SOZIALFINANZ: Aufwind in der Krise

Die Hitze der Krise macht die verschiedenen Formen der Sozialfinanz attraktiv ? aber können sie die Erwartungen erfüllen?

Allein im Oktober hat die Luxemburger Initiative etika so viele neue Sparer gewonnen, wie im gesamten Vorjahr zusammen.

Durch das Debakel der Finanzmärkte haben Großinvestoren in gleicher Weise wie „Otto Normalinvestor“ das Vertrauen in die Banken verloren, denen sie gutgläubig ihre Ersparnisse bzw. die ihrer Kunden anvertraut hatten. Die Krise bietet aber auch die Chance, das Geschäft des Bankiers klassischer Prägung wie auch des Investmentbankers neu zu definieren. Sie sollten sich wieder als gesellschaftliche Akteure im Kontext ihres regionalen Wirtschaftsraumes definieren, in dem sie eine bedeutende Rolle erfüllen, fordern Vertreter der Sozialfinanz. Sie bieten Interessierten längst eine Fülle an Anlagemöglichkeiten, die nicht nur eine relativ gute Rendite garantieren, sondern darüber hinaus auch einen sozialen und / oder ökologischen Mehrwert. Das kommt immer besser an: Geldanlagen mit gutem Gewissen und überschaubarem Risiko. Ein Vermögenszuwachs, der aus einer Wertschöpfung entsteht, in der der Mensch, die Gesellschaft und die Natur originäre Ziele sind ? nicht nur externe Variablen.

Blitzartig haben die Gewitter der Finanzkrise den Glauben in Vernunft und Tugendhaftigkeit eines autoregulativen Marktes platzen lassen. Daniel Goeudevert, früherer Vorstandsvorsitzender von Citroen, Renault, Ford und bis 1993 Stellvertreter des VW-Chefs hat diese Illusionen in einem neuen Buch „Das Seerosenprinzip ? Wie uns die Gier ruiniert“ beschrieben. Seerosen sind schön anzusehen, doch lenken ihre prächtigen Blüten davon ab, woher sie ihre Strahlkraft ziehen. Unter Wasser laugen ihre Wurzeln den Boden aus. Die heutige Managerkaste vergleicht der Franzose mit einer „erdachten“ Unterart der Seerose. Sie seien die „Starkzehrer“ in Unternehmen, Leute, die den Hals nicht voll bekommen können und das Wirtschaftsleben pervertiert haben. Denn: Mehrwert schafft nur der Mensch. Das Shareholder-Value-Denken und daraus erwachsende gewagte Finanztransaktionen wie das soeben geplatzte Pyramidensystem des früheren Nasdaq-Chefs Bernard Madoff (Schaden: 50 Milliarden Dollar) haben ? getrieben von der Gier vieler Investoren ? dazu geführt, dass sich das Finanzbusiness weit von der realen Wirtschaft entfernt hat.

Im wahnwitzigen Glauben an die Effizienz der Kapitalmärkte haben die Regierenden der Welt bewusst das Kredit- und Derivatevolumen der Banken nicht im Zaum halten wollen. Die Finanzbranche wurde nur soweit nötig erscheinend reguliert. Doch wuchsen Bilanzen und Gewinne viel schneller als die Realwirtschaft. Riesige Kreditpyramiden bauten sich auf, die einstürzten ? mit schwerwiegenden gesellschaftlichen Konsequenzen. Der Seerosenteich kippte, um im Bild zu bleiben.

Die Liberalisierungen der vergangenen zwei Jahrzehnte, durch die diese Entwicklungen abnorme Züge annahmen, wurden begleitet von einem Diskurs, bei dem ein maximaler finanzieller Ertrag in einem Minimum an Zeit angepriesen wurde ? ein ökonomischer Unsinn, wie jeder Wirtschaftsstudent im ersten Semester lernt. Schließlich ging jeglicher Bezug zu verantwortungsvollen und transparenten Kapitalanlagen verloren: Jedermann und jedefrau gab Geld in eine Black Box und erntete später die Früchte, ohne zu wissen, welche sozialen und ökologischen Störungen zwischenzeitlich produziert worden sind. Und auch ohne Gespür dafür, dass das nicht mit rechten Dingen zugehen kann. Investitionen, die mit einem Mindestmaß an Verantwortungsbewusstsein getätigt werden, haben nie zweistellige Renditen. Würde man die externen Kosten der Anlagepolitiken vieler Fonds erfassen, sähe die Rechnung anders aus. Doch bezahlt wird sie von anderen, in den Ländern des Südens und von „Losern“ vor der eigenen Haustür (um die sich dann Sozialarbeiter kümmern).

