KLOUSCHTERGAART: Rote Beete gibt’s auch in Gelb

Dass sich Gemüse nicht auf das Dutzend Sorten reduziert, die uns im Supermarkt präsentiert werden, zeigt ein Spaziergang durch den hauptstädtischen „Klouschtergaart“. Hier lautet die Devise: Artenvielfalt.

Von der vielverzweigten Wildpflanze zur schön geraden Haferwurzel: Steve Schwartz, Gärtner des hauptstädtischen „Klouschtergaart“, erklärt die spannende Geschichte der Kulturpflanzen.

Ein spätsommerlicher Sonntagmorgen im Stadtgrund. Etwa zwanzig Wissbegierige haben sich auf Einladung von „Slowfood Luxembourg“ eingefunden und warten darauf, dass der Gemüsegärtner der Stadt Luxemburg, Steve Schwartz, das Tor zum „Klouschtergaart“ aufsperrt. Vom Wenzelspfad aus, der uns von der Abtei Neumünster über die Alzette zum Fuß des Bockfelsens geführt hat, sehen wir hinunter auf einen sonnenbeschienenen, von Mauern eingefassten Kräutergarten. Seine Beete sind in traditioneller Kreuzform angelegt und durch Buchsbaumhecken abgetrennt.

Die meisten Parzellen im Stadtgrund und in Clausen sind in Privatbesitz, diesen Garten hat die Stadt von der Familie Lentz angemietet. Der Name „Klouschtergaart“ verweist auf eine Verbindung mit den Klöstern des Viertels, belegt ist sie historisch aber nicht. Alteingesessene sprechen auch vom „Brauereisgaart“ oder „Lentzegaart“. Gärten gab es an den Felsen und Festungsmauern des Stadtgrunds schon seit Jahrhunderten. Aus gutem Grund, erklärt der Gärtner: Der Sandstein des Bockfelsens wird von morgens bis abends von der Sonne beschienen und erwärmt sich durch ihre Einstrahlung, so dass die Temperaturen hier im Schntt drei bis vier Grad höher liegen als sonstwo in der Stadt. Das kann im Sommer zum Nachteil werden, denn der sandige Boden kann sich auf den Terrassen auf über 45 Grad aufheizen. Dann wird die Wasserzufuhr zur Herausforderung. Früher bauten die Leute deshalb vor allem am Alzette-Ufer Gemüse an, während auf den Terrassen genügsamere Obststräucher gepflanzt wurden.

„Eigentlich wurde ich für den Bereich Landschaftsgartenbau eingestellt“, erzählt Steve Schwartz. Doch es sollte anders kommen: Als die Bundesgartenschau 2003 in Trier stattfand, war die Stadt Luxemburg durch ein Kooperationsprojekt eingebunden, und zwar mit dem Gemüsegarten „Klouschtergaart“. Das Projekt, das eigentlich nur temporär angelegt war, hatte so viel Erfolg, dass die Gemeinde beschloss, es weiterzuführen. Seither wurden hier neue Wege anglegt, Beete instandgesetzt, verfallenes Mauerwerk erneuert.

2003 gab es im hauptstädtischen „Service des Parcs“ nur einen einzigen Gärtner, der sich mit Gemüseanbau auskannte ? er übernahm den Klostergarten. Seit dessen Pensionierung 2005 ist Steve Schwarz für den Klostergarten zuständig. Er kümmert sich nicht nur mit Leidenschaft um die Pflege des Gartens, sondern vermittelt auch Schulklassen und anderen Interessierten auf Anfrage das Konzept des Gartens.

Den Lebenszyklus reproduzieren

Vom Gartentor aus gelangen wir zunächst in den Kräutergarten. Anfangs war er nur mit Heilkräutern bepflanzt, es stellte sich jedoch heraus, dass diese dem Klima nicht immer angepasst waren. Heute werden verstärkt Pflanzen gewählt, die tatsächlich in unseren Gegenden wachsen. Überragt wird dieser Teil des Gartens von einer Terrasse mit Weinreben. Davon wird tatsächlich auch Wein hergestellt. „Den ersten Preis bekommt er nicht, aber als Tischwein ist er ganz passabel,“ lautet das Urteil des Gärtners.

