SCHWANGERSCHAFTSABBRUCH: „Die Frau sollte selbst bestimmen“

Nadine Geisler ist Sprecherin des Kollektivs „Si je veux – Für das Selbstbestimmungsrecht der Frau“, das sich als Reaktion auf das von der CSV-LSAP-Regierung erarbeitete Reformvorhaben zum Abtreibungsgesetz auf Initiative des CID-Femmes gebildet hat. Das Kollektiv hat eine Petition gegen das Reformvorhaben verfasst, die noch immer im Umlauf ist.

Die Sprecherin des Kollektivs „Si je veux“ Nadine Geisler findet, ein restriktives Gesetz zum Schwangerschaftsabbruch bringt nichts.

woxx: Wie ist die Kampagne entstanden?

Nadine Geisler: Das Kollektiv hat sich Mitte Februar dieses Jahres gegründet. Es war als Reaktion auf das „Projet de loi 6103“ gedacht. Als diese geplante Reform des Abtreibungsgesetzes bekannt wurde, gab es erst mal keinerlei Reaktionen von Frauenorganisationen. Deswegen hat das Cid-Femmes Anfang Februar eine Versammlung einberufen, um gemeinsam darüber zu diskutieren, zu überlegen und Stellung zu beziehen. Am 25. Februar kamen dann gut 40 Leute zusammen, hauptsächlich Frauen, aber auch Männer aus verschiedenen NGOs und parteilichen Jugendorganisationen, sowie Privatpersonen.

Was war Ihre persönliche Motiva-tion, daran mitzuwirken?

Ich habe mich von jeher für Frauenrechte und Frauengeschichte interessiert und mache derzeit einen Master in Europäischer Geschichte an der Uni Luxemburg. Thema meiner Masterarbeit ist das „Mouvement de Libération des Femmes“ in Luxemburg, das sich in den Siebzigerjahren gegründet hat, aber dann während der Neunziger aufgelöst wurde. 1978 gab es das erste Gesetz zur Abtreibung und ich habe all diese Informationen gesammelt und nach und nach in meine Arbeit eingebunden. Die Debatte um den Schwangerschaftsabbruch ist für mich ein wichtiges Thema. Sie hat mich schon immer interessiert und irgendwie auch revoltiert.

Was ist nicht gut an der vorgeschlagenen Neuregelung ?

An dieser geplanten Gesetzesreform stört uns hauptsächlich, dass die Selbstbestimmung der Frau nicht in Betracht gezogen wurde. Die Abtreibung bleibt weiterhin strafrechtlich verfolgbar und das Gesetz basiert immer noch auf einer Indikationslösung. Das Kollektiv setzt sich ein für die Fristenlösung, so dass sich die Frau innerhalb der ersten zwölf Wochen dafür entscheiden kann, abzutreiben, ohne dies begründen zu müssen. Daneben stört uns auch noch die Beibehaltung der Residenzklausel. Zur bestehenden Indikationslösung kommt eine soziale Indikation hinzu. Es wird zwar seitens der Politik behauptet, diese Reform käme nun einer Fristenlösung gleich, aber die Frau muss weiterhin eine Begründung vorlegen und sich rechtfertigen und das hat nichts mit Selbstbestimmung zu tun.

Warum kritisieren Sie die zweite obligatorische Beratung?

Dafür gibt es verschiedene Gründe. Erstens wegen der Zeitspanne – zwölf Wochen sind manchmal ein sehr kurzer Zeitabschnitt, zumal wenn man erst spät von der Schwangerschaft weiß, dann auch noch warten muss, bis man einen Termin für ein Beratungsgespräch bekommt. Zurzeit steht auch noch nicht fest, welche Einrichtung beraten darf. Da gibt es zwar den Planning Familial, aber es ist auch ungewiss, welche Beratungsstelle noch hinzukommt, die den Berechtigungsschein ausstellen darf. Die Leute verstehen das nicht. Die denken, ein Beratungstermin wäre doch gut.

Eine Beratung ist wohl auch sinnvoll …

Ja, aber wir finden es gut, dass die Frau die Möglichkeit hat, eine Beratung in Anspruch nehmen zu können, wenn sie es will. Wenn aber die Beratung obligatorisch wird, muss man dies als Entmündigung der Frau ansehen. Es ist auch gesundheitlich und psychisch besser für die Frau, wenn der Abbruch so früh wie möglich stattfindet.

„Hier in Luxemburg gibt es doch viele Leute, die die Petition nicht unterschreiben, weil sie Hemmungen haben – das ist hier in Luxemburg ein gesellschaftliches Problem.“

Die zweite Beratung verlängert aber die Zeit eher ? für eine Frau, die sich ohnehin entschieden hat, ist das überflüssig. Also für mich ist die Beratung nicht die Lösung für das Problem. Schwangerschaftsabbrüche gibt es nun mal und es wird sie immer geben und da bringt ein restriktives Gesetz eher nichts.

