SEXUALSTRAFTÄTER: Opferschutz und Täterrecht

In Karlsruhe besteht nun seit drei Jahren die Initiative „Opferschutz“. Sie setzt sich für die Behandlung von Sexualstraftätern als Präventionsmaßnahme ein.

„Täter-Therapie ist Opferschutz“, so die Behandlungsinitiative Opferschutz (BIOS-BW) e.V.
Sie setzt sich dafür ein, dass Gewalt- und Sexualstraftäter, bei denen eine Persönlichkeitsstörung festgestellt wurde, die Möglichkeit einer Therapie erhalten.

Woxx: Aus welcher Motivation heraus wurde die Initiative Opferschutz gegründet?

Klaus Böhm: Die Behandlungs-Initiative Opferschutz wurde 2006 von Juristen gegründet. Mittlerweile ist sie ein interdisziplinärer Zusammenschluss, dem auch Ärzte, Therapeuten, Vollzugsbedienstete und Sozialarbeiter angehören und die Initiative ist seit Oktober 2008 als gemeinnütziger Verein beim Oberlandesgericht in Karlsruhe registriert. Der Grund für die Gründung war, dass man das Behandlungsangebot im Strafvollzug in Baden-Württemberg verbessern wollte, weil es erhebliche Defizite gab: So hat sich bei gerichtlichen Begutachtungen, die anfallen, wenn ein Täter vorzeitig aus der Haft entlassen werden will, immer wieder herausgestellt, dass in einer Vielzahl von Fällen Gewalt- und Sexualstraftäter psychische Störungen aufwiesen, diese jedoch nicht bekannt waren, so dass sie während des Strafvollzugs nicht behandelt werden konnten. Dies hatte zur Folge, dass letztlich in großem Umfang Gewalt- und Sexualstraftäter aus dem Strafvollzug entlassen wurden, ohne dass sie eine indizierte Therapie erhalten hatten.

In der Öffentlichkeit heißt es gerne: Sexualtäter wegsperren und zwar für immer! – Sind Sexualstraftäter überhaupt behandelbar?

Es wurde in Untersuchungen aus Deutschland sowie vom psychiatrisch-psychologischen Dienst in Zürich nachgewiesen, dass man durch indizierte Therapien das Rückfallrisiko um mindestens die Hälfte senken kann. Das heißt, wenn Sie eine Rückfallquote von 40 Prozent haben, wie das etwa bei Vergewaltigungen der Fall ist, dann können Sie statistisch gesehen von 40 zu erwartenden Straftaten zumindest 20 verhindern. Auch bei pädophilen Tätern kommt es auf die Art und das Ausmaß der Pädophilie an. Hier gibt es unterschiedliche Formen. Viele sind behandelbar. Es gibt aber Formen der Pädophilie, bei denen eine therapeutische Maßnahme wenig sinnvoll erscheint. Das müssen Sie immer von Fall zu Fall beurteilen. Letztlich jedoch gibt es keine Alternative: Wenn Sie davon absehen, während der Haft Täter zu behandeln, dann bedeutet dies, dass diese im Regelfall unbehandelt aus der Haft entlassen werden. Im Übrigen ist die Meinung, bei einer Therapie handele es sich um ein Wellness-Angebot einfach verfehlt. In Wahrheit ist es für die Täter eine bittere Erfahrung, sich mit den eigenen Defiziten auseinanderzusetzen.

Wie weit sind die Instrumente der forensischen Psychiatrie überhaupt ausgereift, um adäquat einem solch schwierigen Personenkreis helfen zu können?

Es sind in der Regel psycho-therapeutische Behandlungsmaßnahmen, die angewendet werden, wobei diese bei jedem Täter unterschiedlich sind. Zunächst muss festgestellt werden, ob der Täter überhaupt behandelbar ist. Ungefähr zehn Prozent der Täter sind es nicht. Es gibt auch Personen, die keiner Behandlung bedürfen, weil sie keine psychische Störung aufweisen. Aber viele haben narzisstische oder dissoziale Störungen. Es sind Personen – so ein derzeitiger Fall in unserer Forensischen Ambulanz -, die beispielsweise aufgrund ihrer Lebensgeschichte nie den richtigen Umgang mit Frauen gelernt haben. Wichtig ist vor allem, dass in der Haft frühzeitig mit der Therapie begonnen wird, denn hier ist der Täter noch motiviert. Auch muss die Betreuung nach der Entlassung in Form einer ambulanten Nachsorge fortgesetzt werden.

Was geschieht mit Tätern, die eine Behandlung ablehnen?

