30 Jahre Vëlos-Initiativ:
 „Ich habe noch 
tausend Ideen im Kopf“


Am heutigen Freitagabend findet im Oekozenter die Jahresversammlung der Lëtzebuerg Vëlos-Initiativ (LVI) statt. Der langjährige Präsident Gust Muller wird dabei seinen Rücktritt ankündigen, aber auch 30 Jahre LVI Revue passieren lassen.

1356interview

Alle (fünf) Jahre wieder: LVI und woxx sind Kinder der 1980er und so kreuzen sich die Wege regelmäßig zur Bestandsaufnahme an „runden“ Geburtstagen wie hier zum 25. Geburtstag der Vëlos-Initiativ.

woxx: Mit dreißig Jahren auf dem Buckel und einem grünen Verkehrsminister im Amt, geht die LVI da 
mit einem anderen Bauchgefühl in Verhandlungen mit offiziellen Stellen?


Gust Muller: Vor dreißig Jahren wurden wir mit unseren Forderungen nur belächelt mit der Bemerkung, Luxemburg sei fürs Radfahren nicht geeignet. Am Anfang gab es vielleicht einmal pro Jahr eine Unterredung, über die dann noch nicht einmal ein Bericht verfasst wurde. Das Verhältnis mit den Ministern hat sich nach und nach gebessert. Eine wesentliche Verbesserung ist auch, dass die langjährige Forderung der LVI nach einem Fahrrad-Beauftragten im Ministerium nun endlich erfüllt wurde.

Als in den 1990ern die „Millioune-
bréck“ abgerissen wurde und sich niemand um das Fahrrad scherte, muss das für die noch junge LVI ziemlich demotivierend gewesen sein.


Frustrierend war vor allem, dass von offizieller Seite nicht mit offenen Karten gespielt wurde. Hätten wir schon in der Planungsphase über die Intentionen der Bauherren Bescheid gewusst, hätten wir eine für alle akzeptable Lösung vorgeschlagen. Aber als wir 1994 das erste Mal gegen das Vorhaben öffentlich vorgehen konnten, war die Brücke bereits eingeweiht worden. Mitten auf den Gehwegen platzierte riesige Blumenkübel machten es unmöglich, einen Fahrradweg anzulegen. Es hat dann ganze zwölf Jahre gedauert, bis wir die offizielle Antwort erhielten, die Kübel seien in der Struktur der Brücke verankert und könnten nicht entfernt werden. Allerdings wussten wir zu dem Zeitpunkt bereits, dass diese Behauptung jeder Grundlage entbehrte. Als im letzten Jahr die Kübel dann tatsächlich weggenommen wurden, reichte ein entsprechend solider Presslufthammer, um die Dinger zu lösen – sie waren mit keinem einzigen Metallstück verankert.

„Frustrierend war vor allem, dass von offizieller Seite nicht mit offenen Karten gespielt wurde.“

Im Falle der Renovierung der „Nei Bréck“ wurde wohl auch erst sehr spät an das Fahrrad gedacht?


Das ist richtig, allerdings mit dem feinen Unterschied, dass wir inzwischen doch angehört werden. Wir hatten schon vor acht Jahren interveniert, um dann 2013 die Auskunft zu bekommen, dass wir zu spät dran seien und die geltende Planung keinen Platz für das Fahrrad vorsehe. Die zurückbehaltene Lösung einer Hängebrücke ist nicht unser Favorit, insbesondere, da es Zufahrten nur von einer Seite geben soll. Wir wollten eigentlich einen adäquaten Platz oben auf der Fahrbahn. Doch wurde uns beschieden, dass dies nicht möglich sei. Knackpunkt dürften die Bedenken des Denkmalschutzes gewesen sein, wobei eine Äußerung des Chefs der zuständigen Verwaltung sich anders liest, als es damals vermittelt wurde: Er sagte in einem Interview, dass die vorgeschlagene Verbreiterung bis zur Balkontiefe ihm als ausreichend erklärt wurde. Da gab es also mehr Handlungsspielraum als zugegeben. Als uns die Hängebrücke vorgestellt wurde, schien es aber besser, sich für diese auszusprechen, als einfach nur dagegen zu sein und am Ende eine noch schlechtere Lösung hinnehmen zu müssen.