Was wäre für das Kollektiv eine zufrieden stellende Alternative zum Status quo in Luxemburg, der „Indikationsregelung“?

Das Modell, das wir möchten, ist eine Fristenlösung. Dass jede Frau eine Beratung in Anspruch nehmen kann, wenn sie möchte. Wir wollen, wie gesagt, dass das freiwillig ist und eben auch, dass die Kosten für einen Eingriff von der Krankenkasse getragen werden. Wir fordern aber auch, dass eine medizinisch-psychologische Betreuung, sowie eine Nachsorge gewährleistet wird. Denn das ist ja auch das Problem für die Frauen, für einen Schwangerschaftsabbruch ins Ausland reisen müssen. Die haben keinerlei Nachsorge und gehen wahrscheinlich nicht zu ihrem Gynäkologen zurück, um sich da nachbehandeln zu lassen. Meiner Meinung nach sollte Geld investiert werden, um die Strukturen des Planning zu unterstützen und auszubauen. Der Planning arbeitet ja schließlich schon seit 30 Jahren in dem Bereich und verfügt über die entsprechende Expertise und leistet wichtige Präventionsarbeit. Und er wurde eben auch nicht konsultiert im Vorfeld des geplanten Gesetzesprojektes zur Reform des Abtreibungsrechts, was ja sehr bedauerlich ist.

Richtet sich die Kampagne in erster Linie an die Öffentlichkeit oder adressiert sie sich an die Politik?

Wir verfolgen zwei Anliegen. Erstens geht es darum, eine öffentliche Diskussion anzustoßen. Weil wir herausgefunden haben, dass die Leute oft gar nicht wissen, worum es geht und was der Stand der Gesetzgebung ist. Das Thema bleibt ein Tabu. Das heißt, wir wollen die Öffentlichkeit so gut es geht sensibilisieren. Auf der anderen Seite wollen wir die Politik dazu bewegen, dass unseren Forderungen Rechnung getragen wird.

Wie kann es denn sein, dass Luxemburg mit seiner Regelung so „hinterherhinkt“?

Das frage ich mich auch. Vielleicht ist es der Einfluss der katholischen Kirche oder vielleicht liegt es gerade daran, dass das Land so klein ist und hier jeder jeden kennt. Ich fände es wie gesagt wichtig, dass unsere Forderungen erklärt werden, dass erklärt wird, warum die Selbstbestimmung der Frau so wichtig ist und warum diese zweite Beratung Nachteile mit sich bringt, die nicht unwesentlich sind. In Frankreich wurde zum Beispiel die zweite obligatorische Beratung 2001 wieder abgeschafft.

Welche Schwierigkeiten oder Widerstände sind für Sie konkret wahrnehmbar?

Selbst in den Reihen der katholischen Kirche gibt es Leute ? wie die Präsidentin des Planning, Danielle Igniti, letzte Woche sagte ? die unserer Meinung sind. Aber ich habe das Gefühl, es gibt viele Menschen, die unsere Petition doch nicht unterschreiben, weil sie Hemmungen haben und nicht wissen, was die Leute in ihrem Umfeld über Themen wie Sexualität und Abtreibung denken – das ist hier in Luxemburg ein gesellschaftliches Problem.

Wird bei einer parlamentarischen Debatte eventuell der Fraktionszwang aufgehoben? So wie das beim Euthanasie-Gesetz der Fall war?

Das würde ich auch in dieser Frage befürworten.

In welchem gesellschaftlichen Kontext verläuft die Debatte?

Irgendwie ist unsere Gesellschaft Themen wie Sexualität gegenüber noch nicht offen genug. Es ist erschreckend, wie wenig Jugendliche und Erwachsene über Verhütung wissen. Das ist doch das A und O. Das große Problem ist, dass in der Schule unzureichend aufgeklärt wird. Das ist auch für das Kollektiv sehr wichtig, uns geht es ja um Prävention. Wir wollen in erster Linie, dass keine ungewollten Schwangerschaften entstehen. Auch in den Schulen sollte früh Aufklärung betrieben werden. Bei dieser ganzen Debatte um das Reformgesetz, die jetzt geführt wird, geht es für mich nicht darum, dass man für oder gegen Abtreibung ist, das muss jeder für sich selbst entscheiden. Es geht um die Realität. Wie sieht die Praxis aus und wie kann man sie bestmöglichst regeln? Diese Diskussion wird ja leider oft in einem sehr begrenzten Rahmen geführt. Da geht es dann nur noch darum, wann das Leben anfängt. Und dass manche dann daraus ableiten, Abtreibung sei Mord. Ich glaube, dass die betroffene Frau das für sich selbst bestimmen und individuell entscheiden sollte. Es geht ja schließlich auch um ihr Leben, und das hat nichts mit Egoismus zu tun. Das kann man ja auch an der Debatte in Portugal sehen, wo ein 14jähriges Mädchen gestorben ist, weil es sich übers Internet Pillen bestellt hatte, um abzutreiben. Das kann ja nicht Zweck der Sache sein. Das Leben der Frau zählt auch. Sie sollte das Recht haben, zu bestimmen, was sie will.

