ABSCHIEBUNGEN: Charterflug ins existenzielle Nichts

Die luxemburgische Regierung hat die ersten 23 von mehreren hundert Jugoslawien-Flüchtlingen abgeschoben. Justizminister Luc Frieden rechtfertigt die Nacht- und Nebelaktion und verstrickt sich dabei in Widersprüche.

Als Suada Mulic aufwachte, stand die Polizei vor ihrer Tür. Etwa 15 Beamte in Zivil und in Uniform waren um sechs Uhr morgens zu dem Gasthof in Aspelt gekommen. „Wo ist die Familie Korac?“, fragte einer die überraschte Frau. „Im dritten Stock“, antwortete sie. Die PolizistInnen gingen an ihr vorbei in das Haus, wo Izet Korac mit seiner Frau Ema Sinanovic und seinen vier Kindern wohnte.

Während Suada Mulic erzählt, was am Dienstagmorgen geschah, klingt ihre Stimme verzweifelt. Mehrmals hält sie inne, beginnt zu weinen. Es habe viele Tränen gegeben, als die Koracs abgeholt wurden, sagt sie. Keine anderthalb Stunden hätte die Flüchtlingsfamilie aus der jugoslawischen Teilrepublik Montenegro Zeit gehabt, um ihre Sachen zu packen. Dann wurden sie in eines der drei Polizeifahrzeuge gesteckt. „Wo gehen wir hin?“, habe eines der Kinder gefragt, und Ema Sinannovic habe geantwortet: „Wir gehen nach Hause – nach Jugoslawien.“

Izet Korac und seine Familie gehören zu jenen 23 Flüchtlingen, darunter 13 Kinder und Jugendliche, die in Aspelt, Tetingen und Weilerbach wohnten und die der luxemburgische Staat diese Woche abgeschoben hat. Eine Maschine der belgischen Fluggesellschaft VLM brachte sie in die montenegrinische Hauptstadt Podgoriza. Nach den Worten von Justizminister Luc Frieden war dies erst der Anfang einer ganzen Reihe so genannter Zwangsrückführungen abgelehnter Asylbewerber. Auch während des Winters will der Hardliner abschieben, sagte er bei einer Pressekonferenz am Dienstag.

Das Justizministerium hatte in einem Rundschreiben den rund 800 Flüchtlingen aus Jugoslawien darauf aufmerksam gemacht, dass sie sich illegal auf luxemburgischem Boden aufhielten, und ihnen empfohlen, lieber freiwillig zurückzukehren – sonst drohe ihnen die Zwangsausweisung. Nur etwa hundert Freiwillige hatten sich dafür gemeldet, die anderen warteten unter Angst und Bangen auf den Tag X. Etwa 120 von ihnen legten die Zusagen von luxemburgischen Arbeitgebern vor, sie zu beschäftigen, oder wiesen auf die Situation ihrer Familien hin – so auch Izet Korac, der wie die meisten anderen Flüchtlinge während des Kosovo-Krieges nach Luxemburg gekommen war. Seine Söhne Emir und Admir gingen hier zur Schule, der fünfjährige Damir besuchte den Kindergarten. Allesamt sprechen sie luxemburgisch. Das jüngste Kind Amina kam in Luxemburg zur Welt, ebenso die acht Monate alten Zwillinge von Ferid Palmar. Damit handelt es sich nach den Worten von Serge Kollwelter um potenzielle LuxemburgerInnen, die ausgewiesen wurden. Da sie in keinem jugoslawischen Register erfasst und eingetragen seien, gelten sie als staatenlos und ihnen stehe die luxemburgische Staatsbürgerschaft zu, so der Präsident der „Association de soutien aux travailleurs immigrés“ (Asti). Eine Ausweisung sei deshalb rechtswidrig, erklärt Kollwelter. Zudem sei der Antrag der abgelehnten AsylbewerberInnen auf eine Aufenthaltsgenehmigung noch nicht beantwortet worden. Das Justizministerium habe lediglich den Empfang der Anträge bestätigt.