Euphorie der Megarenditen

Seriöse Investoren zeichnet von jeher Geduld aus. Der „return on Investment“ kann sich nicht kurzfristig einstellen, jedenfalls nicht, wenn man es mit der realen Wirtschaft zu tun hat. Diese Erinnerung an eigentlich banale Wahrheiten findet heute leichter Gehör. Noch 2007 wurde in einer Euphorie der Megarenditen kaum auf solche Stimmen geachtet. Die moralinsauren Warnungen dieser naiven, weltfremden Idealisten konnten mit einem lässigen Lächeln beiseite gewischt werden. Der Erfolg, allein gemessen am finanziellen Ergebnis der Operationen, gab jedem Recht, der hier mitwirkte und zum „Winner“ wurde. Eine gierige Abstaubermentalität war legitim geworden ? parallel dazu im Übrigen auch in der „Geiz ist geil“ ? Mentalität beim Einkauf bei H&M, Saturn und anderen Billiganbietern (von qualitativ durchaus guter Ware).

Diese traumhafte Situation lange übermäßiger, letztlich aber irrealer Gewinne mutierte jetzt für viele in einen sehr desillusionierend realen und bitteren Albtraum. Oder, um ein anderes Bild zu benutzen: Auf die Ausschweifungen folgte ein übler Kater und mit ihm die verspätete Einsicht in fehlerhaftes Verhalten bzw. Unterlassungen. Nach hastiger Behandlung der schlimmsten Symptome hat nun die Suche nach lindernden Mitteln begonnen. Denn: man braucht die Zecher, sie sind ? wenn sie nüchtern und reguliert agieren – Teil des Systems. Investmentmanager erfüllen, gerade wenn sie an der Börse spekulieren, eine wichtige Rolle im Abgleich von Angebot und Nachfrage und der Ermittlung von Marktpreisen. Spekulation an sich ist nicht schädlich und systemwidrig. Ähnliches gilt prinzipiell für Discounter, deren Einkaufspolitik Kunden preiswerte Lebensmittel verschafft.

Es zeigt sich, dass das just gescheiterte Geschäftsmodell an einem Extrempol des Spektrums von Finanzinvestitionen angesiedelt war: Hohe Renditen bei hohem Risiko, aber ohne sonstigen Mehrwert. Die Akteure und Handlungsmuster am anderen Ende des Spektrums lassen sich unter den Begriff der Solidarwirtschaft fassen: Hier sollen soziale Mehrwerte maximiert werden. Zwischen beiden Extremen positioniert sind Sparmodelle, deren Rendite kaum die Inflationsverluste ausgleicht, dafür aber sicher sind. Wiederum zwischen Solidarwirtschaft und Sparbuch angesiedelt sind Angebote der Sozialfinanz, bei denen der „ethische Umgang mit Anlagen“ im Vordergrund steht: Die individuellen finanziellen Renditen sind überschaubar, dafür wird ein kollektiver Zusatznutzen erzeugt.

Transparenz, Verantwortung und Solidarität

Mit dem Abzug des Gewitters scheint nun der Sozialfinanz die Sonne. Für ein Teilsegment des Marktes bietet sie neue Antworten. Sprecher des französischen Crédit-coopératif, der niederländischen Triodos Bank, der deutschen GLS-Bank oder der UmweltBank erinnern dieser Tage an ihr Gründungscredo eines „Sozial verantwortlichen Investments“ (englisch: „Social Responsible Investment“, SRI). Unter dem Anspruch eines „ethischen Investments“ verstehen sie die Einbeziehung nicht genuin finanzieller Kriterien – umweltbezogene, soziale oder auch religiöse Aspekte – in Anlageentscheidungen. Neben dem unentbehrlichen Finanzertrag werden ideelle Werte wie Naturschutz, Einhaltung der Menschenrechte oder Schutz benachteiligter Gruppen integriert. SRI wurde zunächst eher negativ definiert als Exklusion unethischer oder nicht nachhaltig produzierender Unternehmen und Branchen (mit ausbeuterischen Tendenzen, Kinderarbeit oder Waffenhandel). Später wurde SRI auch positiv erklärt als Bevorzugung (Inklusion) von Produkten, für die ethische Grundsätzen Priorität haben.

