SOMALILAND: Die Politik der Anerkennung

Die jihadistische Shabab-Bewegung belagert die somalische Übergangsregierung und operiert nun auch im Ausland. Nach den Anschlägen in Uganda ist das internationale Interesse am somalischen Bürgerkrieg erneut gewachsen.

Hat gut lachen: Der neu gewählte Präsident von Somaliland, Ahmed Mohamud Silaanyo (dritter von links), hier im vergangenen Januar in Columbus, Ohio.

Es gab bei den Wahlen keine schweren Zwischenfälle und keine Manipulationen, bestätigten die ausländischen Beobachter. Mit 49,59 Prozent der Stimmen gewann der Oppositionskandidat Ahmed Mohamud Silaanyo. Der Verlierer Dahir Riyale Kahin, der Somaliland seit dem Jahr 2002 regiert, gratulierte dem neu gewählten Präsidenten Silaanyo zu dessen Sieg.

Yes, they can. Während in der somalischen Hauptstadt Mogadischu die Warlords der von der „internationalen Gemeinschaft“ unterstützten Übergangsregierung um Macht und Pfründe rangeln, sofern sie nicht vom Mörserbeschuss der jihadistischen Shabab-Bewegung unterbrochen werden, organisierte die Regierung von Somaliland Ende Juni eine Wahl. Ein demokratischer Musterstaat ist Somaliland nicht. Zu den Wahlen wurden nur drei Parteien zugelassen, und neben dem Parlament gibt es ein Oberhaus, dessen Mitglieder von den Clanführern ernannt werden. Die Gesetzgebung orientiert sich am ägyptischen Modell, vor allem die Rechte der Frauen sind beschränkt. Doch ist es in Somaliland gelungen, die bewaffneten Konflikte zu beenden, und niemand wird erschossen, weil er sich ein Fußballspiel ansieht.

„Wer an dieser sogenannten Wahl teilnimmt, wird die Konsequenzen zu tragen haben“, drohte daher Mitte Juni Sheikh Mukhtar Abu Zubayr, ein Führer der jihadistischen Shabab. „Ihr habt die Wahl: Entweder folgt ihr dem Weg Gottes, oder ihr wählt das vom ungläubigen Westen unterstützte demokratische System.“ Die Grenzen wurden während der Wahl geschlossen, doch die Jihadisten, die bereits frühere Wahlen zu stören versucht hatten, sind offenbar nicht in der Lage, Terroranschläge in Somaliland durchzuführen.

Dort mag man sich gewundert haben, wie Abu Zubayr auf die Idee kommt, die Demokratisierung werde vom Westen unterstützt. Im Jahr 1991, kurz nach dem Beginn des Bürgerkriegs, erklärte Somaliland sich für unabhängig. Es gab in der Geschichte weit schlechtere Gründe für eine Sezession als den Wunsch, nicht in einen Bürgerkrieg hineingezogen zu werden. Das Staatsgebiet entspricht dem Territorium der früheren Kolonie Britisch-Somaliland, der Zusammenschluss mit dem zuvor italienischen Teil Somalias erfolgte kurz nach der Unabhängigkeit im Jahr 1960. Die erneute Trennung widerspricht daher nicht der in Afrika geltenden Regel, dass die Kolonialgrenzen unverändert bleiben müssen.

Dennoch wurde Somaliland von keinem Staat der Welt anerkannt. Offizielle Entwicklungs- oder Finanzhilfe kann die Regierung nicht erhalten, sie muss sich in diesem Jahr mit einem Budget von umgerechnet 61 Millionen Dollar begnügen. Auch Handelsverträge kann die Regierung nicht abschließen, allerdings findet Vieh, das Hauptexportprodukt des Landes, Abnehmer auf der Arabischen Halbinsel. Doch die meisten Einwohner leben in extremer Armut. „Die Menschen verlassen dieses Land zu Tausenden“, beklagt Silaanyo. „Sehen Sie den Zustand unserer Straßen, die Zustände in unseren Städten, den Mangel an Entwicklung. Warum erkennt die Welt uns nicht an?“

Es gab in der Geschichte weit schlechtere Gründe für eine Sezession als den Wunsch, nicht in einen Bürgerkrieg hineingezogen zu werden.

