ÖKOLOGISCHER FUSSABDRUCK: Pediküre reicht nicht

Luxemburg geht verschwenderisch mit den natürlichen Ressourcen um. Doch die Diskussion, wie man das ändern könnte, kommt nicht recht voran.

Zu viel Bildschirmdiagonale, zu viele PS, zu viele Quadratmeter: Der Luxemburger Ressourcenverbrauch bei Haushaltsartikeln,Autos und Wohnfläche ist größtenteils auf das hohe Durchschnittseinkommen zurückzuführen.

Dass der materielle Wohlstand in Luxemburg hoch und das Land überdurchschnittlich am weltweiten Ressourcenverbrauch beteiligt ist, dürfte mittlerweile den meisten EinwohnerInnen intuitiv klar sein. Woxx-LeserInnen wissen es seit Juli 2002 etwas genauer: Damals veröffentlichten wir einen Beitrag des Raumplaners Claude Wagner, der Luxemburg einen viereinhalb Mal größeren Ressourcenverbrauch pro Kopf attestierte als langfristig tragbar ist. Diese Zahl beruhte auf der Berechnung des ökologischen Fußabdrucks, einer von dem Umweltökonomen Mathis Wackernagel entwickelten Methode, welche den beim Konsum verbrauchten Ressourcen, sowie dem anfallenden Müll und CO2 einen äquivalenten Flächenverbrauch zuordnet. Wagners im Rahmen seines Studiums durchgeführte Berechnung ergab für Luxemburg einen Pro-Kopf-Fußabdruck von 7,8 Hektar, wohingegen jedem Menschen im Durchschnitt nur das Äquivalent von 1,75 Hektar sogenannter Biokapazität zur Verfügung standen.

Am vergangenen Dienstag stellte der „Conseil supérieur pour un développement durable“ (CSDD) eine neue und mit großem Aufwand durchgeführte Berechnung eben dieses Fußabdrucks vor. Trotz der inzwischen im Rahmen des „Global Footprint Network“ erfolgten Verfeinerung von Wackernagels Methode ist das Ergebnis so verschieden nicht: 11,82 Hektar Verbrauch pro Kopf, denen eine mittlere Biokapazität von 2,06 Hektar weltweit gegenüber steht. Mit anderen Worten, würde man das Modell Luxemburg auf die Erde insgesamt übertragen, so bräuchte man statt eines beinahe sechs Planeten.

Damit sind die LuxemburgerInnen Weltmeister in Sachen Belastung der Biosphäre, noch vor den EinwohnerInnen der Vereinigten Arabischen Emirate und der USA. Im weltweiten Durchschnitt benötigt die Erdbevölkerung auch etwa 2,7 Hektar Biokapazität pro Kopf – also 30 Prozent mehr Ressourcen, als zur Verfügung stehen. Etwa die Hälfte dieses Wertes geht auf den klimagefährdenden CO2-Ausstoß zurück.

Nicht nur Tanktourismus

Dass sie auch andere Formen des Ressourcenverbrauchs sichtbar macht, ist einer der Vorzüge der Fußabdruck-Methode. Mike Mathias vom CSDD führte an, dass ein Rückgriff auf Agrofuel zwar die Klimabilanz verbessere, dafür aber Flächen verbrauche, auf denen bis dahin Nahrungsmittel produziert wurden. In einem Land wie Mali macht das CO2 nur 5 Prozent des Fußabdrucks aus, dafür schlägt die Beweidung mit 40 Prozent zu Buche. In den meisten Industrieländern dominiert dagegen der Ausstoß von Treibhausgasen – in Luxemburg sind es 85 Prozent des Fußabdrucks. Was nicht heißt, dass der hiesige Nahrungsmittelverbrauch nachhaltig wäre: Er entspricht der Produktion von 1,53 Hektar pro Kopf, während in Luxemburg lediglich ein Äquivalent von 0,87 Hektar an Anbau- und Weideflächen zur Verfügung steht.

