KROATIEN: Zna se, man kennt sich

In Kroatien wird am 25. November ein neues Parlament gewählt. Die beiden großen Parteien sind sich einig: Alle Differenzen werden dem EU-Beitritt untergeordnet. Am liebsten würden sie den Wahlkampf ganz ausfallen lassen.

Er weiß, wie angenehm es sich mitunter in einem zerstörten Haus wohnen lässt:
In die EU möchte
der amtierende kroatische Ministerpräsident Ivo Sanader sein Land dennoch lieber
heute als morgen führen.
(Foto: EPP-ED)

Während der Wahlkampf-Slogan der Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft (HDZ) unter dem ehemaligen Partei- und kroatischen Staatschef Franjo Tudjman das kryptische „HDZ ? zna se“ (HDZ ? Man kennt sich) war, wurde die Parole der Regierungspartei im diesjährigen Wahlkampf zu „HDZ zna“ (HDZ weiß Bescheid).

Einerseits steht hier der Wiedererkennungseffekt im Vordergrund, andererseits versucht die HDZ, ihre Entwicklung von einer rechtsextremen zu einer rechtskonservativen Partei deutlich zu machen. Der Slogan könnte aber auch so verstanden werden, dass er auf die Korruption zielt, einer der Hauptkritikpunkte, die die EU in ihrem Fortschrittsbericht vom 6. November zur Aufnahme Kroatiens nennt. Denn wenn jemand über korrupte Politiker Bescheid weiß, dann die HDZ. Selbstverständlich enthält das Wissen über die Korruption noch lange nicht den Protest dagegen. Und so wird die HDZ immer wieder mit Korruptionsvorwürfen konfrontiert, die wenigstens für ein bisschen Wirbel im ansonsten eher müden Wahlkampf sorgen. Anfang der Woche wurde beispielsweise ein Dokument lanciert, aus dem hervorgeht, dass das Haus des amtierenden Ministerpräsidenten Ivo Sanader (HDZ) von Amts wegen als „im Krieg zerstört“ geführt wird und deshalb im Jahr 2000 seinem eigentlichen Besitzer, Dure Papca, trotz dessen Antrags auf Rückgabe, nicht wieder überlassen wurde.

Nur schwer kann man sich in Kroatien daran gewöhnen, dass Parlamentsabgeordnete nicht nur korrupt, sondern auch Kriegsverbrecher sein können.

 

Der Wahlkampf ist auch deshalb ohne große Höhepunkte, weil sich die Programme der beiden großen Parteien nicht wesentlich unterscheiden. Beide wollen Kroatien in die EU bringen, die eine schneller, die andere langsamer. Beide legitimieren die krasse Streichungs- und Sparpolitik im sozialen Bereich mit den für den Beitritt notwendigen Reformen. Bereits vor einigen Monaten hörte man aus den Reihen der Sozialdemokratischen Partei (SDP), man wolle die Wahlen gar nicht unbedingt gewinnen, weil es sonst nur zu einer Verzögerung der Verhandlungen mit der EU kommen würde, da man sich ja erst in die bürokratischen Abläufe einarbeiten müsse.

So kam es, dass die SDP wochenlang nach einer griffigen Losung suchte und keine fand, mit der sie sich von der HDZ eindeutig abgrenzen konnte ? bis die HDZ der SDP eine Steilvorlage lieferte. Umfragen zufolge liegen beide Parteien bei etwa 30 Prozent. Das bedeutet, dass es nicht zuletzt auf die Stimmen der kroatischen „Diaspora“ ankommt. Etwa vier Millionen Kroaten leben im Ausland, genauso viel wie innerhalb der kroatischen Staatsgrenzen. So ließ Ministerpräsident Sanader (HDZ) sein Konterfei überall in Bosnien-Herzegowina plakatieren, um die kroatischen Bosnier zu den Wahlurnen zu mobilisieren. Da hatte die SDP, einen Tag vor Beginn des Wahlkampfs, ihren Slogan: „Entscheiden wir über Kroatien in Kroatien“. Denn die SDP weiß, dass eine große Mehrheit der im „Mutterland“ lebenden Kroaten nicht will, dass die Diaspora-Kroaten über ihre Regierung entscheiden. Ob es zufällig ist oder gewollt, der Slogan der SDP erinnert stark an die Kriegspropaganda der HDZ von 1990, deren Motto damals lautete: „Entscheiden wir selbst über das Schicksal unseres Kroatien“.

Dabei wäre eine politische Profilierung für die SDP so einfach, würde sie nur den nachlässigen Umgang mit den Kriegsverbrechen während des „vaterländischen Kriegs“ 1991 bis 1995 thematisieren. Nur schwer kann man sich in Kroatien daran gewöhnen, dass Parlamentsabgeordnete nicht nur korrupt, sondern auch Kriegsverbrecher sein können.

So erhält Drago Hedl, Reporter der unabhängigen Wochenzeitung „Feral Tribune“, seit vergangenem Jahr immer wieder Morddrohungen, weil er schon vor Jahren über die Kriegsverbrechen des ehemaligen HDZ-Parlamentsabgeordneten Branimir Glavas berichtete. Glavas, der mittlerweile verhaftet und dessen Prozess in diesen Tagen in der nordkroatischen Stadt Osijek wieder eröffnet wird, steht unter Anklage, die Folter und Tötung von sechs serbischen Zivilisten in Osijek 1991 befohlen zu haben. Der Fall Glavas wurde allerdings erst von den Behörden verfolgt, als Krunoslav Fehir, ein ehemaliges Mitglied der Einheit, die unter dem Kommando von Glavas gestanden hatte, diesen öffentlich der Tat bezichtigte.