Ist das eine feministische Position?

Man kann ja ganze Arbeiten darüber schreiben, was dieses Wort beinhaltet. Das Wort wird oft verdreht und eher negativ dargestellt. Eine Feministin ist eine Person, die sich für die Rechte der Frau einsetzt, somit kann man meine Position sehr wohl als feministisch bezeichnen. Das Wort ist doch auch so ein Konstrukt der Gesellschaft. „Feministin“ impliziert das Bild von einer Männer unterdrückenden Emanze. Ich finde, dass es noch heute oft so ist, dass an den Frauen die Konsequenzen hängen bleiben. Die Frau ist doch keine Märtyrerin, die alles auf sich nehmen muss. Aber sie ist schließlich diejenige, die das Kind austragen und sich größtenteils darum kümmern muss. Und sie ist auch diejenige, die im Job meistens kürzer tritt und insgesamt zurücksteckt. Sie darf aber momentan nicht selbst entscheiden, ob sie ein Kind will oder nicht. Dabei sollte sie allein das dürfen und nicht ein Arzt, dem sie vorher ihr Leben erzählen muss. Und da liegt für mich eben der Unterschied zwischen Fristen- und Indikationslösung. Deshalb ist es falsch, wenn die Politiker sagen, es gäbe im Grunde eine Fristenregelung. Fakt ist, dass die Frau erst irgendwo hingehen muss, um den Abbruch bewilligt zu bekommen.

Bisher haben Sie etwa 2.500 Unterschriften gesammelt. Wie erklären Sie sich, dass nicht noch mehr Leute die Petition unterstützt haben?

Vielleicht liegt es daran, dass Abtreibung und Sexualität noch immer Tabuthemen sind. Auf „www.sokrates.lu“ gibt es die Möglichkeit, die Petition anonym zu unterschreiben, was aber nicht übermäßig häufig genutzt wird. Es gibt auch Leute, die sagen, dass sie unser Anliegen grundsätzlich unterstützen würden, dass dies aber z.B. vom Arbeitgeber nicht erwünscht sei. Und dann gab es auch andere Themen, die im Mittelpunkt der gesellschaftlichen Debatte standen. Angesichts der Tripartite ist unsere Kampagne in den Hintergrund gerückt. Es liegt sicher auch daran, dass die Medien das, was wir machen, zwar wiedergeben, jedoch nicht hinreichend erklären. Ich habe letztens noch auf sokrates.lu einen Kommentar gelesen, dass Frauen jetzt mehr abtreiben würden, weil es legalisiert würde. Das verstehe ich nicht; als wenn die Frauen Abtreibungen auf die leichte Schulter nehmen würden. So etwas zu behaupten ist in meinen Augen eine Frechheit. Es ist doch bewiesen, dass in Ländern wie Holland, in denen der Schwangerschaftsabbruch legalisiert und eine gute Aufklärungsarbeit geleistet wird, der Prozentsatz der Schwangerschaftsabbrüche am niedrigsten ist.

Wie lange wird die Kampagne noch laufen?

Für die Petition hatten wir den 1. Juni festgelegt, da anfangs gesagt wurde, alles würde ziemlich schnell gehen bis zur Abstimmung im Parlament. Jetzt ist das Dossier aber erst beim Staatsrat. Das heißt, wir haben noch Zeit für Öffentlichkeitsarbeit. Die Petition wird also verlängert und andere Aktionen werden noch kommen. Ich hoffe, wir bringen es fertig, die Politiker zu überzeugen. Ich hab manchmal das Gefühl, sie wissen, dass die Regelung so wie sie ist, nicht gut ist, aber dass die grundlegenden Frauenrechte für sie nicht von Bedeutung sind.

„Si je veux!“
In Luxemburg regelt ein Gesetz von 1978 den Schwangerschafts-abbruch. Danach ist ein Abbruch strafbar, wenn er nach der 12. Woche stattfindet und nicht auf den beiden vorgeschriebenen Indikationen beruht. Die Kampagne „Si je veux!“ richtet sich gegen das geplante Reformvorhaben der Regierung „Projet de loi 6103“, insbesondere weil darin die strafrechtliche Verfolgung der Frauen beibehalten wird und weiterhin eine, wenn auch breiter gefasste, Indikation vorliegen muss, wodurch der Schwangerschaftsabbruch erschwert wird. Zusätzlich wird eine zweite obligatorische Beratung in einem dafür zugelassenen Zentrum eingeführt. Auch die Residenzklausel von drei Monaten gilt immer noch. Hauptforderungen des Kollektivs sind die Entkriminalisierung eines gewollten Schwangerschaftsabbruchs sowie das Recht der Frauen auf Selbstbestimmung.


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