Jetzt haben „konservative“ Anlageformen, aber auch transparentere und realwirtschaftlich geerdete Investitionen Konjunktur. So feiert das altmodische Sparbuch eine Renaissance. Die Akteure der Sozialfinanz, zu der auch Kooperativen wie die belgische Credal und die französische La Nef oder mit Banken kooperierende Initiativen wie die Luxemburger Initiative etika zählen, haben in der Umsetzung des SRI-Anspruchs schon immer innovative Sparformen als Instrument verantwortlichen Handelns eingesetzt. Sie bieten sie Kunden an, die wissen wollen, was mit ihrem Geld geschieht.

Mit gutem Gewissen finanziert werden die Biolandwirtschaft oder Anlagen erneuerbarer Energien. Die Kapitalgeber sind geduldig. Intrinsisch motiviert zielen sie uneigennützig auf eine Wertschöpfung auf lange Sicht ab. Ihr Geld soll in Übereinstimmung mit ihren Idealen arbeiten. Dafür verzichten sie auf einen Teil der marktüblichen Zinsen. Das überzeugt nun immer mehr: Bei der GLS-Bank kam es jüngst zu einer Verdopplung der Kundenanfragen. Wöchentlich stieg hier im Herbst das Anlagevolumen um zehn bis 20 Millionen Euro. Bei der Banque Triodos hat sich die Zahl der Anfragen zur Eröffnung eines Kontos gar verzehnfacht. Allein im Oktober hat auch etika so viele neue Sparer gewonnen, wie im gesamten Vorjahr zusammen.

Wer ein „alternatives“ oder „grünes“ Sparkonto einrichtet, hat die Garantie, dass bei der Verwendung des Geldes der Dreiklang aus Verantwortung; Transparenz und Solidarität respektiert wird. Es wird ausschließlich in Projekte der Ökologie, des Sozialen oder der nachhaltigen Entwicklungshilfe investiert. Dabei werden ethische und finanzielle Aspekte meist getrennt beurteilt. Nur wenn beide Prüfungen positiv sind, werden Kredite vergeben. Verantwortung und Gewinnerwartung werden so ein gutes Paar.

Eng mit dem Kriterium der Verantwortung verknüpft ist das der Transparenz: Inhaber solcher Sparkonten werden per Kundenzeitschrift, Jahresbericht und Homepage über die Identität aller Kreditnehmer und ihrer Projekte informiert. So unterstützen Sparer mit ihrem Verzicht Projekte, die ihren Wertvorstellungen entsprechen. Sei es die Professionalisierung von Bioläden, die Sanierung stillgelegter Wasserkraftanlagen, Naturschutzprojekte oder Mikrokredite in Afrika.

Moralisch glaubwürdig waren diese Konzepte der Schaffung nicht-finanzieller Mehrwerte schon immer. Anders als in den 1980er-Jahren ist heute auch die finanzielle Vertrauenswürdigkeit der Sozialfinanz gegeben. Ihre Initiativen, Kooperativen und Banken sind solide. Das frühere Misstrauen, Idealisten könnten keine Geschäftsleute sein, ist gewichen. Verantwortungsvolles Handeln und Sicherheit werden zwar mit niedrigeren Zinsen entgolten, doch messen einige Anleger nun mit neuem Maß.

Sie erinnern sich jetzt an die Regel, Geld breit gestreut arbeiten zu lassen. Also auch in Investmentfonds, aber nicht mehr blauäugig in solche, bei denen um das goldene Kalb einer maximalen „Performance“ getanzt wird. In Luxemburg werden über 240 Fonds gehandelt, für die SRI kein Fremdwort ist. Neben positiven bzw. negativen SRI-Auswahlkriterien gibt es die Kriterien „best in class“ und thematische Fonds, wie die populären Mikrokredite. Hier kann man gute Renditen erzielen, ohne „Black-Box“-Gefühl. Die französische Zeitung „Alternatives Economiques“, das belgische Netzwerk der alternativen Finanzierung und etika haben diese „ethischen Fonds“ aus dem Gesamtangebot herausgefiltert und in Handbüchern beschrieben. Mehr als ein kleines Segment der Nachfrage bedient die Sozialfinanz noch nicht. Sie bleibt eine weiße Lilie am Seeufer, die leicht übersehen wird.


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