MALEREI: Goodbye Cobra

Als 1949 Arbeiten der „Internationalen Front der experimentellen Künstler der Avantgarde“ im Stedelijk Museum in Amsterdam ausgestellt wurden, kam es zwischen Besuchern und Künstlern zu handfesten Auseinandersetzungen. Einige sahen in ihnen „verrückte Barbaren“, deren Arbeiten nichts mit Kunst zu tun hätten. Die „Het Vrije Volk“ befürchtete sogar, man müsse Rembrandts Nachtwache schleunigst in den Keller bringen.

Unter den Provokateuren waren damals auch die Künstler der Gruppe CoBrA, die trotz ihres nur dreijährigen Bestehens die Malerei nachhaltig beeinflussten. Sie erteilten mit ihrem Grundsatz „Ästhetik ist ein Tick der Zivilisation“ der Nachkriegskunst eine Absage und wollten den Expressionismus wiederbeleben. Dabei suchten sie Stilmittel unter anderem in der Malerei von Kindern und der vermeintlich naiven Kunst primitiver Naturvölker. Eines der Gründungsmitglieder dieser Gruppe war der 1922 in Lüttich geborene Niederländer Corneille, der heute zu den wichtigsten Nachkriegsmalern Europas gehört.

Zur Zeit zeigt die Galerie Schortgen in Luxemburg Arbeiten Corneilles mit einem Schwerpunkt auf den vergangenen zehn Jahren: Gemälde, Drucke und Plastiken. Technisch interessant sind dabei seine Terragraphien, eine Methode, die Corneille in Israel kennengelernt hat, bei der Sand in unterschiedlicher Stärke auf der Leinwand fixiert wird und aus einem Bild ein haptisches – also durch Tastsinn zu erkundendes – Erlebnis macht. Oder die Papierprägung durch die ein dem Motiv folgendes Relief entsteht, das Corneille anschließend farbig ausgestaltet hat.

Die Motive der gezeigten Stücke variieren dabei auf den ersten Blick nur in der Anordnung ihrer Elemente. Er lebte mit Vögeln, mit Katzen, mit Frauen – sie kehren immer wieder und sind für Corneille ein Ausdruck von Freiheit und Unabhängigkeit. Trotz oder gerade wegen der Naivität ihrer Darstellung, zusammen mit der brillanten Farbgebung vermitteln diese Arbeiten eine „karibische“ Lebensfreude und entfalten eine erotische Ausstrahlung. Dabei schwingt allerdings auch eine gehörige Portion Machismus mit. Die Galeristin Lydia Moens erzählt von einem Gespräch mit Corneille vor wenigen Jahren, bei dem er ihr gestand: „Wenn ich Frauen nicht mehr lieben kann, kann ich nicht mehr malen und kann nicht mehr leben.“

Auch wenn Corneille kaum mehr so provozieren kann und will, wie zu seiner wilden Zeit Ende der 40er Jahre, sollte man sich die lebensbejahende Energie, die noch in dem gezeigten Spätwerk steckt nicht entgehen lassen. Schon deshalb, weil dieser Artikel unerwartet auch zu einem Nachruf wurde. Corneille starb am vergangenen Sonntag, dem 5. September, und wurde am Donnerstag seinem Wunsch entsprechend in Auvers-sur-Oise beigesetzt, unweit des Grabes von Vincent van Gogh.

In der Galerie Schortgen, noch bis zum 15. September.


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