Soweit zur Realpolitik. Die LVI hat im letzten Jahr allerdings durchaus auch radikalere „Visionen“ zur Diskussion gestellt. Ein verkehrsfreier Boulevard Royal, zum Beispiel, da macht die Politik noch nicht mit?


Von politischer Seite kamen keinerlei Reaktionen. Aber das Publikum, das sich die Riesenplakatwände vor Ort angeschaut hat, reagierte durchaus positiv. Auch wenn es einige als unrealistisch ansehen, dass es irgendwann am Boulevard Royal nur noch öffentlichen Verkehr geben soll, finden sie die Darstellung doch spannend. 1993 hat uns ja auch kaum jemand abgenommen, dass es einmal eine eigene Radpiste auf der Passerelle geben wird. Die „Vision“, die als erste verwirklicht werden dürfte, ist die „Al Avenue“ die mit der Trameinführung ausschließlich Bussen – dann aber in beide Richtungen – zur Verfügung stehen und damit neue Möglichkeiten für die sanfte Mobilität bieten wird.

„Spannend wird sein, 
ob in der Nei Avenue eine akzeptable Lösung für das Fahrrad eingeplant wird.“

Die Trambahn bringt tatsächlich viele Veränderungen; wird hier genug Rücksicht auf das Fahrrad genommen?


Mit der Einführung der Tram werden die Busse aus der Nei Avenue verbannt. Sie sollen dann über die Passerelle Richtung Bahnhof fahren. Deshalb wird aus der jetzt bestehenden Radpiste eine Busspur, weshalb wir gefordert haben, dass mit der Umleitung der Busse auch zugleich eine Lösung für die Räder geschaffen werden muss. Eine entsprechende Studie wurde vom Ministerium in Auftrag gegeben. Spannend wird sein, ob bei der Amenagierung der Tram in der Nei Avenue eine akzeptable Lösung für das Fahrrad eingeplant wird – und nicht die halbherzige, die jetzt existiert. Ebenfalls sehr wichtig ist der Platz, der dem Fahrrad auf dem Plateau Kirchberg zugestanden werden soll. Vor einigen Jahren wurde bereits einmal ein Radwegenetz angelegt. Nach anfänglich sehr fruchtbaren Diskussionen mit dem Fonds du Kirchberg wurde aber letztendlich die schlechteste Lösung, die wir uns überhaupt hätten vorstellen können, gewählt: Obwohl hier kein Platzmangel herrscht, verlaufen die Radwege doch auf den Bürgersteigen, vorbei an den Bushäuschen … da sind Konflikte kaum zu vermeiden. Für den Berufsverkehr braucht es in Zukunft eine breite, beidseitige und durchgehende Radpiste am Boulevard Kennedy in beide Richtungen!

Also scheint auch nach 30 Jahren LVI die Bereitschaft, das Fahrrad von vornherein miteinzubeziehen, noch immer nicht vorhanden zu sein?


Leider nein. Insbesondere wenn es zu Umleitungen kommt. Da haben wir dann regelmäßig mit Reklamationen unserer Mitglieder zu tun, weil die Beschilderung nicht funktioniert oder bestehende Radwege während der Bauphase ersatzlos abgeschafft werden. In Ellange-Gare haben wir über zwei Jahre lang darauf gedrängt, am nationalen Radweg PC7 an einer bestimmten Stelle den Bürgersteig auf Null abzusenken, was dann auch geschah. Doch dann wurde hundert Meter weiter ein neuer Kreisverkehr gebaut, und der angrenzende Bürgersteig wieder auf maximale Höhe erneuert.

Im Falle der Überquerung von Neudorf kommt der Widerstand von privater 
Seite. Wie geht die LVI damit um?


Wir werden uns in diesem Jahr mit einer Aktion zur Brückenverbindung zwischen Cents und Kirchberg zu Wort melden. Viele, der von den 256-Petitionsunterschreibern gegen die Brücke vorgebrachten Argumente, sind einfach nicht haltbar. Die vorgeschlagenen Alternativstandorte sind unrealistisch oder widersprüchlich. So wurde jetzt vom lokalen Syndikat die alte Brauerei ins Spiel gebracht, also genau jener Standort, der von denselben Leuten vor sieben Jahren glatt abgelehnt worden war. Interessant ist es natürlich zu beobachten, wie die Lobbyarbeit der Gegenseite funktioniert. So wurde die Aussage der Bürgermeisterin, die Brücke werde erst gebaut, wenn der Kindergarten, wie ohnehin geplant, umzieht, im Tageblatt zu der Schlagzeile verfälscht: „Kindergarten muss Fahrradbrücke weichen“.

