DIREKTIVE ZU ERNEUERBAREN ENERGIEN: „Nicht ohne große Veränderungen“

Bei seinem Einsatz für ein grünes – statt ein nebelgraues – Europa verliert Claude Turmes die besondere Situation Luxemburgs in Sachen Energieverbrauch nicht aus den Augen.

woxx: Die Direktive zur Förderung erneuerbarer Energien, für die Sie Berichterstatter des Europaparlaments sind, ist Teil des Klimapakets der Kommission. Wie bewerten Sie dieses Paket? 

Claude Turmes: Das von der Kommission vorgelegte Paket würde ich als gerade noch akzeptabel bezeichnen. Ziel ist, eine gute europäische Ausgangsposition zu bekommen im Hinblick auf die internationalen Verhandlungen zu einem Post-Kyoto-Abkommen. Eine Schwachstelle der Kommissionsvorschläge ist, dass sie nur eine CO2-Reduktion von 20 Prozent bis 2020 vorschreibt – ein 30-Prozent-Ziel für Europa soll einzig dann gelten, wenn genügend andere Staaten sich entsprechend mitengagieren. Die Grünen würden es lieber sehen, wenn die EU gleich mit den 30 Prozent in diese Verhandlungen ginge.

Anderen Akteuren sind sogar die 20 Prozent zu viel.

Was jetzt geschieht, erinnert mich ein bisschen an den Nachhaltigkeits-Gipfel 1992 in Rio. Damals gab es auch zuerst einen Konsens darüber, dass Handlungsbedarf bestehe. Doch dann haben die Lobbies konkrete Maßnahmen verhindert. Auch diesmal gibt es Druck, einerseits von der Schwerindustrie, die ihre Verschmutzungsrechte gratis zugeteilt bekommen möchte. Andererseits versucht die Automobilindustrie, strenge CO2-Normen für Fahrzeuge zu verhindern.

Wie stehen Sie zur Möglichkeit, dass sich die Mitgliedsländer „Flexible Maßnahmen“ anrechnen, also einen Teil der CO2-Reduktionen im Ausland vornehmen können?

Die von der Kommission vorgeschlagenen drei Prozentpunkte, die angerechnet werden dürfen, schwächen das 20-Prozent-Ziel weiter ab: Etwa die Hälfte der tatsächlich notwendigen Anstrengungen könnte damit verlagert werden. Doch das Hauptargument hierfür – dass es billiger komme, außerhalb Europas CO2 einzusparen – ist falsch. Denn über das Jahr 2020 hinaus müssen wir weiterreduzieren, und kommen an tiefgreifenden strukturellen Veränderungen nicht vorbei. Es ist nicht im Sinne der europäischen Industrie und der Arbeitsplätze, massiv außerhalb Europas für Einsparungen zu investieren. Das liefe darauf hinaus, mit dem Geld der europäischen Steuerzahler der chinesischen, indischen und brasilianischen Stahlindustrie einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Dagegen schaffen intelligente Klimaschutzmaßnahmen mehr Arbeitsplätze als dadurch verloren gehen. Die Grünen möchten weniger „Flexible Maßnahmen“ außerhalb Europas anrechnen lassen und dafür auf die Flexibilität innerhalb der EU setzen.

Kritiker des Auslagerns finden es auch unfair, den Entwicklungs- und Schwellenländern zusätzliche Reduktionen aufzubürden, obwohl diese viel weniger CO2 pro Kopf ausstoßen als wir.

Wenn Europa sich ein Reduktionsziel von nur 20 Prozent geben und dann auch noch den größten Teil der Anstrengungen auslagern würde, dann wäre das ungerecht gegenüber den sechs Milliarden Menschen, die in noch nicht hochentwickelten Ländern leben. Ein solches Angebot ist eine Frechheit und würde vermutlich die Post-Kyoto-Verhandlungen scheitern lassen.

Benötigen diese Länder die „Flexiblen Maßnahmen“ denn nicht, um an Kapital und Klimaschutz-Technologie zu kommen?

