REGIERUNGSERKLÄRUNG: „Im Konsens – hoffentlich“

Eine knappe Stunde dauerte die Erklärung des neuen und alten Regierungschefs vor dem nunmehr vollständigen Parlament. Doch wohin der Weg führt, ist auch nach Offenlegung des Koalitionsabkommens unklar.

Soll bis 2014 halten: Die Debatten zum Koalitionsabkommen von CSV und LSAP dauerten inklusive der Erklärung und der Reaktionen des Premiers nicht einmal fünf Stunden.

132 Seiten umfasst das nun auch der breiten Öffentlichkeit zugängliche Koalitionsabkommen von CSV und LSAP. Bislang war es nur einem kleinen Kreis von Auserwählten bekannt. Den Oppositions-Fraktionschefs wurde das Dokument erst Anfang der Woche übermittelt. Und erst jetzt wissen auch die Parteimilitanten von CSV und LSAP genauer, wofür sie Anfang letzter Woche gestimmt haben.

Wobei das mit der Genauigkeit so eine Sache ist, denn wesentlich präziser als das bislang bekannte Resümee ist das Koalitionspapier auch in seiner Langfassung in vielen Punkten nicht. Die konkreter formulierten Gesetzesinitiativen sind in der Regel Vorhaben aus dem Koalitionsprogramm 2004-2009, die aus unterschiedlichsten Gründen nicht fristgerecht abgeschlossen wurden oder jetzt erst in Angriff genommen werden sollen.

Angesichts so mancher schwammigen Formulierung erheben nicht wenige den Verdacht, dass es neben dem jetzt vorliegenden Koalitionsprogramm weitergehende Absprachen zwischen CSV und LSAP gegeben hat. Eine Offenlegung der Sitzungsprotokolle der Verhandlungsdelegationen könnte dazu beitragen, diesen Verdacht auszuräumen. Eine Forderung, die der linke Abgeordnete André Hoffmann – in Anlehnung an ein ähnlichs Verlangen der LSAP aus dem Jahre 1999 – in der anschließenden Debatte erfolglos aufstellte.

Aber auch die Regierungserklärung des in seinem Amt bestätigten Premierministers lässt viele Fragen offen. Als Begründung hierfür muss natürlich die aktuelle Wirtschaftskrise herhalten – von der keiner weiß, wie lange sie dauern und wie heftig sie sich auswirken wird. Sogar die nationalen Wirtschaftsweisen, in Gestalt der Direktoren der wichtigsten Administrationen des Staates, konnten dem Premier keine zufriedenstellende Prognose liefern, was alles in den nächsten Jahren auf das Land zukommen wird.

Der Rat der Weisen

Insofern hat sich die Sprachregelung auch nach dem Wahltermin vom 7. Juni kaum verändert: Bis Ende 2010 wird an den bisher getroffenen Entscheidungen – antizyklisches Konjunkturprogramm, Abfederung der sozialen Konsequenzen im Falle von Arbeitslosigkeit und so weiter ? nicht gerüttelt. Auch wenn bei den laufenden Ausgaben des Staates die Bremse gezogen wird, so werden die Ausgaben doch weiter steigen. Zugleich werden die Einnahmen sinken: Die allgemeine wirtschaftliche Erlahmung wird so 2009 und 2010 zu einem nominellen Steuereinkommen führen, das unterhalb dessen liegt, was 2008 verbucht werden konnte.

Steuererhöhungen als möglicher Ausgleich sind für die Koalitionäre ein absolutes Tabu. Steuersenkungen für Betriebe dafür umso mehr. Die Gewinnbesteuerung soll auf 25,5 Prozent abgesenkt werden. Eine der wenigen konkreten Zahlen die in der Regierungserklärung genannt werden, wie der grüne Fraktionschef feststellte. Andere Einnahmequellen – etwa über den Weg einer ökologischen Steuerreform – sind nicht in Aussicht. Das von den Wirtschaftsweisen errechnete und von Jean-Claude Juncker als mögliches Szenario angekündigte mögliche Budgetdefizit von 12 Milliarden Euro im Jahre 2014 – das wären vierzig Prozent des Bruttoinlandsproduktes – wird uns in den nächsten Monaten und Jahren in sämtlichen Debatten begleiten. Anders formuliert: Am Ende der nun beginnenden Legislaturperiode wird der Luxemburger Staatshaushalt pro Jahr 427 Millionen Euro allein an Schuldzinsen aufbringen müssen. Die Rückzahlung der Staatsschuld würde dann jedes Jahr ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts erfordern – heute sind es 0,04 Prozent.