Auch die LVI hat sich professionalisiert, nicht zuletzt weil ihre Aufgaben umfangreicher geworden sind. Hat dabei nicht die Militanz gelitten?


Als wir unseren ersten hauptamtlichen Posten ausschrieben, gab es viele Warnungen, dass die ehrenamtlich Aktiven aussteigen könnten, weil es ja nun jemanden gebe, „der die Arbeit macht“. Dieses Risiko gibt es immer. Was die Militanz an sich angeht, bin ich wohl nicht ganz unschuldig, weil ich eher versuche, in Besprechungen oder Arbeitsgruppen Sachen spruchreif werden zu lassen. Vor allem hake ich dabei unermüdlich nach. Andere lassen sich eher für Aktionen begeistern, wie im letzten Jahr auf dem Pont Adolphe, wo wir relativ kurzfristig in der Mittagsstunde eine große Zahl von Menschen zusammentrommeln konnten und am Ende auch eine Lösung erreichten. Ich bin keineswegs gegen solche Aktionen, aber irgendwann ist ihr Reiz natürlich auch verbraucht. Es gab auch Vorwürfe an unsere Adresse, das Nachhaltigkeitsministerium habe uns „gekauft“, wir stünden ja offensichtlich ihm zu Diensten. Ich kann dazu nur sagen, dass wir noch nie so viele Forderungen gestellt haben wie in den letzten Jahren. Nicht zuletzt, weil immer öfter Erfolge erzielt werden und wir uns dann anderen Problemen widmen können.

„Wir haben noch nie so viele Forderungen gestellt wie in den letzten Jahren.“

30 Jahre, das kommt auch einem Generationswechsel gleich …


Zumindest in unserem Komitee wird es zu einer Verjüngung kommen … allein durch die Tatsache, dass ich aufhören werde. Es wird drei neue Leute im Komitee geben, die allesamt jünger sind als die anderen. Auch die Zahl der Mitglieder hat zugenommen: 1.430 Beitragszahlende, ganze 77 mehr als im Vorjahr. Der Zuwachs im Zeitraum von 15 Jahren beläuft sich auf 1.000 Mitglieder und speist sich aus allen Schichten und Nationalitäten.

Man wird also heute Abend eine Rücktrittserklärung erleben. Machen 30 Jahre müde?


Solange es vorangeht, verspüre ich keine Müdigkeit. Wenn aber Zeit sinnlos vertan wird und Ideen bei den Verantwortlichen ganz tief in einer Schublade verschwinden, damit sie dort vergessen werden können, nach etlichen Jahren aber doch wieder hervorgeholt und stolz als eigene Idee herumgereicht werden, dann stellt sich auch bei mir ein gewisser Frust ein. Oder wenn man einige der Akteure in die Diskussionen einzubeziehen vergisst, mit der Folge, dass die sich dann aus Prinzip querlegen. So etwas hat immer wieder Nerven gekostet, da die Sachen an sich ja konsensfähig waren. Rücktrittserklärung ist ein großes Wort, es ist eine Amtsübergabe innerhalb eines Teams, welches gut zusammenarbeitet. Ich habe noch tausend Ideen im Kopf und dafür brauche ich Zeit, die ich als LVI-Präsident einfach nicht hatte. Ich höre aber auch auf, weil der Moment der richtige ist: Dem Verein geht es möglichst gut und es gibt eine Eigendynamik – und natürlich einen Nachfolger, der willens ist, weiterzumachen.

Jahresversammlung der LVI: an diesem Freitag, dem 29. Januar um 19h im Oeko-zenter Pfaffenthal; ab 20h: „Les 30 ans de la LVI, une rétrospective décontractée“.
http://lvi.lu
http://www.woxx.lu/utopie%E2%80%A9-ou%E2%80%A9-vision

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