Die Industrieländer haben in der Vergangenheit eine CO2-Schuld angehäuft, die Atmospäre sozusagen übernutzt, und den Entwicklungs- und Schwellenländern fehlt dieser Spielraum nun. Es wäre deshalb nur fair, wenn wir für einen Teil von ihren Anstrengungen zum Klimaschutz aufkommen würden. Ich bin für eine Nord-Süd-Kooperation, aber wir dürfen uns die dabei erzielten CO2-Reduktionen nicht in dem Umfang anrechnen, wie das jetzt geplant ist.

Bevor Sie Europaabgeordneter wurden, waren Sie in der Umweltbewegung aktiv, deren Positionen sich vor allem an dem ökologisch Notwendigen orientieren. Wie fühlt man sich, wenn man nun dauernd mehr oder weniger gute Kompromisse aushandeln und vertreten muss?

Ich bemühe mich darum, dass diese Kompromisse unterm Strich noch Sinn ergeben. Andererseits machen die Grünen europaweit etwa fünf Prozent aus, bis zu fünfzehn in einzelnen Ländern. Damit können wir nicht hoffen, 80 Prozent unserer Ideen durchzusetzen. Wir müssen pragmatisch sein, um weiterzukommen, aber auch Möglichkeiten vorsehen, um nachzubessern, wenn das Umfeld günstiger wird. Bei den Agrotreibstoffen zum Beispiel war ich immer gegen ein konkretes Ziel. In meinem Bericht zur Erneuerbare-Energien-Direktive ist es mir gelungen, das Zehn-Prozent-Ziel abzuschwächen und vor allem durchzusetzen, dass im Jahre 2014 eine Zwischenbewertung und damit gegebenenfalls eine Neuausrichtung erfolgt.

Wir Grünen müssen pragmatisch sein, um weiterzukommen, aber auch Möglichkeiten vorsehen, um nachzubessern, wenn das Umfeld günstiger wird.

Sie haben dabei im Industrieausschuss des Parlaments eine Mehrheit für einen Text bekommen, der zum Teil weiter geht als die Kommissionsvorschläge.

Ich konnte einen großen Teil der grünen Vorstellungen zu dieser Direktive durchzusetzen, weil es möglich war, über die reinen Umweltaspekte hinaus wirtschaftliche und soziale Argumenten vorzubringen. Die Erneuerbare-Energien-Direktive ist weniger unter Beschuss als der Rest des Klimapakets und findet als industriepolitisches Projekt auch in Wirtschaftskreisen Unterstützung. Es ist attraktiv für Industrie und Regierungen, eigene Energieressourcen zu erschließen und den Mehrwert in Europa zu schaffen statt teures Erdöl und Erdgas zu importieren.

Beim Agrosprit konnten Sie sich nicht ganz durchsetzen. Vor nicht allzu langer Zeit wurde diese Ressource noch unter dem Namen „Biosprit“ gefeiert. Wieso wird sie jetzt verteufelt?

Immerhin habe ich nach viel Arbeit erreicht, dass das Ziel von zehn Prozent abgeschwächt wird, indem Elektromobilität und Agrotreibstoffe der zweiten Generation angerechnet werden. Und dass 2014 eine Zwischenbewertung vorgenommen wird. Es stimmt, anfangs wurden die Folgen einer energetischen Nutzung von landwirtschaftlichen Produkten im Kontext eines liberalisierten Welthandels wohl unterschätzt. Auf dem Weltmarkt für Weizen zum Beispiel kann eine kleine Verringerung der Angebotsmenge eine große Preisveränderung bewirken. Weil das sehr brutale Folgen für die Dritte Welt hat, soll nach Ansicht der Grünen die Ernährung erste Priorität sein. Erst danach kommt der Anbau von Energiepflanzen. Darüber hinaus ist es sinnvoller, aus der Biomasse in Kogenerationsanlagen Hitze und Strom zu gewinnen, und mit letzterem Elektro-Autos mit hohem Wirkungsgrad zu betreiben. Das ist viel energieeffizienter, als daraus Agrosprit herzustellen.

Um zu zeigen, dass ein massiver Rückgriff auf erneuerbare Energien für Europa machbar ist, führen Sie neben den Offshore-Windanlagen in der Nordsee auch die „Mittelmeer-Partnerschaft“ an: Solar- und Windfarmen von Marokko bis in die Türkei. Werden wie zu Kolonialzeiten westliche Stromkonzerne diese Ressourcen zu unserem Nutzen, aber ohne Gewinn für die lokale Bevölkerung nutzen?