Entgegen dem Willen einer Person können Sie keine erfolgreiche Therapie durchführen. Ein von der „Behandlungsinitiative Opferschutz (BIOS-BW) e.V.“ erarbeiteter Gesetzesvorschlag sieht deshalb vor, dass therapeutische Maßnahmen unterbleiben, wenn ein Täter nicht einverstanden ist. Nichtsdestotrotz sollte er sich einer Begutachtung unterziehen. Generell ist es in Deutschland so, dass die weitaus meisten Gewalt- und Sexualstraftäter am Ende der gegen sie verhängten zeitigen Freiheitsstrafe wieder aus der Haft entlassen werden. Es gibt aber auch Personen, die entweder besonders schwere Straftaten begangen haben oder aber gefährliche Wiederholungstäter sind. Sofern die Kriminalprognose bei einem solchen Täter, der zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe oder Sicherungsverwahrung verurteilt wurde, weiterhin schlecht bleibt, werden diese nicht aus der Haft entlassen.

Wie sieht die Arbeit der Behandlungsinitiative Opferschutz konkret aus?

Die Arbeit des Vereins ist ganz unterschiedlich. Einerseits führen wir mit Geldmitteln, die uns vom Land Baden-Württemberg zugewiesen wurden, in den Haftanstalten in Mannheim, Heimheim und Heilbronn Pilotversuche zur Behandlung von gefährlichen Gewalt- und Sexualstraftätern durch: Rund dreißig Gefangene werden hier in Gruppen- und Einzeltherapien durch freie Therapeuten gemeinsam mit Vollzugsbediensteten behandelt. Diese Projekte werden von der Universität Heidelberg wissenschaftlich begleitet. Ein weiteres Aufgabenfeld unseres Vereins ist politischer Natur. Anfang März haben wir dem Bundesministerium der Justiz das so genannte „BIOS-Memorandum“ vorgelegt. Hier fordern wir eine Änderung der deutschen Gesetze im Hinblick auf eine Stärkung des präventiven Opferschutzes. Wir wollen, dass schon in der gerichtlichen Hauptverhandlung eine Begutachtung von Gewalt- und Sexualstraftätern auch im Hinblick darauf erfolgt, ob eine psychische Störung vorliegt, damit gegebenenfalls Therapien eingeleitet werden können. Der dritte Schwerpunkt unserer Arbeit ist die Forensische Ambulanz im Amtsgericht Karlsruhe. Hier sind Therapeuten tätig, die die ambulante Nachsorge vor allem von Strafgefangenen durchführen, die mit günstiger Sozialprognose aus der Haft entlassen worden sind. Es werden aber auch rein präventive Maßnahmen angeboten bei polizeilich auffällig gewordenen Personen oder bei so genannten „Tatgeneigten“. Die Mehrheit dieser Fälle wird uns durch Vollzugsanstalten oder durch Bewährungshelfer vermittelt, nachdem das Gericht Therapieauflagen erteilt hat. So werden in der Forensischen Ambulanz Baden binnen eines Jahres nunmehr schon rund 90 verschiedene Fälle behandelt. Der Bedarf ist jedoch weitaus größer.

Wie sind ihre Erfahrungen nach drei Jahren Opferschutz?

Die Erfahrung ist, dass es sich um einen schwierigen, aber lohnenden Weg handelt. Es ist schwer, der Öffentlichkeit zu vermitteln, dass die Therapie von Straftätern die wirksamste Form ist, Straftaten zu verhindern. Es ist nach unserer Auffassung ein vernünftiger Ausgleich zwischen dem Sicherheitsbedürfnis der Allgemeinheit und dem Persönlichkeitsrecht des Täters. Denn in einem Rechtsstaat können Sie nur in Ausnahmefällen lebenslange Freiheitsstrafen oder Sicherungsverwahrung anordnen. Polizeipräventive Maßnahmen wie Fußfesseln oder polizeiliche Überwachung mögen im Einzelfall notwendig sein. Aber eine wirksame Opferschutzmaßnahme liegt vor allem darin, die Zeit, in der jemand sich in Haft befindet, nicht nutzlos verstreichen zu lassen. Neben einer psychotherapeutischen Behandlung sind berufliche Ausbildungsmaßnahmen, Kontakte zur Familie etc. weitere wichtige Hilfestellungen. Viele Straftäter sind auch dankbar, wenn sie Mechanismen erlernen, um mit ihren Problemen umzugehen, gleichgültig, ob es sich um Kindheits-, Beziehungs-, Erziehungs- oder Familiendefizite handelt.

Zur Person: Klaus Michael Böhm, 1955 geboren, ist nach dem Studium der Rechtswissenschaft an der Universität Mannheim seit 1986 als Richter im Justizdienst des Landes Baden-Württemberg tätig. Er wurde 1998 zum Richter am Oberlandesgericht Karlsruhe ernannt. Böhm ist Mitbegründer der 2006 im Justizministerium Baden-Württemberg ins Leben gerufenen und beim Oberlandesgericht Karlsruhe ansässigen Behandlungsinitiative Opferschutz (BIOS-BW) und steht dieser seit 2008 als Vorsitzender vor. Der interdisziplinär besetzte Zusammenschluss setzt sich vor allem für eine Verbesserung des Opferschutzes durch die psychotherapeutische Behandlung von Straftätern ein.
Mehr Infos unter: www.bios-bw.de


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