ABSCHIEBUNGEN: Rückkehr ins Land des „Rasiermessers“

Die aus Luxemburg abgeschobenen ehemaligen Flüchtlinge treffen in ihrer alten Heimat Montenegro auf wirtschaftliche Perspektivlosigkeit und politische Instabilität.

Nach der Abschiebung: Heimweh nach Luxemburg?

„Am meisten berührt hat mich die Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit der Menschen.“ Die Betroffenheit ist Maggy Backes anzusehen, als sie ihre Eindrücke aus dem Sandjak schildert. Die Lehrerin gehörte zu der Delegation der „Association de soutien aux travailleurs immigrés“ (Asti), die vor kurzem in der Bergregion im Norden Montenegros war, um sich ein Bild von den Bedingungen zu machen, unter denen die seit November aus Luxemburg abgeschobenen Flüchtlingsfamilien leben müssen.

Montenegro galt bereits vor dem Auseinanderbrechen Jugoslawiens als das Armenhaus des Vielvölkerstaats. Dabei gibt es ein deutliches soziales Gefälle zwischen dem Norden und dem Süden. Der Sandjak ist die strukturschwächste der rund 615.000 EinwohnerInnen zählenden Republik. Um die minus 15 Grad kalt kann es in den mehr als 1.500 Meter hoch gelegenen Dörfern werden, wohin ein großer Teil der im Großherzogtum abgewiesenen AsylbewerberInnen zurückkehren musste. Geheizt werde mit Holz, berichtet Backes, doch das reiche oft nicht aus. Und in einigen Dörfern gebe es nicht einmal fließendes Wasser und Toiletten.

Es herrsche große Perspektivlosigkeit unter den Menschen in dem Grenzgebiet zu Serbien, erklärt Asti-Präsident Serge Kollwelter. Die wirtschaftliche Lage ist prekär: Die Arbeitslosigkeit in Montenegro liegt offiziell bei knapp 30 Prozent, doch in Wirklichkeit ist jedeR Zweite ohne Job. Da sei es fast aussichtslos, eine Arbeit zu finden, so Kollwelter.

Erst recht schwierig ist es für die RückkehrerInnen. Sie gelten unter ihren Landsleuten als VerliererInnen. Sie verließen das Land während des Kosovo-Krieges. Dafür hatten sie nach den Worten Kollwelters ihren Schleppern bis zu 20.000 Deutsche Mark bezahlt, damals das offizielle Zahlungsmittel in Montenegro. Obwohl die Nato die jugoslawische Teilrepublik von März bis Juni 1999 bombardierte, blieb diese von dem bewaffneten Konflikt zwar weitgehend verschont. Die Kriegsfolgen bekam Montenegro jedoch vor allem auf andere Art und Weise zu spüren: Zehntausende Flüchtlinge strömten aus dem Kosovo ins Land, nachdem in den Jahren zuvor bereits 30.000 aus Kroatien geflohene SerbInnen dort Zuflucht gefunden hatten. Da die internationalen Organisationen in Montenegro weniger präsent waren als beispielsweise in Mazedonien oder Albanien, betreute die Regierung und die Gemeinden die Flüchtlinge. Und während der Nato-Attacken auf Serbien lebten serbische Oppositionelle wie der derzeitige Ministerpräsident Zoran Djindjic in der montenegrinischen Hauptstadt Podgorica im Exil.

Zu wenig zum Leben

Wichtigster Devisenbringer war bisher der Tourismus, doch der konzentriert sich fast ausschließlich auf die Adriaküste. Der Durchschnittslohn der MontenegrinerInnen beträgt etwa 120 bis 150 Euro – zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel: Die Preise sind in den vergangenen Monaten weiter geklettert, so dass zum Beispiel laut Medienberichten ein Liter Milch mittlerweile 50 Cent kostet. Die Starthilfe, die der luxemburgische Staat den RückkehrerInnen gab, reicht dabei hinten und vorne nicht. Aus dem Großherzogtum bekommen ExistenzgründerInnen so genannte Mikrokredite.