Weil viele glauben, dass der kroatische Staat nach und nach die Kriegsverbrecher vor Gericht stellt, ist in Kroatien überall von einer „Normalisierung“ die Rede. Doch es gab noch nicht einen einzigen Fall, den die Justizbehörden von sich aus aufgedeckt hätten. In der Regel ist es eine Handvoll Journalisten, die im Glücksfall Kriegskombattanten ermutigen können, über ihre ehemaligen Befehlshaber auszusagen, um eine staatliche Anklage zu erwirken.

Selbst das kroatische Helsinki-Komitee (HHO), die wichtigste Institution für Menschenrechte in Kroatien, und vor allem sein Gründer und Leiter, Zarko Puhovksi, einer der bekanntesten marxistischen Philosophen Ex-Jugoslawiens, behauptete vor zwei Wochen: „Die Situation der Menschenrechte in Kroatien hat sich normalisiert, wir haben keine Arbeit mehr mit schweren Rechtsverletzungen.“

Auch Puhovski, der während des kroatisch-serbischen Krieges einer von wenigen Intellektuellen in Kroatien war, die die Vertreibung und Ermordung der Serben als „ethnische Säuberung“ qualifizierten, scheint dem Staat mehr Glauben zu schenken als angebracht. Schließlich wurde am 18. Oktober, kurz vor der Normalisierungserklärung Puhovskis, der Journalist Zeljko Peratovic festgenommen, seine Wohnung durchsucht und seine Materialien, Handys und sein PC beschlagnahmt. Ihm wurde vorgeworfen, er habe Informationen des Geheimdienstes auf seinem Blog veröffentlicht. Der Hintergrund der Verhaftung dürfte allerdings gewesen sein, dass Peratovic durch seine Informationen den Verdacht erhärten kann, dass der Parlamentsabgeordnete und ehemalige Vizepräsident Darko Milinovic (HDZ) in Kriegsverbrechen in der Stadt Gospic verwickelt ist.

In der Tat ist es so, dass nicht mehr alle Kriegsverbrechen totgeschwiegen werden, doch dieser Fall zeigt, dass breite Kreise innerhalb des politischen und des bürokratischen Apparats nach wie vor versuchen, „geheime“ Informationen über Kriegsverbrechen so lange wie möglich zurückzuhalten.

Auch der Fortschrittsbericht der EU ist nicht davon überzeugt, dass sich die Situation in Kroatien normalisiere. Vergangene Woche wurde dem Land mitgeteilt, dass es mit dem für 2009 angestrebten EU-Beitritt nichts werde. Zwar mache Kroatien, im Vergleich zu anderen Balkanländern, Fortschritte. Doch die Justizreformen, die Bekämpfung der Korruption, die Entwicklung der Pressefreiheit und vor allem der Zugang von Minderheiten zu politischen Gremien seien ins Stocken geraten.

In der Tat ist der Kreis derer, die sich für die Aufklärung der Kriegsverbrechen einsetzen und Kritik an den sozialen Missständen üben, sehr überschaubar. Eine der wenigen konsequent antinationalen und aufklärerischen Medien ist die linke Wochenzeitung „Feral Tribune“. Aber auch diese dürfte ihre kritischste Zeit demnächst hinter sich haben. Bis zum Juni dieses Jahres erschien das Blatt 14 Jahre lang, Woche für Woche, mit exklusiven Recherchen über Kriegsverbrechen kroatischer Militärs, Politiker und Zivilisten. Doch am 14. Juni war vorläufig Schluss. Die Zeitung konnte ausstehende Honorare und Gehälter wegen eines Schuldenbergs von etwa 140.000 Euro nicht mehr zahlen.

Zum einen sank die Zahl der Leser kontinuierlich, seitdem auch andere Medien über die Kriegsverbrechen berichten. Der wirkliche Grund für die Schulden liegt allerdings in dem Mehrwertsteuersatz von 22 Prozent. Es ist ein offenes Geheimnis, dass bei regierungsnahen und staatlichen kroatischen Medien öfter mal ein Auge zugedrückt wird, wenn es um die Steuerschulden geht.

Hinzu kommen bei „Feral Tribune“ immense Gerichtskosten und Geldstrafen, da die Zeitung und ihre Redakteure nach wie vor wegen „Zufügung seelischen Leids“ von kroatischen Politikern aus der Tudjman-Ära verklagt werden, die ihren „vaterländischen Krieg“ beschmutzt sehen. Anfang Juli kam dann die helfende Hand aus Deutschland. Kein geringerer als die deutsche WAZ-Verlagsgruppe unter ihrem Geschäftsführer Bodo Hombach kaufte die Zeitung, die bis dahin dem Redaktionskollektiv gehört hatte. Hombach war von 1998 bis 1999 Chef des deutschen Bundeskanzleramtes, danach arbeitete er in Brüssel als Sonderkoordinator des Stabilitätspakts für Südosteuropa. Unter seiner Regie hatte die WAZ-Gruppe schon mehrmals diese Übernahme versucht, was bislang am Widerstand der Redaktion scheiterte. Nun dürfte es nur noch eine Frage der Zeit sein, bis einzelne Redakteure ihren Hut nehmen können. Denn erst wenn die Zeitung nicht mehr als regierungskritisch eingestuft wird, dürften auch in Sachen Mehrwertsteuer für „Feral Tribune“ beide Augen zugedrückt werden. Man kennt sich eben.

Doris Akrap ist Redakteurin der Berliner Wochenzeitung Jungle World.


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