Obwohl die somalische Übergangsregierung selbst mit der Unterstützung ausländischer Truppen nicht einmal die Hauptstadt kontrollieren kann, hält sie an dem Anspruch fest, das gesamte Somalia zu repräsentieren. Nicht die Demokratisierung Somalilands, sondern dieser Anspruch einer durch keinerlei Wahlen legitimierten Regierung wird vom Westen, aber auch von der Uno, der Afrikanischen Union (AU), der Arabischen Liga und der Organisation der Islamischen Konferenz unterstützt.

Dass die arabischen Potentaten kein Interesse haben, die Demokratisierung zu fördern, verwundert nicht. Die afrikanischen Regierungen fürchten wohl vor allem, dass eine Anerkennung Somalilands sezessionistische Bestrebungen fördern könnte. Überdies haben die einflussreicheren Staaten Afrikas sowie des Nahen und Mittleren Ostens Favoriten unter den Warlords der Übergangsregierung.

Das ist dem Friedensprozess nicht förderlich. Pakistanische Truppen, deren Regierung den Warlord Ali Mahdi Mohammed unterstützte, überfielen im Juni 1992 den Radiosender von dessen Konkurrenten Mohamed Farah Aideed, gerieten jedoch in einen Hinterhalt und verloren 23 Soldaten. Aideed wurde zum Feind der „internationalen Gemeinschaft“ erklärt, seine Milizionäre konnten den US-Truppen aber schwer zusetzen und zwei Hubschrauber abschießen. Dieses Debakel wurde im Hollywood-Film „Black Hawk Down“ gewürdigt. Die erste, von US-Truppen geführte Intervention der Uno scheiterte. Seitdem möchte kein westlicher Politiker die Worte „Intervention“ und „Somalia“ mehr in einem Satz aussprechen. Die Aussage, man wolle lieber die Afrikaner mit der Konfliktlösung betrauen, kommt überdies in der westlichen Öffentlichkeit gut an.

Die äthiopische Armee marschierte Ende 2006 in Somalia ein. Es gelang ihr zwar, der Übergangsregierung, die zuvor im Provinznest Baidoa residierte, erstmals Zugang zur Hauptstadt zu verschaffen. Dort aber wurde sie fortan von islamistischen Milizen und anderen Feinden belagert. Die Äthiopier und die Übergangsregierung sahen sich gezwungen, die für gemäßigt erklärte islamistische Fraktion Sheikh Sharif Sheikh Ahmeds an der Macht zu beteiligen, gegen dessen Union der Islamischen Gerichte sich die Intervention ursprünglich gerichtet hatte.

Als Präsident muss sich Sheikh Ahmed nun mit seinen ehemaligen Verbündeten herumschlagen. Die Shabab und einige andere Gruppen verweigerten sich der Integration, sie kontrollieren mittlerweile den größten Teil des Landes. Die äthiopischen Soldaten wurden durch die Amisom, eine Interventionstruppe der AU, ersetzt. Die afrikanischen Staaten verfügen jedoch weder über die finanziellen Mittel noch über die logistischen Fähigkeiten für eine wirkungsvolle Militärintervention. Die derzeit etwa 5.000 Soldaten der Amisom haben sich in der Hauptstadt verschanzt.

Aideed hatte sich antiimperialistischer Phrasen bedient, aber Distanz zu den Jihadisten gehalten. Die später von al-Qaida vorgebrachte Behauptung, ihre Kämpfer hätten die US-Hubschrauber abgeschossen, ist Prahlerei. Noch Ende 2001, als nach den Anschlägen vom 11. September islamistische Basen in Somalia gesucht wurden, fand man nichts, was eine Bombardierung hätte notwendig erscheinen lassen. Nun ist ein Islamist Präsident, und die Sharia wurde eingeführt, während in den meisten Gebieten Somalias die Shabab herrscht, der Sheikh Ahmeds Auslegung des islamischen Gesetzes zu lasch ist.

Die Shabab ist mit al-Qaida verbündet und operiert nun auch im Ausland. In der vergangenen Woche bekannte sich Sheikh Mukhtar Abu Zubayr zu den Anschlägen in der ugandischen Hauptstadt Kampala. In einem äthiopischen Restaurant und einem Sportclub waren während einer WM-Übertragung Bomben gezündet worden, 74 Menschen starben. Dies sei „erst der Anfang“ gewesen, drohte Abu Zubayr. Er forderte von der ugandischen Regierung, die das größte Kontingent der Amisom stellt, ihre Truppen aus Somalia zurückzuziehen.

