LANDESPLANUNG: Zu kurzer Rettungsanker

Die Reform des 1999er Landesplanungsgesetzes ist auf dem Instanzenweg. Ob die in dem Entwurf vorgesehene Spekulationsbremse es bis in die Endfassung des Gesetzes schafft, bleibt abzuwarten.

Einkaufszentrum plus Sportpalast mit 10.000 Sitzplätzen auf der grünen und womöglich überschwemmten Wiese. Es sind nicht nur private Investoren sondern auch gestandene Regierungsmitglieder, die Druck auf die Landesplaner ausüben.

„Es war einmal“ – so leiteten vergangene Woche die Verantwortlichen des Mouvement Ecologique eine Pressekonferenz ein, auf der sie den Zustand der Luxemburger Landesplanungspolitik bilanzierten. Anlass waren neue Informationen bezüglich der beiden Großprojekte Livingen und Wickringen, bei denen die Umweltgesellschaft eindeutige Symptome einer Fehlentwicklung zu erkennen glaubt.

Was sie bemängelt: Einerseits ist das Projekt Wickringen – geplant war ursprünglich ein Einkaufszentrum von 24.000 Quadratmeter – keineswegs aufgegeben. Es soll in Form eines Mischprojektes mit immerhin noch 10.000 Quadratmeter Verkaufsfläche, einer fast doppelt so großen Aktivitätszone sowie einer neu hinzukommenden Wohnsiedlung, die 28 Prozent des ursprünglichen Areals abdecken wird, vom Promoter, der Firma Rollinger, weiterbetrieben werden.

In Livingen soll andererseits derselbe Promoter, als Ausgleich für die in Wickringen auferlegten „Einschränkungen“, 10 bis 15.000 Quadratmeter für nicht näher bezeichnete Projekte erhalten. Damit entpuppt sich der politische Deal „Livingen statt Wickringen“, der noch unter der vorigen Regierung ausgehandelt worden war, als Augenwischerei. Die Politik, die sich nun zwei Großprojekten gegenüber sieht, beteuert, dass ihr die Hände gebunden seien – eine Bankrotterklärung.

Der alte Landesplanungsminister, Jean Marie Halsdorf, hatte seinerzeit vergeblich versucht, das Wickringer Vorhaben wegen mangelnder Übereinstimmung mit den bis dahin erarbeiteten Landesplanungsinstrumenten zu verhindern. Weil sein Kollege aus dem Mittelstandsministerium aber keine rechtliche Handhabe sah, die Genehmigung für ein Handelszentrum zu verweigern, wurde dem Promoter eine anderer Standort vorgeschlagen. Diesem bescheinigten die Behörden kurzerhand die Konformität mit dem „Integrativen Verkehrs- und Landesentwicklungskonzept (IVL)“. Sehr zur Freude des Wirtschafts- aber auch Sportministers, der so zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, nämlich dem neuen Projekt in Livingen gleich noch ein Fußballstadion mit 10.000 Plätzen anfügen konnte.

Initiativrecht der Investoren

Doch die Kritik ließ nicht lange auf sich warten. In der Tat ist es mehr als zweifelhaft, ob die bescheinigte Konformität wirklich besteht. Neben den bekannten Landesplanungs- und Umweltbedenken wurde auch die Frage nach der Wirkung des Projekts auf den regionalen Arbeitsmarkt gestellt, da gewachsene lokale Einkaufsstrukturen auf einen Schlag einer enormen Konkurrenz ausgesetzt wären. Zumindest in diesem Punkt herrschte zwischen Umweltgewerkschaft und Geschäftsverband seltenes Einvernehmen. Aber nicht einmal die Gretchenfrage, ob die Region zwischen der Hauptstadt und den großen Südgemeinden überhaupt ein weiteres, groß angelegtes Einkaufszentrum benötigt, wurde gestellt. Wie in uralten Zeiten, als Landes-„Planung“ noch ein unbekanntes Wort für die hiesige Politik war, wird hier die Initiative gänzlich finanzstarken Investoren überlassen.

Zu der Zeit, als das IVL-Konzept erarbeitet wurde, waren alle Analysten darin einig, dass Luxemburg aus landesplanerischer Sicht ein reines Entwicklungsland war: Wohnungsbau, Verkehrswege, Aktivitäts- und Industriezonen – alles hatte sich Jahrzehnte hindurch unter den Bedingungen einer fast anarchischen Politiklosigkeit entwickelt. Auch die Folgen wurden von den meisten Akteuren ähnlich eingeschätzt: Zersiedelung, Verkehrschaos, Rückgang der Naturgebiete und damit auch eine weitere Abnahme der dem Land verbliebenen Biodiversität.