Interessant an dem Bericht des CSDD zum Fußabdruck ist die Auseinandersetzung mit der häufig vorgebrachten Entschuldigung, Luxemburg sei „atypisch“ und sein Verbrauch könne nicht mit anderen Ländern verglichen werden. In der Tat veröffentlicht das „Global Footprint Network“ im Prinzip keine Berechnungen für Länder mit einer Einwohnerschaft unter einer Million. Um die starke Öffnung der Luxemburger Wirtschaft zu berücksichtigen, hat der CSDD den Konsum der GrenzgängerInnen und den „Direktverkauf von Kraftstoffen an Gebietsfremde“ gesondert berechnet. Deren Beitrag zum Fußabdruck ist, wie zu erwarten, erheblich: 16 beziehungsweise 22 Prozent.

Allerdings betonen die AutorInnen des Berichts, dass man diesen Anteil nicht einfach abziehen könne. Denn, wie es das CSDD-Mitglied Jean Stoll ausdrückte, „wir brauchen die zwölf Hektar, um unsere Renten zu finanzieren“. Für diejenigen, die trotzdem anders rechnen, wurde folgende Passage eingefügt: „So beträgt der nationale Einwohnerabdruck 62 Prozent, sprich 7,32 Hektar pro Einwohner. Eine dennoch besorgniserregende Zahl, wenn sie mit der verfügbaren Biokapazität auf weltweiter Ebene verglichen wird.“ Dieses Zugeständnis verhinderte nicht, dass es während der Vorstellung vor VertreterInnen der Zivilgesellschaft prompt Wortmeldungen gab, die auf weitere „versteckte“ Exporte von Fleisch und Düngemitteln hinwiesen … wohl in der Hoffnung, die 7,32 Hektar noch weiter herunterrechnen zu können.

Auch die Reaktion der beiden Nachhaltigkeitsminister war eher zurückhaltend: Man wolle die Anschaulichkeit der Fußabdruckmethode bei der Diskussion um den Nachhaltigkeitsplan nutzen, aber ohne Panik zu verbreiten. Das wiederum ist nicht neu: Ihr Vorgänger Lucien Lux hat regelmäßig den Ernst der Lage beschworen und den Beginn eines sanften Umsteuerns angekündigt – wenn er nicht gerade den Garagisten versicherte, in Umweltfragen sei er „kein Extremist“. Dass der CSDD statt eines 200-seitigen Zahlenkatalogs eine bebilderte 40-Seiten-Broschüre zum Fußabdruck erstellte, war eine verständliche Entscheidung: Statt zu versuchen, die politische Klasse zu überzeugen, erscheint es aussichtsreicher, ihre Wählerschaft zu sensibilisieren.

Atypische Insel

Aber auch dafür sind die Chancen nicht besonders gut. Ein Blick in den allgemeinen Teil der Broschüre zeigt, dass der CSDD vor allem schlechte Nachrichten zu überbringen hat. Auf Seite 11 ist für eine große Anzahl Länder der Fußabdruck in seinem Verhältnis zum „Human development index“ (HDI) eingetragen. Die Grafik zeigt, dass die ressourcenschonenden Länder es beim HDI nicht über die 0,8-Marke schaffen, ab welcher eine gute menschliche Entwicklunggegeben ist. Mit anderen Worten: Die Erklärung für die Umweltbelastung durch Länder wie Luxemburg liegt in erster Linie darin, dass sie, wie die woxx bereits vor zehn Jahren feststellte, „atypisch viel Kohle“ haben. Umweltverträglich scheinen dagegen nur arme Länder zu sein, in denen die meisten Menschen unter schlechten Bedingungen leben.

Doch stimmt das nicht ganz. Es gibt ein Land, das derzeit beide Bedingungen erfüllt – auch wenn, wie Mike Mathias betonte, der HDI nichts über das politische System aussagt – : „Kuba, das Land unserer Großherzogin!“ Doch die Erklärung für diese „Erfolgsgeschichte“ ist ernüchternd. Gewiss, der hohe HDI ist Ergebnis einer voluntaristischen Politik in puncto Gesundheit, Bildung und soziale Umverteilung. Doch die Nachhaltigkeit hat sich erst infolge einer mittleren Katastrophe eingestellt: Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1989 verlor Kuba sowohl die Exportmärkte für seine Zuckerrohr-Monokultur als auch den Zugang zu günstigem Erdöl und Dünger. Aus der Not heraus – das US-Embargo galt nämlich weiterhin – versuchte das Land umzusteuern. Nach einigen Jahren Nahrungsmitttelknappheit gelang es, die Landwirtschaft zu extensivieren und dabei die Stadtbevölkerung mit einzuspannen.

