IRAN: Der Präsident wirft das Taschentuch

Während Präsident Mahmoud Ahmadinejad den ersten Jahrestag der manipulierten Wahlen im Ausland verbrachte, wurde im Iran protestiert. Das Regime ist durch interne Spaltungen gelähmt und außenpolitisch zunehmend isoliert.

Auch im Ausland (unser Bild zeigt eine Demonstration in Washington D.C.) wurde an den Jahrestag der Präsidentschaftswahlen im Iran erinnert:
Der 12. Juni 2009 markiert den Auftakt der Massenproteste der iranischen Bevölkerung gegen das Regime in Teheran.

Der iranische Vizepolizeichef war sich nach dem Jahrestag der Wahlen ganz sicher: Es sei an diesem Samstag zu keinen bedeutenden Vorfällen gekommen, trotz der gewaltigen Propagandaanstrengungen von „Staatsfeinden“. Nur wenige Leute seien in Teheran verhaftet worden. Über deren Schicksal werde entschieden, nachdem ihre Akten von den zuständigen Justizbehörden vollständig bearbeitet worden seien. Sein Vorgesetzter, der Polizeichef, sagte hingegen, man habe am Samstag 91 Personen festgenommen.

Präsident Mahmoud Ahmadinejad, der es vorgezogen hatte, den Jahrestag seiner vorgeblichen Wiederwahl im Ausland zu verbringen, erinnerte am Tag danach wieder einmal an den „vereinigten großen Willen von Millionen Menschen in einer zu 100 Prozent freien Wahl“. Aber Menschen, die sich über seinen Anblick frenetisch freuen, findet er nur mehr im Ausland, wie jüngst türkische Islamisten in Istanbul.

Ganz so beglückt und pflegeleicht wie vom Regime erträumt, scheinen die Iraner diesen Jahrestag einer Wahlfälschung jedenfalls nicht hingenommen zu haben. Wie üblich bei solchen Ereignissen schwanken die geschätzten Angaben zur Zahl der Verhafteten. Menschenrechtsgruppen und „grüne“ Internetseiten sprechen von 400 Menschen, die ins Teheraner Evin-Gefängnis gebracht wurden, landesweit sollen bis zu 1.000 Demonstranten verhaftet worden sein.

In Teheran und einer Reihe anderer Städte kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften, wobei sich die Proteste offensichtlich um die Universitäten konzentrierten. So sollen etwa an der Universität von Sistan und Belutschistan im Südosten des Landes Studenten verschiedenster Minderheiten sich an einem Schweigemarsch beteiligt und eine Menschenkette gebildet haben, während es in Teheran zu dezentralen Versammlungen und Protestzügen kleinerer Gruppen kam, denen es wegen der Präsenz von Paramilitärs und Milizen nicht gelang, sich zu vereinigen.

Rufe wie „Tod dem Diktator“ und „Tod Khamenei“ gehören mittlerweile ebenso wie der Einsatz von Tränengas auf der anderen Seite zum Standardprogramm. Dabei scheint das Regime von den spontanen Ansammlungen, die sich spät am Nachmittag bildeten, überrascht worden zu sein, nachdem die Repressionstaktik der vergangenen Wochen zunächst erfolgreich schien. So hatten die wichtigsten Repräsentanten der „Grünen Bewegung“, Mir Hussein Mousavi und Mehdi Karrubi, kurz zuvor ihren noch unbeantworteten offiziellen Antrag für eine Demonstration zurückgezogen, gleichzeitig aber auf den „unangekündigten Protest“ vom Vorjahr verwiesen und gemeinsam erklärt: „Es ist zu simpel gedacht, darauf zu hoffen, dass man die Opposition mit Lügen, Bedrohungen und Demütigungen unterdrücken könnte.“

Während es keinen koordinierten Aufruf zu Demonstrationen gab, hatte die jüngste Hinrichtungswelle vor dem Jahrestag der Wahlfälschung klargemacht, dass das Regime gewillt ist, auf jede öffentliche Herausforderung mit Gewalt zu reagieren. Wer an diesem Samstag auf die Straße ging, wusste, was ihn erwarten könnte, und das machte die große Bedeutung des Protests an diesem Jahrestag aus: Der machte deutlich, dass das Regime nicht mehr in der Lage ist, absolute Ruhe zu erzwingen.

