BANGLADESH: Repression statt Demokratie

Mit autoritären Methoden will die Übergangsregierung in Bangladesh das politische System neu ordnen. Protestierende Studenten fordern eine Rückkehr zur Demokratie.

Das Rapid Action Battalion, zweifelhafte Stütze des Regimes.

Eine Chance auf Freilassung hat der Universitätsdozent Nimchandra Bhowmik bis zur Gerichtsverhandlung nicht. „Sein Prozess fällt unter das Notstandsdekret, deshalb wird es keine Kaution geben“, sagte Shahidul Haque Khan, der Vizepolizeipräsident der Hauptstadt Dhaka, nach der Verhaftung am Dienstag vor einer Woche. Bhowmik und acht weiteren inhaftierten Dozenten wird die Beteiligung an Studentenunruhen vorgeworfen.

Die Auseinandersetzungen begannen mit einer Schlägerei zwischen Studenten der Universität von Dhaka (DU) und Soldaten während eines Fußballspiels am 20. August. Die Studenten forderten daraufhin den Abzug der Truppen vom Unigelände. Es kam zu Straßenschlachten mit der Polizei und Soldaten, die mit Tränengas, Schlagstöcken und Gummigeschossen vorgingen. Studenten schleuderten Steine und legten auf dem Campus der DU Feuer, später wurden Dutzende Fahrzeuge in Brand gesteckt und Straßen im Zentrum der Stadt verbarrikadiert. Die Unruhen breiteten sich auch auf Hochschulen in anderen Städten aus.

Nach Angaben der Behörden wurden allein in Dhaka knapp 150 Menschen verhaftet. Insgesamt wurden 400 Menschen verletzt, ein Rikschafahrer in Rajshahi starb, nachdem er von mehreren Gummigeschossen an der Brust getroffen worden war. Die Regierung verhängte eine landesweite Ausgangssperre.

Die Armee greift ein

Bei den Studentenunruhen wurden erstmals lautstark und außerparlamentarisch Forderungen nach einer Rückkehr zur Demokratie erhoben, sie waren die erste offene Herausforderung für die von der Armee gestützte Übergangsregierung, die Mitte Januar den Ausnahmezustand verhängt hatte. „Böse Kräfte“ und politische Opportunisten hätten versucht, Chaos und Anarchie zu schaffen, meint Generalstabschef Moeen U. Ahmed. Die Hochschulen und Colleges sind seit den Unruhen geschlossen.

Die Übergangsregierung unter Leitung des Ökonomen Fakhruddin Ahmed erfreute sich anfangs wegen ihres Reformpakets, das auf eine Bekämpfung von Korruption und Kriminalität ausgerichtet ist, großer Popularität, betraf es doch vor allem hohe Parteifunktionäre und Mandatsträger. Mehr als 150 von ihnen sind derzeit inhaftiert. Die Wiederherstellung der demokratischen Strukturen hat die Regierung für Ende kommenden Jahres zugesagt. Doch es mehren sich die Zweifel, nicht nur wegen der Inhaftierung vieler Intellektueller, Hochschullehrer und Studenten.

Was von der Regierung als Korruptionsbekämpfung bezeichnet wird, könnte in eine Demontage des Parteiensystems münden. Die Vorsitzenden der beiden größten politischen Parteien sitzen im Gefängnis. Seit dem 16. Juli ist Sheikh Hasina Wajed, die Tochter von Staatsgründer Mujibur Rahman und Vorsitzende der Awami League (AL), inhaftiert, ihr wird Erpressung vorgeworfen. Am 3. September wurden Khaleda Zia, die frühere Regierungschefin und Vorsitzende der Bangladesh Nationalist Party (BNP), und ihr jüngster Sohn Arafat Rahman festgenommen. Ihnen wird Korruption zur Last gelegt. In der vergangenen Woche entschied die Antikorruptionskommission, die Anklagen gegen Zia und Hasina unter den Emergency Powers Rules zu erheben, die keine Freilassung auf Kaution gestatten.

