MATTHIEU KASSOVITZ: Verdauliche Dystopie

Auch der zweiten Verfilmung eines Dantec-Romans – nach „La Sirène rouge“ – gelingt es nicht das Niveau des amerikanischen Actionkinos zu übertreffen.

Auch in Zukunft wird scharf geschossen.

Es ist nie ein gutes Zeichen wenn sich ein Regisseur schon vor dem offiziellen Filmstart öffentlich und in scharfem Tonfall über seine Produzenten beschwert. Wer die zahlreichen Berichte über die Schwierigkeiten während der Produktion kennt, kann Matthieu Kassovitz‘ Reaktion nachvollziehen. Um den Roman „Babylon Babies“ des umstrittenen französischen Autors Maurice Georges Dantec, der mittlerweile Kanada zu seiner Wahlheimat gemacht hat, zu verfilmen, bräuchte es wohl doch etwas mehr als 65 Millionen Dollar Budget. Von Querelen mit den Produzenten wegen überzogenen Kosten über unmögliche Wetterbedingungen während den Dreharbeiten bis hin zu einem jugendgerechten Neuschnitt des Films mit Aussicht auf eine Freigabe für die über 13-jährigen war die Rede. Dies alles veranlasste Kassovitz dazu Babylon A.D. einen – sinngemäß – „geistlosen Film auf dem Niveau einer schlechten 24-Episode“ zu nennen. Dabei geht er aber etwas zu streng mit seinem Film ins Gericht, denn eine völlige Katastrophe ist Babylon A.D. dann doch nicht.

In naher Zukunft ist die Welt ein düsterer Ort geworden. Europa liegt in Trümmern und es herrschen Anarchie und Chaos: Es ist einfacher, sich eine Waffe zu besorgen, als etwas Essbares. Der aus den USA ausgewiesene Söldner Toorop (diesmal mit mehr als zwei Gesichtsausdrücken: Vin Diesel) schlägt sich irgendwo in Osteuropa mehr schlecht als recht durch, bis er vom Mafiapaten Gorsky (ekelhaft schmierig: Gérard Dépardieu) den Auftrag bekommt das mit übersinnlichen Fähigkeiten versehene Mädchen Aurora (Mélanie Thierry) mitsamt ihrer Beschützerin, der Nonne Rebeka (zum zweiten Mal in diesem Kinojahr verheizt: Michelle Yeoh) über die Behring-straße nach Kanada und schließlich nach New York zu bringen. Unterwegs merkt Toorop dass mit Aurora etwas nicht stimmt, was dann auch erklärt wieso die Neoliten-Sekte und ihre Hohepriesterin (herrlich zynisch: Charlotte Rampling) das Mädchen in ihre Gewalt bringen möchte.

Das größte Problem von Babylon A.D. ist seine Einfallslosigkeit. Ist man als Zuschauer bereits vertraut mit Zukunftsvisionen à la Blade Runner, The Fifth Element oder Mad Max, so gibt es in Babylon A.D. schlichtweg nichts zu entdecken, was man nicht schon in ähnlicher oder besserer Form in anderen Filmen gesehen hätte, seien es nun die nächtlichen Kamerafahrten über eine futuristische Stadt, die sehr an Luc Bessons Filme erinnernden Charaktere, oder die Käfigkämpfe und Verfolgungsjagden in Mad-Max-Manier. Kassovitz gelingt es zwar einige sehr düstere und stimmungsvolle Bilder und Sets zu entwerfen, sein Film wirkt durch die übertrieben zahlreich thematisierten Probleme – darunter Umweltverschmutzung, nukleare Verwüstung, Anarchie, totale Kontrolle und die Gefahr einer durch Sekten beherrschten Welt – doch sehr unausgegoren, episodenhaft und trivial. Vor allem sind es aber die christlich-mythologischen Motive um die Geburt eines neuen Messias‘, die so unglaublich abgedroschen daherkommen, daß man Kassovitz den fast fünfzehnminütigen, erklärungslastigen Epilog nach dem visuell beeindruckenden Showdown übel nimmt. Hinzu kommt, dass Vin Diesel auch nicht zu der Sorte von Schauspielern gehört, die Lücken in der Story gekonnt überspielen. Zwar agiert er hier mit mehr Gefühl als sonst, richtig wohl fühlt er sich aber weiterhin nur wenn es in allen Ecken kracht. Wie so oft in letzter Zeit werden leider auch hier die Actionszenen durch unübersichtliche Schnittfolgen ihrer Dynamik beraubt.

Babylon A.D. ist ein mittelmäßiger Film, der zwar stellenweise durch seine faszinierende Optik besticht, aber inhaltlich zu überfrachtet und oberflächlich daherkommt, um eine wirklich beklemmende Dystopie zu sein.

Babylon A.D., im Utopolis.


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