Die jüngste Hinrichtungswelle hat klargemacht, dass das Regime gewillt ist, auf jede öffentliche Herausforderung mit Gewalt zu reagieren.

Ein Jahr nach der Wahl und rund sechs Monate nach den letzten Massendemonstrationen hat sich das Regime nicht stabilisiert. Weder sind Karrubi und Mousavi zum Schweigen gebracht, noch sind die inneren Brüche des Regimes auch nur vordergründig übertüncht worden. Die Masse der Bevölkerung wird allein durch Einschüchterung ruhig gehalten, während die wirtschaftliche Lage sich verschlechtert und der außenpolitische Konfrontationskurs nun zu neuen Sanktionen führen wird. Eine Perspektive für das Regime hat sich bisher nicht eröffnet, man versucht gar nicht mehr, Massenaufmärsche von Unterstützern Ahmadinejads zu organisieren. Bei einem der wenigen öffentlichen Auftritte des Präsidenten im Iran bezeugte vor kurzem ein im Internetportal Youtube zugänglicher Film, wie seine Rede von wütenden Arbeitslosen niedergebrüllt wurde.

Wegen des Atomkonflikts steht nun nach den vielen leeren Drohungen des Westens und wendigem Taktieren des iranischen Regimes eine neue Sanktionsrunde an. Nachdem China und Russland dazu gebracht wurden, die neuen Sanktionen mitzutragen, erklärte Ahmadinejad zwar trotzig, die Resolution sei wie ein gebrauchtes Taschentuch, das in den Mülleimer wandere, doch die Lage des Regimes dürfte sich definitiv weiter verschlechtern.

Zum vierten Mal seit dem Jahr 2006 hat der UN-Sicherheitsrat Sanktionen gegen den Iran verhängt. US-Präsident Barack Obama bezeichnete sie als „die härtesten Sanktionen, mit denen die iranische Regierung jemals konfrontiert wurde“. Allzu hart fielen sie jedoch nicht aus, da auch die Zustimmung Russlands und Chinas gewonnen werden musste. Neueste Recherchen über die Umbenennung und Neuanmeldung von iranischen Schiffen über Drittstaaten belegen, dass dem Regime auch weiterhin Möglichkeiten bleiben, die Sanktionen zu umgehen. Doch die erneute außenpolitische Isolation schränkt den Aktionsradius immer weiter ein.

Zu den eher symbolpolitischen neuen Sanktionen kommt noch der seit Monaten anhaltende diskrete Druck auf internationale Konzerne hinzu, die aufgefordert werden, ihre Geschäfte mit dem Iran abzubrechen. Überdies plant die EU zusätzliche Sanktionen. Vorgesehen sind unter anderem strengere Exportkontrollen für potenziell militärisch verwendbare Waren und ein Verbot von Investitionen in den iranischen Energiesektor. Ökonomisch gesehen hat das Regime weder von seinen alten Verbündeten wie Hugo Chávez noch von seinen neuen Freunden in Brasilien oder der Türkei essenzielle Hilfe zu erwarten. Mit Rhetorik kann man weder die Inflation bekämpfen noch Benzin herstellen.

Innenpolitisch bewegt sich das Regime auf immergleicher Kreisbahn um sein Kernproblem, dem Zerfall und der Agonie, der das politische Establishment der Islamischen Republik unterliegt. Ein symptomatischer Vorfall ereignete sich Anfang Juni, als bei einer rituellen Gedächtnisfeier für den Staatsgründer Ayatollah Khomeini dessen Enkel Hassan Khomeini, der aus seiner Sympathie für die Grüne Bewegung nie ein Hehl gemacht hat, in Anwesenheit des religiösen Führers von organisierten Sprechchören niedergebrüllt wurde.

Der Eklat beim Staatsakt symbolisiert eine neue Zuspitzung der Auseinandersetzung innerhalb des Establishments. Es ist nicht einmal mehr klar, ob der religiöse Führer die Sprechchöre der Hardliner bestellt hatte, die unter anderem riefen, der wahre Enkel von Khomeini sei Hassan Nasrallah, der Generalsekretär der libanesischen Hizbollah. Womöglich wurde Khamenei selbst düpiert, jedenfalls umarmte er Hassan Khomenei nach dem Eklat.