Premierministerinnen hinter Gittern

Bangladesh leidet seit Jahren unter der Polarisierung zwischen AL und BNP. Die Anhänger der beiden Parteien trugen ihre Meinungsverschiedenheiten oft gewalttätig aus. Bei den Auseinandersetzungen um den Wahltermin nahmen sie im Herbst vorigen Jahres eine politische Krise bewusst in Kauf, in vielen Landesteilen tobten tagelange Straßenschlachten. Die für Januar geplanten Wahlen wurden abgesagt, die von der BNP dominierte Übergangsregierung trat zurück.

Seitdem regiert, unterstützt vom Militär, der ehemalige Weltbankmitarbeiter Fakhruddin Ahmed mit einer aus Technokraten, Beamten, Diplomaten, Polizei- und Armeeoffizieren bestehenden Mannschaft. Die landesweiten Verhaftungen von Politikern, ihren Geschäftspartnern und bürokratischen Nutznießern wurden von der Armee geleitet. Viele der Verhafteten kamen erst in den vergangenen Jahren unter der von Zias BNP geführten Regierungskoalition zu Reichtum. Zu ihnen zählt auch Tarique Rahman, Zias älterer Sohn. Ende August wurde Shahjahan Siraj, der ehemalige Jute-Minister, zusammen mit seiner Frau und seinem Sohn wegen Steuerhinterziehung zu acht Jahren Haft verurteilt. Unter der BNP-Regierung gab es 47 Ressorts, auch solche mit weniger bedeutenden Aufgabenbereichen, da viele verdiente Funktionäre zufriedengestellt werden mussten. Siraj hatte sich jedoch rechtzeitig ins Ausland abgesetzt.

Die Regierung hoffte, dass Zia und Hasina das Gleiche tun würden. Während eines Besuchs Hasinas im April in den USA wurde gegen sie ein Korruptionsverfahren eröffnet. Die Regierung versuchte, ihre Rückkehr zu verhindern, doch Hasina landete Anfang Mai wieder zuhause. Unterdessen hieß es, dass Zia aufgefordert wurde, ins Exil nach Saudi Arabien zu gehen. Ihr inhaftierter Sohn Tarique wäre dann entlassen und ebenfalls ausgeflogen worden. Doch der Plan der Regierung, sich der beiden ehemaligen Premierministerinnen zu entledigen, misslang.

Misstrauen weckte dann der gewaltige Aufwand am 16. Juli bei der Verhaftung Hasinas, die auch einem Zusammenschluss von 14 säkularen Parteien vorsteht. 1.000 Polizisten und Angehörige des paramilitärischen Rapid Action Battalion begleiteten die Politikerin zum Gericht. Diese Machtdemonstration wurde als Ausdruck eines Wandels im „Reformkurs“ der Regierung interpretiert. Das harte Vorgehen gegen die Studentenbewegung hat die Sorgen verstärkt.

Technokraten, Generäle und Islamisten

Seit dem Rücktritt des Militärdiktators General Hussain Mohammed Ershad Ende 1990 hielt sich die Armee aus der Politik heraus. Generalstabschef Moeen U. Ahmed erklärte mehrfach beschwichtigend, man werde der zivilen Regierung lediglich zur Seite stehen und denke nicht an eine Machtübernahme. Doch der oberste Soldat tritt nun häufiger öffentlich auf.

Die Gerüchte über die Neugründung einer Regierungspartei, wie sie etwa in Pakistan eigens zum Machterhalt des Militärherrschers Pervez Musharraf konstituiert wurde, reißen nicht ab. Der Reformen zugeneigte Nobelpreisträger und Bankier Mohammed Yunus war möglicherweise für die Führung einer solchen Partei vorgesehen, doch er sprang wieder ab. Auffällig ist auch, dass die islamistische Jamaat-e-Islami Bangladesh kaum vom Reformeifer der militärisch-technokratischen Regierung betroffen ist. So wird weiter darüber gerätselt, wen General Ahmed meinte, als er sagte, dass das Land „effektivere und ehrlichere Politiker“ brauche.

Christoph S. Sprung ist Politikwissen-schaftler und wissenschaftlicher Mit-arbeiter am Zentrum Moderner Orient. Er ist Gründungsmitglied des Südasien-Informationsnetz e.V.


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