Das wären in der Tat für Luxemburg und seine Einwohnerschaft gänzlich ungewohnte Rahmenbedingungen. Denn bislang galt die Anhäufung von Budgetüberschüssen als größte Tugend des Luxemburger Finanzministers – ein Amt, das Jean-Claude Juncker, wie angekündigt, an Luc Frieden abgetreten hat. Aus seiner Enttäuschung machte er kein Hehl und war schnell mit einer Namhaftmachung der Verantwortlichen bei der Hand: „Lang, viel zu lang haben wir uns auf die Kräfte des Marktes verlassen. Lange, viel zu lang sind viele von uns einer kaum angezweifelten ?pensée unique‘ aufgesessen, die geglaubt hat, den Staat als Problem erkannt zu haben, und die im Zurückschrauben seines Einflusses die Erfüllung einer regelrechten Heilsphilosophie gesehen haben.“

Mit einer solchen Rede hätte Juncker seine Anwartschaft zum lokalen ATTAC-Komitee geltend machen können – hätte er sie vor zehn Jahren gehalten. Jetzt, wo der Scherbenhaufen in seinen Gesamtausmaßen nach und nach erkennbar wird, klingen seine Worte doch eher als eine Art Abrechnung mit jenen Wirtschaftsliberalen – auch aus den eigenen Reihen -, die den schlanken Staat nicht nur eingeklagt, sondern in so manchen Bereichen auch haben durchsetzen können. Doch eine Absicht zu konkreten politischen Schritten lässt sich aus dieser Feststellung im Abkommen nicht herauslesen. Denn es zeigt sich: Kaum hat der „linke“ Juncker seinem Ärger Luft gemacht, verfällt er in den gleichen Effizienz- und Kompetitivitätsjargon, den er eigentlich kritisieren wollte.

Allerdings wird das von den Wirtschaftsweisen errechnete Szenario einer regelmäßigen Überprüfung unterworfen werden müssen. Denn ob es tatsächlich zu einer Verschuldungvon 12 Milliarden Euro kommen wird, ist keineswegs ausgemacht. So wenig die Experten die Krise vorausahnen konnten, so wenig können sie verbindlich sagen, wie lange die Talfahrt noch andauern wird.

Reform-Immobilismus

Juncker wäre aber nicht Juncker, wenn der Schlag nach rechts nicht begleitet wäre von einem mindestens genauso heftigen Schlag in Richtung der Linken. Wer sich Einschnitten in den Sozialhaushalt verweigere, der setze den Sozialstaat langfristig aufs Spiel: „Wenn jede zukunftsorientierte Reform im Renten- und Pensionswesen, noch bevor die Diskussion angefangen hat, mit Sozialabbau gleichgesetzt wird, dann bewegen wir uns in einen Zustand von totalem Reform-Immobilismus hinein“. Hinsichtlich der Rentenreform und einer Durchforstung des Sozialhaushalts nach dem Prinzip einer höheren sozialen Selektivität, kündigt der Regierungschef einen Dialog und Verhandlungen mit den Sozialpartnern an und fügte den Halbsatz an, dass dies „im Konsens – hoffentlich“ passiere. Auf wessen Seite er und seine Regierung sich stellen werden, wenn ein Konsens nicht zustande kommt, darüber schweigt er sich aus.

Leider gibt das Koalitionsprogramm hinsichtlich des zu beschreitenden Weges wenig Aufschluss. Insofern sind die heftigen Reaktionen vor allem der Gewerkschaften zu dem Wenigen, das während der Koalitionsverhandlungen durchsickerte, vom Premierminister und den Verhandlungschefs mitverursacht worden. Wer von einer Abbremsung der Sozialtransferts und sozialer Selektivität redet, ohne zu präzisieren, worauf er anspielt, sollte sich über Liebesentzug seitens des betroffenen Teils der Sozialpartner nicht beklagen.

Eine der wenigen hierzu im Koalitionsabkommen gegebenen Präzisierungen – die Überprüfung der familienbedingten Steuerabschläge auf ihre soziale Wirkung hin – wurde erstaunlicherweise vom Premierminister in seiner Rede ausgeblendet. Dabei wäre diese Maßnahme für die von ihm visierten Kritiker von links wohl unproblematisch, da sie im Sinne einer höheren Besteuerung der Besserverdienenden wirken würde. Dies und der in der vergangenen Legislaturperiode eingeführte Netto-Steuerkredit für alle sind durchaus „gewerkschaftskonform“, auch wenn sie mit dem Dreh nach unten an der Steuerschraube erkauft wurden.

Auf den ersten Blick fortschrittlich nehmen sich dafür die im Koalitionsabkommen aufgeführten gesellschaftspolitischen Reformen aus. Von der Homo-Ehe über einen liberaleren Umgang mit Empfängnisverhütung und Abtreibung bis hin zum Ausländerwahlrecht „antizipiert“ der Premierminister eine gesellschaftspolitische „Konsensfähigkeit“, der die Politik vorgreifen müsse. Doch eigentlich besteht der Konsens in diesen Fragen seit Jahrzehnten für eine Mehrheit der Bevölkerung – lediglich die CSV hat sich ihm bislang versperrt. Reform-Immobilismus scheint also nicht nur eine Charakteristik des linken Parteispektrums zu sein.


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