Ich setze auf eine vertiefte Zusammenarbeit mit diesen Ländern, unter Einbindung der Zivilgesellschaft. Die Nachfrage nach Strom steigt dort zurzeit extrem schnell. Noch vor dem Ausbau der erneuerbaren Energien ist eine Unterstützung der EU für diese Länder in Sachen Energieeffizienz notwendig. Und die Investitionen in erneuerbare Energien eröffnen die Perspektive, einen Teil der Anlagen in den Ländern selber herzustellen. Schließlich benötigen sie, aufgrund ihrer Demografie, mehr Wirtschaftswachstum als Europa.

Ist der massive Import von diesem Strom nicht auch ein Trick, um sich an eigenen Anstrengungen innerhalb der EU vorbeizumogeln?

Es gab sogar den Vorschlag, sich weltweit Erneuerbare-Energien-Projekte anrechnen zu lassen – was wir ablehnen. Bei der „Mittelmeer-Partnerschaft“ dagegen geht es nicht um virtuelle Energie, sondern um physikalisch importierten Strom. Der wird als erneuerbar angerechnet, genau wie ukrainische Holzpellets oder brasilianisches Ethanol, die in der EU verfeuert werden. Wir werden versuchen, die Menge des Importstroms in der Richtlinie zu begrenzen. Sowieso benötigen die Länder jenseits des Mittelmeers in den nächsten Jahren den Strom aus Neuanlagen vor allem für den Eigenbedarf

Sie machen sich für das Elektro-Auto stark. In der Umweltbewegung wird der PKW aber nicht nur wegen seines CO2-Ausstoßes kritisiert.

Für den Klimaschutz im Bereich Mobilität ist die geplante Richtlinie zur Begrenzung des CO2-Ausstoßes bei Neuwagen entscheidend. Wenn hier strenge Werte gelten und sowieso das Erdöl knapper und teurer wird, führt das zu einem Boom für das Elektro-Auto. Verhindern lässt sich der Durchbruch dieser neuen Technologie nicht mehr.

Eine neue Technologie, die aber der Aufrechterhaltung des motorisierten Individualverkehrs, also eines alten Mobilitätskonzepts, dient?

Wir müssen es als Grüne fertigbringen, das Elektro-Auto als Baustein einer neuen Mobilität zu definieren. Die ersten Modelle für eine private Nutzung von Elektro-Autos setzen auf Leasing und Carsharing. Das kommt daher, dass sich die Batterien nur langsam aufladen lassen. Zum „Tanken“ muss man die Batterie auswechseln, was schwer vereinbar ist mit dem Privatbesitz von Wagen und Batterie. Ich hoffe, dass neue Akteure wie Großstädte und Eisenbahngesellschaften alternative Nutzungsformen des Autos voranbringen. Die Schweizerischen Bundesbahnen zum Beispiel betreiben neben ihrem Schienennetz bereits 8.000 Wagen im Carsharing und bieten damit ihren Kunden eine Form von Mobilität ohne Autobesitz.

Auch die Atomindustrie hofft auf das Elektro-Auto.

Die Verbreitung dieser Autos erzwingt keineswegs die Nutzung der Atomkraft. Auch in Frankreich nicht: Dort werden im Jahre 2020 durch die neue Direktive die erneuerbaren Energien 23 Prozent des Endenergieverbrauchs ausmachen; die Atomkraft wird lediglich bei 14 Prozent liegen. In den Häusern der Zukunft wird nur noch wenig Heizenergie benötigt. Schraubt man in Frankreich die Stromnutzung zu Heizzwecken von 65 Terawattstunden im Jahr herunter, wird erneuerbares Potential für Elektromobilität frei. Weniger als die Hälfte dieser Energiemenge würde reichen, um den gesamten französischen Fuhrpark mit Elektroautos zu betreiben. Mit Strom zu heizen ist energietechnisch unsinnig, Autos damit zu betreiben dagegen sehr effizient. Außerdem geht der Ausbau der Windkraftkapazitäten schneller voran als die optimistischsten Szenarien dies für die Atomkraft vorsehen.

In Luxemburg sind auf kleinem Raum sehr energieintensive Nutzungen konzentriert. Da kann man nicht von heute auf morgen 50 oder 60 Prozent erneuerbare Energien erreichen.