Dem Ansehen des religiösen Führers war der Vorfall gewiss nicht zuträglich, Vertreter des Klerus kritisierten einmal mehr die Regierung. Vereinigungen der Geistlichen forderten die Identifizierung der „Rowdys in Zivil“, was umgehend dazu führte, dass das Büro des im Dezember verstorbenen Großayatollahs Montazeri, der längst ein Kritiker des Regimes geworden war, vom Geheimdienst verwüstet wurde, und ein anderer Geheimdienstmob in Zivil das Haus des Großayatollahs Yusuf Sane’i in Qom belagerte, während Karrubi bei ihm zu Besuch war. Dass Karrubis Auto dabei demoliert wurde, hat mittlerweile auch schon fast Traditionswert, wobei diese Form der Einschüchterung letztlich die Hilflosigkeit des Regimes demonstriert, genauso wie das jüngste Gemunkel des iranischen Generalstabschefs, Mousavi bewege sich „in Richtung seines Todes“.

Weiterhin weigern sich die angeblichen Wahlverlierer Karrubi und Mousavi, die Präsidentschaft Ahmedinejads als legitim anzuerkennen. Allen Verhaftungen in ihrem Umfeld und allen Repressionen gegen ihre Anhänger zum Trotz geben beide Politiker dem Regime keine offene Handhabe, gegen sie persönlich vorzugehen. Nach einer Zeit des Rückzugs sind sie gerade dabei, sich wieder deutlicher bemerkbar zu machen. Vor dem Jahrestag der Wahl veranstalteten sie zum ersten Mal eine „virtuelle“ Pressekonferenz im Netz für „grüne“ Medien. Mousavi
gab hier zu Protokoll, dass die Bewegung zwar mit dem Slogan „Where is my vote?“ begonnen habe, nun aber „die Menschen herausgefunden haben, dass die Probleme des Landes viel weitergehender sind als zuvor gedacht“.

In einem Interview mit dem Nachrichtensender CNN antwortete Karrubi auf die Frage, wie es um die Stärke der Opposition bestellt sei: „Die Grüne Bewegung ist heute stärker und erwachsener als vor einem Jahr. Trotz eines Klimas der Repression hat sie sich vereinheitlicht und umfasst nun größere Bereiche der Gesellschaft. Das Regime hat diese wichtige Entwicklung übrigens begriffen. Der Fakt, dass mittlerweile selbst bei Begräbniszügen Polizeieinheiten zur Aufstandsbekämpfung anwesend sind, oder dass es keine Genehmigungen für Versammlungen gibt, beweist die Stärke der Bewegung.“

Auf Seiten der Hardliner offenbaren sich unterdessen immer neue Spaltungen. Vor allem schwelt der Streit Ahmadinejads und seiner Anhängerschaft mit dem Parlament, in dem konservative „Prinzipalisten“ die Mehrheit haben. So maßregelte Ahmad Janati, der Generalsekretär des Wächterrates und bisher ein Unterstützer Ahmadinejads, den Präsidenten öffentlich, als er erklärte: „Einige Leute versuchen Vorteile aus der gegenwärtigen Situation zu ziehen und maßen sich Zuständigkeiten an, für die ihnen die notwendige Kompetenz fehlt.“

Ahmadinejad hatte sich nämlich beim Wächterrat über dessen Genehmigung von Gesetzesvorlagen des Parlaments beschwert, die er als Präsident eigentlich verfassungsgemäß umzusetzen hätte. Eine einvernehmliche Lösung des Kompetenz- und Machtgerangels innerhalb des Establishments erscheint längst unmöglich. Und dabei rückt nach Monaten der relativen öffentlichen Ruhe im Iran nun unerbittlich wieder ein Halbjahr mit vielen staatstragenden Feier- und Gedenktagen heran, die Gelegenheiten für neue Massenproteste bieten.

Oliver M. Piecha ist Betreiber des Weblogs „Free Iran Now!“

In Luxemburg hat Amnesty International eine Online-Petition an Ayatollah Khamenei lanciert, um die Freilassung der politischen Häftlinge im Iran zu verlangen: www.amnesty.lu/spip/spip.php?article3551


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