, statt Arbeitslosigkeit“ – Biltgen beteuerte bei seiner kurzfristig einberufenen Pressekonferenz am Mittwoch gleich mehrfach, worum es ihm beim „5611“ eigentlich gehe.

Anders als die hauseigene Jugendorganisation CSJ, hat der Arbeitsminister allerdings inzwischen verstanden, dass der Versuch, die streikwilligen SchülerInnen als ferngelenkte Opfer verschiedener „linksgerichteter Jugendorganisationen, von den Kommunisten über die Jungsozialisten bis hin zur UNEL und der linken Gewerkschaftsjugend“ darzustellen, den Mobilisierungsgrad noch verstärken wird. Tatsächlich ist der Unmut unter der mehrheitlich nicht politisierten Jugend groß. Sie als Mitläufer zu apostrophieren, die sich vor allem einen schönen Tag machen wollen, dürfte die Stimmung wohl eher anheizen.

Wenige Tage vor den abschließenden Beratungen zum Gesetz wechselt François Biltgen deshalb die Tonlage. In einer Art großen Umarmung bietet er sich in einem offenen Brief als Gesprächspartner an und geht in die Schulen, um die komplexe Materie an die streikwillige Basis heranzutragen. Statt Konfrontation ist jetzt Kommunikation angesagt. Dennoch: Die im 5611er Gesetz vorgesehenen Änderungen in Sachen Jugendarbeitslosigkeit werden ungeachtet dessen noch vor Ende des Jahres verabschiedet.

Dank des heraufziehenden Protestes wurden einige der gröbsten Verschlimmbesserungen aus dem Text herausgenommen. Die sechsmonatige Karenzzeit, während der junge Arbeitslose nach abgeschlossener Beschäftigungsmaßnahme kein Arbeitslosengeld erhalten sollten, wurde fast so heimlich wieder aus dem Text gestrichen, wie sie hinein geraten war. Insgesamt zwölf Nachbesserungen hat der Minister der Chamber-Kommission, die das Gesetz bearbeitet, vorgeschlagen.

Doch kann er damit der „Initiativ Stopp de 5611“ den Wind aus den Segeln nehmen? Nach wie vor ist unverständlich, weshalb das Kapitel Jugendarbeitslosigkeit partout mit dem Omnibusgesetz 5611 durchgebracht werden soll, wenn es sowieso frühestens im Juli 2007 in Kraft treten soll. Denn diese zeitliche Verzögerung – auch ein Erfolg der 5611-Gegner – zeigt deutlich, wo der eigentliche Lösungsansatz beim „komplexen“ Problem Jugendarbeitslosigkeit liegt: Weder die Adem, noch unser Schulsystem sind derzeit in der Lage, den von der Regierung gewünschten Ausbildungsgrad bei großen Teilen der Jugend zu erreichen.

Daran wird sich auch bis zum 1. Juli 2007 nichts ändern: Zehn zusätzliche Arbeitsvermittler und die Auslagerung wesentlicher Adem-Verpflichtungen an private Human-Ressources-Firmen können ein Vierteljahrhundert fehl gelenkter Schulpolitik nicht kompeniseren. Und wenn die bisherigen Beschäftigungsmaßnahmen nicht immer das gewünschte Ergebnis hervorgebracht haben, weil die Ausbildungsverpflichtung der Arbeitgeber – darunter auch Staat und Gemeinden – nicht eingehalten wurde, dann werden die neuen Instrumente nicht deshalb besser funktionieren, weil sie nun die jungen Arbeitslosen einem erhöhten Stress aussetzen, um möglichst schnell „fit a flott“ für den Arbeitsmarkt zu werden.

Einige Monate Karenzzeit stünden dem „5611“ gut zu Gesicht. Ideen und Vorschläge der Jugendorganisationen könnten so konstruktiv diskutiert werden. Und der Minister hätte alle Zeit der Welt, sämtlichen SchülerInnen haarklein zu erklären, weshalb es für viele von ihnen so schwer ist, in Luxemburg ein Arbeitsplatz zu finden. Sofern er die Antwort wirklich kennt.


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