In der Erneuerbare-Energien-Direktive ist für Luxemburg ein Elf-Prozent-Anteil am Gesamtverbrauch für 2020 vorgesehen. Wie sehen Sie die Möglichkeiten, diese Vorgabe zu erfüllen.

Die Diskussion über Prozente ist müßig wenn man nicht über den Gesamtenergieverbrauch redet. Fast zwei Drittel des Verbrauchs fällt in Luxemburg im Transportsektor an. Wir Grüne sind für eine andere Transportpolitik in Luxemburg, mit einem graduellen Ausstieg aus dem unsinnigen Transit- und Tanktourismusverkehr. Dann können wir etwa neun Prozent erreichen.

Und der Rest?

Luxemburg ist eines der Länder der EU, die bei den erneuerbaren Energien zukaufen müssen. Wir sollten nicht noch einmal den gleichen Fehler wie bei Kyoto begehen: Jahrelang in Luxemburg nichts tun, und danach blindlings irgendwo in der Welt kaufen. Zuerst müssen wir hierzulande die erneuerbaren Energien maximal nutzen, das schafft schließlich Arbeitsplätze, Knowhow und Mehrwert vor Ort. Was wir dann noch zukaufen, sollte energiepolitisch Sinn machen: Beim Strom kann sich Luxemburg aus der Abhängigkeit von Atom und Kohle befreien, wenn wir aufhören, nur nach Frankreich und Deutschland zu schauen. Die technischen Möglichkeiten für einen Anschluss an die Offshore-Windanlagen und die Wasserkraft in Nordeuropa sind heute gegeben.

Luxemburg soll also zwei Prozentpunkte oder mehr zukaufen – von Kritikern als Mogeln bezeichnet? Obwohl es als das verschwenderischste Land auch das größte Umstellungspotenzial haben müsste.

Luxemburgs Pro-Kopf-Energieverbrauch ist in der Tat gewaltig. Auf kleinem Raum sind sehr energieintensive Nutzungen konzentriert: die Schwerindustrie mit Arcelor, Dupont und Goodyear sowie einer der weltweit größten Cargo-Flughäfen. Noch dazu spielen wir Tankstelle Europas. Da ist es doch klar, dass man nicht von heute auf morgen 50 oder 60 Prozent erneuerbare Energien erreichen kann.

Wir müssten also den Flughafen oder die Stahlwerke irgendwann schließen?

Die energieintensiven Betriebe sollen ruhig bleiben – und ihren Strom aus erneuerbaren Quellen beziehen. Den kann man zum Teil außerhalb Luxemburgs einkaufen, schließlich produzieren diese Firmen nicht nur für Luxemburg. Für den nicht-industriellen Sektor sollte das Ziel aber sein, eines Tages den gesamten Verbrauch mit inländischer erneuerbarer Energie abzudecken.

So könnten doch auch andere Länder argumentieren: Massiv Strom aus erneuerbaren Quellen für die Industrie zuzukaufen und damit ihre Anstrengungen weitgehend externalisieren?

Das Luxemburger Modell ist nicht extrapolierbar. Das Land wurde 30 Jahre lang in eine umwelt- und energiepolitisch schlechte Richtung entwickelt – unter der Verantwortung von CSV, LSAP und DP. Wir Grüne haben ein Konzept für eine ambitiöse aber machbare Politik bis 2020. Das wäre doch schon ein Riesenfortschritt gegenüber der bisherigen Politik.

 

CLAUDE TURMES
Vor fast zehn Jahren wagte Claude Turmes den Sprung vom NGO-Aktivisten zum Profi-Politiker. 1999 wurde der heute 48-Jährige im ersten Anlauf für die Grünen ins Europaparlament gewählt. Dort machte er sich mit seinem Bericht zur Liberalisierung des Strommarktes einen Namen und gilt mittlerweile über seine politische Couleur hinaus als Energieexperte. Als ehemaliger Kader des Mouvement écologique sucht der Realo Claude Turmes weiterhin den Kontakt zu den Fundis der Zivilgesellschaft, bis hin zu den Altermondialisten. Er kandidiert im kommenden Jahr als männlicher Spitzenkandidat auf der grünen Europaliste.


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