„Wenn wir sagen, Kuba erfülle die Kriterien der nachhaltigen Entwicklung, sagen wir nicht, das sei das Nirwana, das beste Leben, das man sich vorstellen könnte“, so Mathis Wackernagel in einem Interview mit „livingonearth.org“. „Um ganz ehrlich zu sein, Kuba würde es wahrscheinlich vorziehen, einen größeren Fußabdruck zu haben und Zugang zu mehr Ressourcen.“ Braucht also auch Luxemburg eine solche Schocktherapie gegen die „Wachstumsfalle“, wie es zum Beispiel im jüngsten Positionspapier des Mouvement écologique heißt?

Grün gegen Rot

Bei der Diskussion im Anschluss an die CSDD-Vorstellung gab es in diesem Sinne Kritik an der Aufforderung des Premiers, mehr zu konsumieren, und dem Vorschlag des OGBL, zur Sicherung des wirtschaftlichen Aufschwungs weitere Schulden aufzunehmen. In der Tat zielt die Rhetorik der größten Luxemburger Gewerkschaft derzeit vor allem auf den Erhalt der Kaufkraft und die Abwehr jedweder Sparmaßnahmen. Die Art und Weise, wie der OGBL fast alle Regierungsmaßnahmen als unsozial darstellt, mag taktisch geschickt sein, doch die Basis seiner Argumentation ist entschieden wacklig: Dass Luxemburg mittelfristig ein Wachstum mit einem Ressourcenverbrauch wie bisher durchhalten kann, ist ziemlich unwahrscheinlich. OGBL-Präsident Jean-Claude Reding hatte in der Vergangenheit stets einen Satz zum notwendigen, sozial gestalteten ökologischen Umbau parat – doch seit der Tripartite scheint das Wohl der Menschen sich auf Indextranchen, Essenszulagen und Kilometerpauschalen zu beschränken. Mit dieser Haltung bieten die Gewerkschaften ihren Gegnern einen willkommenen Angriffspunkt: Ihre Forderungen können nicht nur als wirtschafts-, sondern auch als umweltfeindlich dargestellt werden.

Auf Seiten der Umweltbewegung scheint man umsichtiger mit dem Risiko umzugehen, dass in der Frage der Wachstumsgrenzen ökologische und soziale Interesssen gegeneinander ausgespielt werden können. Man sei sich bewusst, so der Mouvement, „dass es sich um ein sehr komplexes Thema handelt, bei dem man Gefahr läuft, von dieser oder jener Seite vereinnahmt zu werden …“ Man könne aber nicht weiterdiskutieren, ohne das Wachstumsdogma in Frage zu stellen. Doch die Studie, die der Mouvement zu diesem Thema in Auftrag gegeben hat, operiert unter anderem mit dem Argument der mangelnden Nachhaltigkeit des Rentensystems – für die Gewerkschaften und viele Linke ein rotes Tuch.

Diese Uneindeutigkeit ist auch an dem grünen Vorschlagspapier „Grénge Modell fir d’Zukunft“ zu bemerken. Einerseits werden die Finanzierungslücke bei den Renten und die Größe der Autos und Häuser angeprangert, andererseits versichert man, die Privatpensionen steuerlich begünstigen und die Ökosteuern durch einen Ökobonus kompensieren zu wollen.

Vorne ist der Fuß am breitesten

Zwar ist in den Papieren des Mouvement und der Grünen zumindest die Sorge um soziale Gerechtigkeit zu erkennen, doch indem sie im Vorfeld der Herbst-Tripartite vorgelegt werden, bekommen sie für die Gewerkschaften einen unangenehmen Beigeschmack. Denn auf dem Tripartite-Tisch liegen Vorschläge für Sozialabbau und Wettbewerbsfähigkeit, aber keine für einen ökologischen Umbau des Luxemburger Modells. Nachhaltigkeitsplan und Klimapakt, auf die sich insbesondere der Mouvement bezieht, spielten bei den Verhandlungen im Frühjahr keine Rolle, und es gibt bisher keinen Grund anzunehmen, dass das im Herbst anders sein werde.