Im Stil von al-Qaida sollten die Bomben mehrere Botschaften vermitteln. Es war kein Zufall, dass ein äthiopisches Restaurant für einen der Anschläge in Kampala ausgesucht worden war. Dass die Bomben während einer WM-Übertragung gezündet wurden, sollte nicht nur die Zahl der Opfer maximieren. Die Shabab hat es den Somalis verboten, Fußball zu spielen oder sich Spiele im Fernsehen anzuschauen, und ahndet Verstöße mit der Todesstrafe. Die Bomben sind auch eine Mahnung an die „Gottlosen“, sich dem Tugendterror zu beugen.

Fraglich ist, ob die Anschläge tatsächlich Uganda zum Rückzug bewegen und andere afrikanische Regierungen von einer Truppenentsendung abhalten sollen. Schon um ihre Autorität zu wahren, muss die ugandische Regierung, die auch im eigenen Land bewaffnete Extremisten bekämpft, an der Interventionspolitik festhalten. „Wir gehen nun in die Offensive“, kündigte Präsident Yoweri Museveni an. Die Amisom kann mit größerer westlicher Unterstützung rechnen, die US-Regierung hat bereits eine Verstärkung der Hilfe zugesagt.

Diese Reaktionen waren vorhersehbar, auch für bornierte Jihadisten. Die Anschläge könnten die ersten Operationen im Rahmen einer Strategie gewesen sein, die darauf zielt, die gesamte Region zu destabilisieren. Im Jahr 2004 hatte die Brigade Abu Hafs al-Masri, eine Fraktion von al-Qaida, angekündigt, den Jemen neben dem Irak und Afghanistan zum „dritten Sumpf“ zu machen, in dem „Amerika, der Tyrann der Epoche“, versinken soll. Mittlerweile haben die Jihadisten im Jemen an Einfluss gewonnen, sie kooperieren mit der Shabab auf der anderen Seite des Golfs.

Bislang ist das Engagement der afrikanischen Staaten für die Amisom dürftig, eigentlich sollten bereits 8.000 Soldaten in Somalia sein. Wenn dies trotz der terroristischen Provokation so bleibt, ist das ein Sieg für die Shabab. Wenn die Truppen verstärkt und von der US-Luftwaffe unterstützt werden, die Shabab aber trotzdem nicht zurückdrängen können, ist der Sieg umso größer.

Bislang ist unklar, ob die Shabab eher dem Vorbild der Taliban folgt und vor allem territoriale Herrschaft anstrebt oder nach dem Konzept von al-Qaida einen Propaganda- und Destabilisierungskrieg führen will. Sollte die Shabab sich dem globalen Jihad anschließen, dürften weitere Anschläge und Operationen in anderen Staaten der Region folgen. Die Jihadisten haben bereits mehrfach mit einem Einmarsch in Äthiopien gedroht. In Kenia könnte die Shabab wahrscheinlich auf jihadistische Zellen zurückgreifen. Die meisten Staaten der Region sind nur schwach institutionalisiert. Kleine bewaffnete Gruppen können große Gebiete terrorisieren. Seit 1987 ist es dem ugandischen Militär nicht gelungen, die Lord’s Resistance Army zu zerschlagen, eine Gruppe christlicher Fanatiker, die auch im Kongo und im Sudan operiert.

Die gesellschaftliche Zerrüttung nach fast 20 Jahren Bürgerkrieg ermöglicht es einer entschlossenen islamistischen Führung, perspektivlose Jugendliche zu rekrutieren. In Somaliland ist es gelungen, die Desintegration aufzuhalten. Ein wichtiges Mittel im Einigungsprozess war die Retraditionalisierung, die Aufwertung der von den Warlords entmachteten Clanführer. Das ist keine ideale Lösung, aber selbst die Briten halten sich noch ein Oberhaus voller Lords und Prälaten. Doch vermutlich wird vor der nächsten Somalia-Konferenz, die in den kommenden Monaten gewiss stattfinden wird, niemand in Somaliland nachfragen, wie es dort gelungen ist, die Probleme zu lösen, an denen die „internationale Gemeinschaft“ verzweifelt.

Jörn Schulz ist Redakteur der in Berlin erscheinenden Wochenzeitung „Jungle World“.


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