IT’S WAR?: Alle Aktionen müssen dem Frieden dienen

Kommt es nach den Anschlägen in den USA zu einem Krieg, so ist Luxemburg als NATO-Mitglied auch betroffen. Im Gespräch mit der woxx warnt der zuständige Minister Charles Goerens vor kontraproduktiven Reaktionen der Bündnispartner.

Absperrungen vor der US-Botschaft in Luxemburg.
(Foto: Christian Mosar)

woxx: Bei der Erklärung des Bündnisfalls gab es Vorbehalte seitens der Benelux-Staaten. Warum?

Charles Goerens: Weil diese Erklärung in ihrem zweiten Abschnitt zu ambivalenten Kommentaren Anlass geben könnte. Es handelt sich wohlgemerkt um eine Absichtserklärung, das heißt diese Absicht wird erst Wirklichkeit, wenn eine wesentliche Bedingung erfüllt ist: Es muss feststehen, von wem die Bedrohung ausgeht. Wenn der Ursprung, die Konzeption und die Ausführung des Anschlags ausschließlich auf Personen zurückzuführen ist, die auf US-amerikanischem Territorium leben, dann müsste man mit dem Artikel 5 des NATO-Vertrags viel vorsichtiger umgehen.

Handelt es sich bei dem Anschlag um ein Verbrechen oder um einen kriegerischen Angriff?

In der jetzigen Phase sollte man darauf achten, welches Vokabular man benutzt. Ich würde diese Tat einfach als „crapuleux“ bezeichnen. Wenn sie von außen konzipiert, geleitet und durch Personen ausgeführt wurde, die in die USA eingeschleust wurden, – dann kann man das gleichstellen mit einem „acte de guerre“.

Der Bündnisfall bedeutet doch aber Krieg?

Man muss Artikel 5 ganz genau lesen, sowohl was den Buchstaben als auch was den Geist betrifft. Ich hoffe, dass wir alle die gleiche Interpretation haben – es ist das erste Mal in der Geschichte der NATO, dass der Artikel zur Anwendung kommt. Artikel 5 spricht von Aktionen zur Wiederherstellung des Friedens. Und es kommt nicht von ungefähr, dass über diese Aktionen der Generalsekretär der UNO informiert werden muss – im Grunde genommen ist er ja der oberste Richter über die Anwendung des Internationalen Rechts.

In der NATO-Erklärung vom 12. September heißt es, der Bündnisfall trete ein, wenn der Angriff „aus dem Ausland gesteuert wurde“? Ist eine breite Auslegung hiervon nicht sehr gefährlich?

Unabhängig von der Auslegung besteht die Gefahr, dass Gegenaktionen mehr Probleme schaffen als sie lösen. Dann müsste man überlegen, ob nicht andere Mittel der Sache des Friedens und dem zivilisierten Zusammenleben dienlicher sind.

Wie bewerten Sie die Legitimität des Akteurs NATO?

Die Legitimität ist gegeben, wenn, wie gesagt, die Ursachen ermittelt sind. Dann steht dem Bündnisfall nichts im Wege. Es gibt mehrere Szenarien, die absolut kompatibel mit dem Internationalen Recht sind. Die USA selbst haben die Möglichkeit, im Alleingang die Aktionen zu engagieren, die sie für angemessen erachten.

Insgesamt geht es auch nicht nur um die NATO-Mitglieder. Dies ist eine Attacke auf die Zivilisation, und diesen Begriff kann man nicht begrenzen auf die NATO-Staaten.

Themen wie friedlicher Fortschritt, weltweite Umverteilung, gerechte Lösung des Nahostkonflikts sind schon seit langem bekannt. Man hat den Eindruck, sie würden jetzt wiederentdeckt. Geschieht nun etwas Konkretes?

Ich glaube, es gibt eine Menge Akteure, darunter Luxemburg, die nicht erst am 11. September 2001 entdeckt haben, dass etwas geschehen müsste in puncto gerechtere Güterverteilung. In einer globalisierten Welt haben wir kein Interesse daran, Menschen auf der Strecke zu lassen.

Aber zu sagen, es gebe eine direkte „relation de cause à effet“ zwischen jener Situation und dem, was in Washington und New York geschehen ist, würde den Anschein einer moralischen Rechtfertigung jener Akte geben. Das gilt nicht. Es gibt nichts, aber wirklich nichts, was jene Barbarei entschuldigt.

Blickt man nach Irak oder nach Kolumbien, so sieht man, dass die USA direkt und indirekt auch Menschenleben zerstören. Ist der Krieg nicht längst im Gange?

„Comparaison n’est pas raison.“ Niemand darf sich als Weltapostel oder Welt-Staatsanwalt aufspielen. Die Welt ist nicht perfekt. Das ist kein Grund, unschuldige Menschen, die sonst nichts tun als morgens zur Arbeitgehen, ins Jenseits zu befördern.

Ich gehe bewusst auf die Frage nicht ein, weil ich auch nicht den geringsten Anschein einer moralischen Rechtfertigung jener barbarischen Akte aufkommen lassen will.

Unser Bestreben ist, zu sehen dass überall dort, wo internationales Recht vorangebracht werden kann, wo man einen Schritt in diese Richtung machen kann, wir das mit unseren bescheidenen Mitteln unterstützen.

Was geschieht nun? Bedeutet der Bündnisfall ein Blanko-Scheck für die USA?

Nein, die Verhältnismäßigkeit muss gewahrt bleiben, denn sie steht implizit im NATO-Vertrag drin. Artikel 5 steht im Zeichen der Wiederherstellung des Friedens. Dieses Ziel darf man nicht aus den Augen verlieren. Die Verantwortlichen, die über kommende Aktionen entscheiden, müssen sich bewusst sein, dass sie sich auf sehr dünnem Eis bewegen.

Wie könnte Luxemburg konkret an Aktionen beteiligt sein?

Wenn der Bündnisfall für die NATO sich bestätigt und jedes Land sagt, was es macht, dann sind wir noch immer total, und ich betone, total frei zu bestimmen, was wir machen. Der Bündnisfall ist keine Verpflichtung, kein Diktat des stärksten Partners gegenüber den weniger starken. Es ist eine Solidaritätserklärung gegenüber dem angegriffenen Land, mit dem wir uns in einer Schicksalsgemeinschaft befinden.

Konkret könnten wir zum Beispiel um ein „droit d’escale“, um die Zur-Verfügung-Stellung des Luftraums, gebeten werden. Was wir vor allem werden leisten müssen, zusammen mit den europäischen Partnern, das sind Anpassungen im Bereich der inneren Sicherheit.

Birgt das nicht auch Gefahren für die Freiheit?

Frieden ist mehr als die Abwesenheit von Krieg. Frieden ohne Freiheit ist nicht sehr viel wert. Das gilt wohl auch für unsere NATO-Partner, und darüber hinaus. Instinktiv spürt jeder, dass wir einen Mittelweg gehen müssen zwischen Sicherheitsimperativen und der Erhaltung von Grundfreiheiten und von Rechten für die, die sonst auf der Strecke bleiben würden.

Wir wollen den Frieden erhalten – also ein System, in dem es Freiheiten gibt, in dem die Rechte der Individuen und der Minderheiten respektiert werden. Nur wenn die Menschen das Gefühl haben, über diese Rechte zu verfügen, sind sie auch bereit, für diesen Frieden einzutreten.

Interview: Raymond Klein

„Was wir vor allem werden leisten müssen, sind Anpassungen im Bereich der inneren Sicherheit.“


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