In Zusammenhang mit den Konflikten zwischen ökologischen und sozialen Interessen wird im Bericht des CSDD eine bemerkenswerte kanadische Studie angeführt. Diese zeigt, dass die zehn Prozent Haushalte mit den höchsten Einkommen einen zweieinhalb Mal größeren Fußabdruck generieren als die zehn Prozent am unteren Ende der Skala – vorne ist der Fuß am breitesten! Dabei sind die Unterschiede im Ressourcenverbrauch bei der Ernährung am geringsten und bei der Mobilität am höchsten. Diese Ergebnisse aus Kanada lassen sich vermutlich auf Luxemburg übertragen und sie zeigen, dass Maßnahmen zur Reduzierung des Fußabdrucks die besser Verdienenden stärker treffen müssen ? nicht nur wegen der Gerechtigkeit, sondern auch aus Gründen der Effizienz.

Den Fußabdruck reduzieren inmitten einer Konjunkturkrise? Wo Wirtschaftsliberale und Ökogrüne „Unbedingt!“ rufen, Altlinke und Gewerkschafter dagegen empörten Widerstand leisten, da sehen umweltbewusste Linke sich vor einem Dilemma. Einerseits haben sie in den vergangenen Monaten immer wieder, im Sinne der keynesianischen Theorien, davor gewarnt, den Aufschwung abzuwürgen, andererseits haben sie in den Jahren vor der Krise das westliche Konsummodell unablässig als nicht nachhaltig kritisiert. Zum Teil lässt sich dieses Dilemma dadurch auflösen, dass man Konjunkturspritzen für Projekte im Sinne der Nachhaltigkeit fordert, zum Beispiel einen Tram statt einer Schrottprämie. Davon abgesehen wäre eine Rezession und eine Massenarbeitslosigkeit vermutlich kurzfristig nur durch die Ankurbelung von unnachhaltigem Konsum zu verhindern. Was aber soll danach kommen?

Wenn die in der woxx seit zwei Jahrzehnten vorgebrachte Warnung, dass das Luxemburger Modell strukturell unnachhaltig ist, nun allmählich Gehör findet, so wird es Zeit, sich mit den Alternativen zu diesem Modell zu beschäftigen. Die Zeitschrift „Alternatives économiques“, die sich in einem ähnlichen linksökologischen Spannungsfeld bewegt, hat in ihrer Februarnummer einen höchst interessanten Artikel des Ökonomen Jean Gadrey veröffentlicht. Unter dem Tiel „Une économie post-croissance riche en emplois“ erklärt er, wohin die Reise gehen könnte. So würde zum Beispiel eine durchgreifende Umstellung auf ökologischen Landbau in den Statistiken als Stagnation des Wachstums erscheinen, weil ja nicht mehr Nahrungsmittel hergestellt würden. Dennoch würden ein Qualitätsgewinn erzielt und viele Arbeitsplätze geschaffen werden.

Allerdings wären die mit größerem Arbeitaufwand hergestellten Produkte teurer, und die Menschen könnten sich weniger von ihnen leisten. Zum Teil mag das erwünscht sein, doch zum Teil müssten auch politische Eingriffe erfolgen. Gadrey schlägt in Anlehnung an die „gerechte Verteilung der Produktivitätsgewinne“, wie sie bisher von Linken gefordert wurde, eine „gerechte Verteilung der Gewinne an Qualität und Nachhaltigkeit“ vor. Das wiederum ist laut dem Autor nur möglich durch eine starke Minderung der Einkommensunterschiede. Mit anderen Worten: Wenn schon Verzicht, dann gerecht verteilt. Solche Modelle sind vielleicht nicht so populär wie die beliebten Win-Win-Szenarien, doch bieten sie die Gewähr, nicht von der falschen Seite vereinnahmt zu werden.

CSDD-Fußabdruck-Bericht:
www.myfootprint.lu
Mouvement écologique: „Nachhaltige Entwicklung Luxemburgs: nach Wegen aus der ?Wachstumsfalle‘ suchen!“:
www.meco.lu
Blog von Jean Gadrey: www.alternatives-economiques.fr/blogs/gadrey


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