NULL-TOLERANZ: Ein Minister räumt auf

Nachdem Juncker mit der Doppelstaatsbürgerschaft nach links schielte, haut sein Parteikollege Luc Frieden nun in die rechte Kerbe. So oder so: Die CSV betreibt Wahlkampf mit Themen, an denen es sich leicht die Finger verbrennen lässt.

Pressetermin im Justizministerium zum Thema Delinquenz. Worum wird es da wohl gehen? Kampagnen gegen Racketting? Vorstellung neuer Konzepte in Sachen jugendliche Straftäter? Offener Strafvollzug für Frauen? Begleitung ehemaliger Inhaftierter nach dem Gefängnisaufenthalt, um die Rückfallquote zu begrenzen? Ganz falsch: Die Zahlen der begangenen Straftaten und jene der Verurteilungen sollen einander angenähert werden. Heißt das, dass endlich die Klagen zu häuslicher Gewalt von der Staatsanwaltschaft ernster genommen werden? Auch falsch. Bei seiner Pressekonferenz am Montag sprach Justizminister Luc Frieden (CSV) vor allem über Diebstähle, Schlägereien, Drogenhandel und Vandalismus.

Zu dumm nur, dass die Zahlen den plötzlichen Eifer kaum rechtfertigen. Trotz steigender Bevölkerungszahl stagniert in Luxemburg – und das bestätigt sogar Frieden – die Kriminalität. Statt der über 29.000 Fälle im „deliktintensivsten“ Jahr 1994, so ist im Bericht des Innenministeriums nachzulesen, konstatierte die Polizei im vergangenen Jahr weniger als 23.000 Fälle. Auch wenn der Rückgang zum großen Teil durch die Abnahme von Drogendelikten und mit den geringer gewordenen Verstößen gegen das Aufenthaltsrecht zu erklären ist, so lässt sich aus diesen Zahlen wohl kaum ein Tatbestand heraufbeschwören, der Friedens Halali rechtfertigt. Und die Argumentation, diese Stagnation erkläre sich durch die Aufstockung des Personals bei Staatsanwaltschaft und UntersuchungsrichterInnen scheint etwas „far fetched“. Logischer wäre, wenn ein Mehr an personellen Ressourcen auf allen Ebenen zunächst einmal ein Ansteigen der Zahl der registrierten und behandelten Fälle bewirken würde.

Gewaltentrennung
Wenn Frieden nun die Lücke zwischen polizeilich registrierter Kriminalität und ihrer gerichtlichen Verfolgung schließen will, bedarf es aber mehr als der angekündigten Aufstockungen. Denn es offenbaren sich bei diesem Thema noch andere Fragen. Neben dem Aspekt der Gewaltentrennung zwischen Ministerium und Magistratur stellt sich das Problem des Handlungsspielraums der Staatsanwaltschaft auch in gesellschaftlicher Hinsicht: Er ist ein Gradmesser für die öffentliche Akzeptanz bestimmter Verhaltensformen. Frappierend ist zum Beispiel, dass Ordnungskräfte und Justiz in puncto Gewalt gegen Frauen in vielen Fällen wenig Arbeitseifer zeigen. Ein positiveres Beispiel ist der Drogenkonsum. Hier folgte die Staatsanwalt in den letzten Jahren zusehends der öffentlichen Meinung, dass der alleinige Besitz von Rauschmitteln für den persönlichen Gebrauch kein Verbrechen ist – und sah immer häufiger von einer Strafverfolgung ab. Das schlug sich schließlich auch in der Abschwächung des Strafinstrumentariums in der Drogengesetzgebung nieder.

A propos Zahlen: Vierteljährlich soll der Presse ab sofort eine statistische Bestandsaufnahme über die von der Staatsanwaltschaft behandelten Klagen vorgelegt werden. Das ist begrüßenswert, aber zugleich auch ein Eingeständnis der Datenmisere, in der die Luxemburger Justiz zur Zeit versinkt. Im Vergleich zu den Angaben der Polizei, die seit einigen Jahren mit recht detailliertem statistischen Material aufwartet, zeichnet sich der alljährliche Bericht des Justizministeriums durch ein undurchsichtiges Chaos aus. Herauszufinden, wie viele Jugendliche in der Schrassiger Haftanstalt landen, gestaltet sich ebenso schwierig wie Vergleiche zwischen den von der Polizei registrierten und den von der Staatsanwaltschaft verfolgten Fällen zu ziehen oder Entwicklungen in der Urteilssprechung über mehrere Jahre festzustellen. Der Mangel an Transparenz reproduziert sich mit der fast leeren Homepage des Ministeriums.

Kein Wunder, dass sogar der Minister selbst die Zahlen über die Verteilung der Delinquenz auf die luxemburgische und ausländische Bevölkerung falsch wiedergab. Nicht 34, sondern 19,7 Prozent der Straftaten werden von Nicht-Residenten begangen, 37,9 von residenten AusländerInnen und 39,1 Prozent von LuxemburgerInnen. Dass es sich in nur zehn bis zwölf Prozent der Fälle um Infraktionen gegen Personen handelt – und auch hier stagnieren die Zahlen -, macht klar, dass Luxemburg nicht mit der Banlieue von Paris oder Lyon vergleichbar ist. Es deutet auch auf spezifische soziale Probleme in der Bevölkerung hin: Der hohe Anteil an Vandalismus, kleinen Einbrüchen und Autoknackereien ist ein sicheres Zeichen für Jugend- und Drogendelinquenz und sozialer Marginalisierung. Genau hier würde dann auch Handlungsbedarf bestehen: Die politische Tragödie der letzten Jahrzehnte spielt sich im Bereich der Familientherapie, der öffentlichen Jugendarbeit, der Täterresozialisierung und der Sozialarbeit im weiteren Sinne ab. Wenn eine Regierung angesichts der desolaten Zustände, die im sozio-pädagogischen Bereich herrschen, als einzige Antwort Law & Order zu bieten hat, dann ist das End-of-Pipe-Politik vom Schlimmsten. Und wenn ein Justizminister ohne Zusammenspiel mit der Familienministerin lediglich für mehr Strafverfolgung plädiert, ignoriert er die wirklichen Probleme, die diese Zahlen skizzieren.

Politisches Signal

Dass vor allem die kleine Straßenkriminalität nun ins Zentrum des Interesses gerückt wird, darf jedoch als politisches Signal verstanden werden. Zwar sind es in Luxemburg noch knapp zwei Jahre bis zu den nächsten Wahlen, aber es ist wohl kein Zufall, dass das Sicherheitsthema, das in den Nachbarländern für rechte Wahlsiege hergehalten hat, nun auch bei uns Urstände feiern soll. Angeblich geht der Minister in die Offensive, damit das Thema nicht von den Parteien in die Wahlkampagnen eingebracht werden kann. Aber da auch Luc Frieden wiedergewählt werden will, und mit ihm die Partei, der er angehört, ist das doch ein recht zweifelhaftes Argument. Die visuelle Symbolik anlässlich der Pressekonferenz, der Minister und sein Beamter vor dem überdimensionierten Konterfei einer Justitia-Waage, verdeutlicht, was Frieden im Schilde führt: Mit starken Worten und demonstrativer Entschlossenheit will er selbst das Wahlpotenzial an verunsicherten und nach Ordnung rufenden BürgerInnen ausschöpfen. Mit genau dem gleichen Risiko wie in unseren Nachbarländern, Stimmungen zu erzeugen, die den Nährboden für rechtes Gedankengut liefern. Le Pen lässt grüßen.

Renée Wagener


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