Obwohl diese einhellige Bestandsaufnahme eigentlich zu einem radikalen Umdenken hätte führen müssen, gelang es der 2004 angetretenen Koalition aus CSV und LSAP nicht, den politischen und gesetzgeberischen Rückstau aufzulösen. Zwar machte man sich daran, die vom IVL vorgesehenen Planungsinstrumente, wie die Sektor-Pläne „Transport“, „Naturgebiete“, „Aktivitätszonen“ und „Wohnraum“ zu konkretisieren. Doch auch sechs Jahre später liegen sie immer noch lediglich als „avant-projet“ vor. Ihnen fehlt vor allem eines: Eine verbindliche grafische Dokumentation der in den Sektorplänen für die unterschiedlichen Funktionen vorgesehenen Flächen.

Halsdorfs Nachfolger Claude Wiseler und Marco Schank mussten in den wenigen Monaten, in denen sie nun im Amt sind, noch andere als die Wickringer und Livinger Kröten schlucken. Auch das neue Agrarzentrum in der Nähe von Mersch hält einer gründlichen IVL-Prüfung nicht stand. Mit großer Enttäuschung registrieren die Umweltverbände nun, dass der Landesplanungsminister vor dem Parlament nicht diesen Befund, sondern sein genaues Gegenteil darzulegen versucht.

Was vor dem Ende der vorletzten Legislaturperiode nicht mehr verwirklicht wurde, war eine Art Moratorium, das zumindest Großvorhaben eingefroren und es den Planern erlaubt hätte, die den Sektorplänen zugrunde liegenden Grundsätze gesetzlich so hieb- und stichfest zu formulieren, dass Eigentümer und potentielle Promoter wissen, woran sie sind. Nur so wäre es allen Beteiligten zweifelsfrei klar geworden, dass die rechtliche Grundlage felsenfest ist und keinerlei Spielraum für Interpretationen oder gar politischen Druck lässt.

Doch es war die Politik, die es für vorteilhaft ansah, eine gewisse Unschärfe beizubehalten. Begründet wurde dies mit der Gefahr der Spekulation, mit der man unweigerlich zu rechnen habe, wenn die als bebaubar klassifizierten Gebiete bekannt würden. So bewegen sich alle auf eine Art landesplanerischen, „High Noon“ zu, bei dem in Sekundenschnelle die verbindlichen Sektorpläne – und die darauf aufbauenden Bebauungspläne der Kommunen – sowie die Scheckhefte potentieller Investoren gezückt werden.

High Noon der Landesplanung

Natürlich wird es diesen Moment nie geben: Die gesetzgeberischen Mühlen mahlen langsam, und zwischen dem Zeitpunkt, an dem die Landesplaner ihren Wein einschenken, und dem Moment, wo die Zeche zu zahlen ist, können Monate oder gar Jahre liegen. Genug Zeit also für Spekulanten, sich durch geschickte Aufkäufe hohe Renditen zu sichern.

Deshalb wurde vergangene Woche die Reform des 1999er Landesplanungsgesetzes auf den Instanzenweg gebracht, die eine Reihe von Instrumenten vorsieht, mit denen der Spekulation nach Bekanntwerden der Bebauungspläne entgegengewirkt werden soll. Auf den ersten Blick wirkt das dort aufgeführte Arsenal imposant: Enteignung wichtiger Gebiete – allerdings, so wird betont, nur in extremen Situationen -, Vorkaufsrecht für die öffentliche Hand, Ausweisung sogenannter „réserves foncières“, deren Zweckbestimmung erst zu einem späteren Zeitpunkt festgelegt wird, um das Schaffen vollendeter Tatsachen zu vermeiden.

Vor allem aber soll ein neues juristisches Instrument eingeführt werden, das helfen soll, einen „gerechten“ Preis für zur Enteignung vorgesehene Flächen zu ermitteln. Doch wird hier rechtliches Neuland betreten, und es bedarf wohl noch einiger Diskussionen, um Klarheit darüber zu gewinnen, ob die vorgeschlagenen Instrumentarien politisch durchsetzbar und vor allem, ob sie praktikabel sind.

Es sind die schlechten Erfahrungen mit den 1979 geschaffenen Enteignungsinstrumenten, die die jetzt geplante Reform inspiriert haben. Die AutorInnen des Entwurfs warten allerdings gespannt auf das Gutachten des Staatsrates, das in den nächsten Wochen vorgelegt werden soll. Denn in Sachen Eigentumsrecht hat der Staatsrat die Latte bislang immer sehr hoch gelegt. Es ist demnach durchaus möglich, dass der Reformvorschlag in wesentlichen Punkten mit einer „opposition formelle“ beantwortet wird. Je nachdem, wie scharf die Kritik des Staatsrates ausfällt, dürfte die Reform einige Verzögerung erfahren, wodurch der anfangs erwähnte Schwebezustand um einiges verlängert werden dürfte. Die Öffentlichkeit müsste sich in dem Fall auf noch so manches Projekt à la Wickringen oder Livingen gefasst machen.


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