FOTOGRAFIE: Schwindende Gesichter

Die Arbeiten zweier der heißesten Fotografen Polens verspricht die Ankündigung, sozusagen das Beste aus der zeitgenössischen polnischen Porträtfotografie. Organisiert von der Luxemburgischen Botschaft in Polen in Zusammenarbeit mit dem CCRN werden in der Kapelle der Abtei Neumünster Studioarbeiten der beiden Fotografen Magda Wünsche und Filip Bojko ausgestellt. Und mit ihren Arbeiten zeigen beide, dass Porträts oft wesentlich mehr über den Künstler aussagen, als über den Porträtierten selbst.

Begrüßt wird der Besucher von einer Arbeit Wünsches, die in Anlehnung an Eugène Delacroix‘ Klassiker „La Liberté guidant le peuple“ entstanden ist. Es dauert einen Moment, bis man feststellt, dass praktisch jeder der Beteiligten ein Handy am Ohr hat oder dies neben den Besiegten auf dem Boden liegt.

Eine interessante Idee, die zur Interpretation einlädt, bis man herausfindet, dass dieses Bild für eine Werbekampagne einer Handyfirma entstanden ist – und die Blase im Kopf platzt. Man fühlt sich an der Nase herumgeführt und es macht sich schnell ein bitterer Beigeschmack breit, den man aber hinunterschlucken sollte.

Werbefotografie ist das kommerzielle Metier von Magda Wünsche und mindert den Eindruck, den ihre künstlerischen Arbeiten und ihre Fertigkeiten hinterlassen, kaum. Das Verständnis von Ästhetik, das Wünsche in ihren Arbeiten zur Schau stellt, kann den verbliebenen Rest an Zweifel aber nicht vollständig verdrängen. Auch wenn man um die eigenen Vorurteile weiß, zaubert man oft in Gedanken an geeigneter Stelle ein Parfümflakon mit Logo auf das Bild. Dabei ist ihre Sichtweise sicher zum großen Teil das Ergebnis ihrer Ausbildung an der Tanzakademie Zürich, woraus auch ihre häufige Zusammenarbeit mit Tänzern resultieren mag.

Allerdings werden bei dieser Ausstellung auch andere Facetten ihrer Arbeit deutlich. Hier tun sich zwar keine seelischen Abgründe auf aber sie geht einen Schritt darauf zu, indem sie den Porträtierten ihre Gesichter nimmt. Damit macht sie ihre Objekte unkenntlich und entfernt sich noch weiter von ihnen. Trotzdem lässt Wünsche dem Betrachter aber auch einen Spielraum für Interpretationen und die Beschäftigung mit dem Bild. Hier sticht besonders eine Fotografie mit dem Titel „N 15° W 74°“ hervor, für das sie das Gesicht ihres Modells hinter einer Maske aus allerlei Kleinteilen, wie Ringen, Ketten, Sicherheitsnadeln, Uhren etc. versteckt hat. Die Koordinaten des Titels bezeichnen übrigens das ehemalige Hippie-Paradies Goa.

Näher an seinen Objekten ist Filip Bojko, der hier sein Ausstellungsdebüt feiert. Bei ihm stehen die abgelichteten Personen stärker im Vordergrund. Und auch wenn er etwa seinen „Chairman“ in der Totalen zeigt, ist Bojko stärker als Wünsche fokussiert auf das Gesicht seiner Modelle und setzt sich mit deren Gefühlsregungen auseinander. Verbissenheit, Schmerz und Aggression, aber auch Verträumtheit oder Selbstbewusstsein fängt er in seinen schwarz-weiß-Fotografien ein. Und auch der Humor spielt eine große Rolle. Man glaubt man könne seinen Modellen den Spaß an der Arbeit und die Experimentierfreude ansehen, selbst dort wo die negativen Seiten die Hauptrolle spielen.

Dabei gelingt es Bojko sie ins rechte Licht zu setzen, er lässt sie aus dem Halbdunkel treten oder darin verschwinden. So entstehen Einblicke, die bei aller Ästhetik und Schönheit der Arbeiten von Wünsche, näher an dem sind, was ein Porträt ausmachen sollte. Es gelingt ihm hinter den Menschen zu blicken und sich nicht allein auf Äußerlichkeiten zu beschränken.

Filip Bojko und Magda Wünsche, noch bis zum 14. April im CCRN.


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