TGV: Kurzstrecke Paris?

Schnell aber energiefressend: Die kurze Fahrt an die Seine ist kein Beitrag zum Klimaschutz.

Am 10. Juni tritt Luxemburg endlich ins 21. Jahrhundert ein. So jedenfalls sieht es Transportminister Lucien Lux, der an diesem Wochenende einer ganzen Fülle von Einweihungsfeierlichkeiten des „TGV Est“ beiwohnen wird – in Luxemburg, Straßburg und Paris.

Ab Sonntag wird die „schönste Stadt der Welt“ von Luxemburg aus in zwei Stunden und fünf Minuten erreichbar sein – vorausgesetzt es verkehrt ein Zug zur gewünschten Zeit und er ist nicht, wie der Erstlingszug, der Luxemburg Sonntag früh um acht Uhr dreizehn verlassen wird, bereits seit Wochen ausgebucht.

Der Run auf die Tickets, ausgelöst durch das Lockangebot einer 15-Euro-Fahrt, scheint den Protagonisten der mehr als 300 Stundenkilometer schnellen Bahn Recht zu geben: Das Publikum ist vom Geschwindigkeitsrausch gepackt, die Geschäftsleute lassen sich vom Zeitgewinn überzeugen. Genau wie die SNCF sieht deshalb auch Lucien Lux den TGV vor allem als Konkurrent der Flugverbindung Luxemburg-Paris, der in Zukunft wohl nur noch eine Rolle als Zubringerlinie zu den von Paris startenden Interkontinentalflügen zukommen wird. Der Regionalflughafen Metz-Nancy hat die Konsequenzen bereits gezogen und die Fluglinie nach Paris ganz eingestellt. In Luxemburg dürfte die Hälfte der bisherigen Parisflieger auf den TGV umsteigen. Die Ökobilanz der Unternehmung „TGV Est“ scheint also, unter diesem Aspekt, dem Geist des Kyoto-Abkommens gerecht zu werden.

Das erste Opfer der TGV-Verbindung nach Luxemburg wurde allerdings die klassische Bahn, die Paris bislang in gemütlichen 3,5 Stunden bediente. Diese Verbindungen werden einfach eingestellt. Stattdessen verkehren jetzt unter der Woche je fünf direkte Zugverbindungen in beide Richtungen zwischen Paris und Luxemburg – allerdings zu Zeiten, die vor allem die betuchte Geschäftsklientel erfreuen werden: Mit dem ersten Zug ab Luxemburg um sechs Uhr dreiundvierzig ist man kurz vor Neun an der Gare de l’Est. Allerdings lässt sich die SNCF diese strategisch günstige Fahrt mit einem Sonderzuschlag löhnen. Außer sonntags und montags fährt der nächste Zug erst um zehn Uhr ab – das reicht zwar für Mittagsessen im Lieblingslokal, weil aber der letzte Zug unter der Woche Paris bereits um 18.39 verlässt, wird das eintägige Shoppen oder der spontane Museumsbesuch in Paris nicht nur etwas teuer, sondern auch noch ziemlich stressig. Einen reellen Zeitgewinn durch den TGV gibt es also nur für einen bestimmten Kreis der NutzerInnen.

Ein anderes Opfer des TGV dürfte, wie schon in anderen Regionen observiert, die Abschaffung diverser Fern- und vor allem Nachtzugverbindungen sein. Etwa an die Côte d’Azur, weil auch hier eine gewisse Kundschaft in die TGVs gelockt wird, und der verbleibende Rest für ein rentables Geschäft nicht mehr reicht. Auf der Strecke bleiben also jene, die auch schon im 20. Jahrhundert an das System Eisenbahn geglaubt haben und immer dann, wenn es nur irgend möglich war, dem Zug den Vorrang gegeben haben. Überall wo der Schienenschnellverkehr konsequent ausgebaut wurde, ist es im Gegenzug zur Ausdünnung der klassischen überregionalen Bahn gekommen. Dadurch, dass die Neubaustrecken bestimmte Orte nicht mehr bedienen, werden sogar bislang unnötige Autofahrten provoziert: Die auf freier Flur errichteten neuen Regionalbahnhöfe wie „TGV-Lorraine“ ködern mit hektargroßen Abstellplätzen. Die Message ist klar: Wer kein Auto hat, ist selber schuld. Auch die Luxemburger dürften schnell mitbekommen, dass der TGV ab Metz stündlich nach Paris fährt. Zumindest wer im Süden des Ländchens wohnt, wird mit dem Gedanken spielen, eher Metz denn Luxemburg als Startpunkt seines TGV-Abenteuers zu wählen.

So modern der auf Lila und Orange getrimmte TGV-Est auch aussehen mag, er ist ein Konzept aus einer Zeit, wo Klimawandel und Energiesparen gar nicht auf der Tagesordnung standen. Die TGV-Ökobilanz mag im Vergleich zum Flugzeug verlockend wirken, mit dem tendenziell damit verbundenen Rückbau der klassischen Bahn dürfte die Gesamtbilanz allerdings weniger positiv ausfallen.


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