Ende des Traums vom besseren Leben

Für Frieden verlief die Ausweisung hingegen rechtmäßig. Die Betroffenen seien x-mal darüber informiert worden, rechtfertigte der CSV-Politiker die „konsequente Haltung“ der Regierung. Zudem lägen die notwendigen Papiere aus Belgrad jetzt vor. Der Justizminister beruft sich bei seiner Rechtfertigung der „Nacht- und Nebelaktion“ (Kollwelter) ausgerechnt auf das Asylrecht: „Wir haben den Asylbewerbern während des Kosovo-Krieges geholfen.“ Dieser Konflikt sei jedoch mittlerweile beendet, die Flüchtlinge müssten deshalb zurück in ihre Heimat.

Dass Montenegro und dabei besonders der Sandschak, die Grenzregion zu Serbien, woher die meisten Flüchtlinge stammen, wirtschaftlich am Boden liegt und noch lange an den Auswirkungen der Balkan-Kriege zu leiden hat, sprach Frieden nicht an. Zwar wendet das Koorperationsministerium laut Frieden elf Millionen Euro für Entwicklungsprojekte in Jugoslawien auf und erhalten die Abgeschobenen eine finanzielle Unterstützung. Doch die wirtschaftliche Entwicklung stockt, jeder dritte Montenegriner ist arbeitslos. Angesichts der prekären Lage in der jugoslawischen Teilrepublik stehen die unfreiwilligen RückkehrerInnen – die zudem der dort, wenn nicht politisch, so zumindest sozial benachteiligten muslimischen Minderheit angehören – vor dem Nichts: „Die Menschen haben in ihrer alten Heimat keine Zukunftsperspektive mehr“, meint die Caritas-Flüchtlingsbeauftragte Agnes Rausch und fügt hinzu: „Die Menschen haben das Recht, dahin zu gehen, wohin sie wollen.“

Dass es sich bei den abgeschobenen oder von der Abschiebung bedrohten MontenegrinerInnen nicht mehr um Flüchtlinge handelt, sondern um ImmigrantInnen, die auf dem luxemburgischen Arbeitsmarkt durchaus willkommen wären, davon will Frieden nichts wissen. Im Großherzogtum seien Arbeitgeber bereit, sie einzustellen, erklärt derweil Jean Lichtfous von der Asti und verweist auf ein mittlerweile 30 Jahre altes Arbeitskräfte-Abkommen Luxemburgs mit Jugoslawien. Stattdessen werbe man neue Arbeitskräfte aus den EU-Beitrittsländern an. „Sind wir weniger wert als Polen und Rumänen?“ fragte eine verzweifelte Angehörige bei der Pressekonferenz der Asti am Dienstag. Sie schildert dabei, welche Entbehrungen die Flüchtlinge auf sich genommen hatten, um aus der Misere in ihrer Heimat zu entfliehen und in Luxemburg „ein besseres Leben“ zu führen. Nun sollen sie zurückgebracht werden. Ein Charterflug nach Montenegro koste übrigens 25.000 bis 30.000 Euro, wie Lichtfous erklärt, was die Rückführung auch unter ökonomischen Gesichtspunkten kontraproduktiv mache.

Doch Luc Frieden setzt auf Härte: Von den insgesamt 3.200 AsylbewerberInnen in Luxemburg wurde rund der Hälfte kein Flüchtlingsstatus zuerkannt. Diese müssten mit der Ausweisung rechnen. Der Frage, weshalb nicht zuerst die freiwilligen RückkehrerInnen heimgeflogen wurden, begegnet er unterdessen mit dem Hinweis, dass für diese noch keine Papiere vorlägen.

Unklar ist nach wie vor, wie ein Gewehr mit Zielfernrohr in das Gepäck eines Abgeschobenen kam. „Das war nur ein Mittel, um uns als Terroristen zu verunglimpfen“, sagt eine Angehörige. Polizeisprecher Vic Reuter bestätigte jedoch gegenüber der woxx den Waffenfund und meinte: „Die Polizei macht keine Unterstellungen.“ Und Luc Frieden hat viel Lob für die „menschliche Vorgehensweise“ der großherzoglichen Polizei bei ihrer morgentlichen Abschiebeaktion übrig. Deren Leiterin Andrée Colas hatte übrigens auch die umstrittene „Operation Milano“ vor drei Jahren geleitet, als 36 Kosovo-Albaner ausgewiesen wurden. Abschiebung als humane Geste?

Stefan Kunzmann


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