Betreut werden die RückkehrerInnen unter anderem vom luxemburgischen Roten Kreuz und von der Caritas. Das Rote Kreuz ist seit 1999 mit Nahrungshilfen sowie mit Unterkünften für Flüchtlinge in Jugoslawien engagiert. Mittlerweile habe die Organisation 70 aus dem Sandjak stammende Familien begleitet, teilte Marc Crochet vom „Croix-Rouge de la Jeunesse“ bei einer Pressekonferenz im Januar mit. Und die Caritas eröffnete im Oktober 2000 ein Büro in der Region, um den Menschen – beispielsweise beim Wiederaufbau ihrer Häuser oder bei der Renovierung von Schulen – zu helfen.

Die Luxemburger Regierung habe bereits elf Millionen Euro für Entwicklungsprojekte zur Verfügung gestellt, wird der für den harten Abschiebekurs verantwortliche Justizminister Luc Frieden nicht müde zu betonnen. Als exemplarisch für die luxemburgische Spendierfreudigkeit wird gerne eine Milchfabrik angeführt. Das 5,7-Millionen-Euro-Projekt der Entwicklungshilfegesellschaft „Lux-Development“ kann gerade einmal 30 Jobs schaffen, als Anreiz für eine Rückkehr aus Luxemburg jedoch zu wenig.

Zur desolaten Wirtschaftslage kommt die politische Instabilität hinzu: Als die Menschen während des Kosovo-Konflikts 1999 aus ihrer Heimat flohen, war diese noch ein Teil Jugoslawiens. Seit dem 5. Februar gibt es die Bundesrepublik Jugoslawien nicht mehr. Am Abend zuvor billigte das jugoslawische Parlament die Verfassung für den Staatenbund Serbien-Montenegro. Die Regierungen Serbiens und Montenegros hatten sich im März 2002 über den Staatenbund verständigt, und im Januar diesen Jahres stimmten die jeweiligen Parlamente der beiden Teilrepubliken zu. In Montenegro soll ein Referendum endgültig über die Unabhängigkeit entscheiden.

Nur Schmuggel blüht

Die abgeschobenen Flüchtlinge „kehren“ somit in einen anderen Staat „zurück“, dessen politische und ökonomische Zukunft weiterhin ungewiss ist. Außerdem ist das Land zurzeit ohne gewählten Präsidenten. Am 9. Februar scheiterten die Wahlen zum zweiten Mal in Folge an zu niedriger Wahlbeteiligung. Das Amt übt bis zu den nächsten Wahlen Parlamentspräsident Filip Vujanovic aus. Zugleich ist er der Kandidat der regierenden „Demokratischen Partei der Sozialisten“ (DPS) von Ministerpräsident und (Ex-Präsident) Milo Djukanovic, der im Oktober die Parlamentswahlen gewonnen hatte.

Der ehemalige Milosevic-Gefolgsmann Djukanovic hatte sich während des Kosovo-Krieges als aufrechter Demokrat in Szene gesetzt und sich wegen seiner unerbittlichen Abrechnung mit alten kommunistischen Funktionären den Beinamen „Rasiermesser“ erworben. Doch der grassierenden Korruption im Staatsapparat konnte auch er nicht Einhalt gebieten. Außerdem geriet Djukanovic im vergangenen Jahr durch Vorwürfe unter Druck, er habe sich von der Mitte der 1990er Jahre bis 2000 im großen Stil am Zigarettenschmuggel der italienischen Mafia beteiligt. Das illegale Geschäft mit den Zigaretten ist eine der wenigen Branchen, die im Land der „Schwarzen Berge“ (Montenegro) florieren.

Darüber hinaus gehören die HeimkehrerInnen in dem serbisch-orthodox geprägten Land der muslimischen Minderheit an und sind daher vor Ressentiments und Diskriminierungen nicht gefeit. Ganz zu schweigen von dem Schockerlebnis für ihre Kinder, die in Luxemburg zur Schule gingen. Auf einem Foto der Asti-Delegation ist ein kleiner Junge zu sehen, der in einem Buch liest. Auf dem Titel des Buches steht „Wir entdecken die Burg Bourscheid“. Heimweh nach Luxemburg?

Stefan Kunzmann


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