Unter einem Feigenbaum führen nun einige Stufen zum Gemüsegarten, der parallel zur Alzette angelegt ist. Möhrenblätter, Basilikum, Lauch, Spitzkohl leuchten uns in saftigem Grün entgegen. Dazwischen finden sich immer wieder „gebeemte“ Pflanzen, ausgeschossene Salatköpfe etwa, die längst über ihr eigentliches Erntestadium hinaus sind und nun Blüten treiben. Nachlässigkeit des Gärtners? Keineswegs. Steve Schwarz will damit vor allem den Kindern zeigen, wie am Anfang und am Ende des Lebenszyklus der Pflanze der Samen steht: „Die wissen oft nur, dass es den Samen in Tütchen zu kaufen gibt.“ Daneben will er die Leute aber auch für das Sammeln und Verwenden von Saatgut interessieren: „Bei uns sind diese Kenntnisse verloren gegangen, im Gegensatz zu anderen Kulturkreisen.“ Der Gärtner plädiert für das Menschenrecht auf Biodiversität. Durch den Einzug von Gentechnik und Hybridisierung und den damit verbundenen neuen Patentrechten auf Samen und Pflanzgut seien viele Menschen in ihrer Existenz gefährdet. Ihnen wird das Recht verweigert, von einer Pflanze Samen zu ernten für die nächste Kultur: „Die ganze Vielfalt, die wir heute beim Gemüse kennen, ist durch die Bauern und die Gärtner entstanden. Im Laboratorium nutzt man diese Kenntnisse aus, will sie aber nicht mehr mit anderen teilen.“

Hier im „Klouschtergaart“ findet man nicht nur die klassische Variante der Roten Beete, sondern auch eine gelbe, oder eine mit rot-weißen Kringeln. Am Beispiel der Haferwurzel zeigt Steve Schwartz, wie durch Auslese über viele Pflanzengenerationen hinweg, aus einer knorpeligen und vielverzweigten Wildpflanze eine schön gerade wachsende Kulturpflanze wird. Im „Klouschtergaart“ werden samenfeste Sorten verwendet, die im Prinzip immer wieder die gleichen Charakteristiken reproduzieren wie die Mutterpflanzen. Anders als Hybridpflanzen, die aus der Inzuchtlinie einer Gemüsesorte entstehen, bleiben sie auch über viele Generationen fruchtbar. Manchmal, wie beim Baumspinat, sammelt Steve Schwartz gar nicht erst das Saatgut, sondern wartet darauf, dass sich daraus erste Pflänzchen entwickeln, die er dann umpflanzt.

Genauso interessant wie der Erhalt sortenreiner Arten kann es aber sein, Pflanzen zu kreuzen. Bei Kürbissen etwa ist dies sehr einfach: Wer mehrere Arten nebeneinander anpflanzt und später die Samen sammelt, kann sich im nächsten Jahr von neuen „Modellen“ überraschen lassen: „Aber aufgepasst,“ warnt Steve Schwartz: „Es dürfen keine Zierkürbisse in der Nähe angepflanzt werden. Die kreuzen sich nämlich auch leicht ein, sind jedoch bitter und sogar leicht giftig.“

Artenvielfalt erhalten

Zwischen den gängigeren Gemüsearten wachsen im „Klouschter-gaart“ auch Seltenheiten oder in Vergessenheit geratene Pflanzen: neben der Haferwurzel die Zuckerwurzel, oder spinatähnliche Pflanzen wie die Gartenmelde und der „Gute Heinrich“. Dieser war früher auch in Luxemburgs Arme-Leute-Gärten die letzte Rettung, wenn das Gartenjahr zu Ende war: „Wenn die Erntevorräte im späten Winter verbraucht waren, haben viele Leute nur durch Pflanzen wie diese überlebt.“ Andere Pflanzen sind Delikatessen: wie der Meerkohl, dessen Geschmack an Spargel erinnert.

Weshalb sind diese Pflanzen verschwunden? „Es ist nicht so, dass diese Sorten weniger ertragreich wären. Aber für die Industrie gilt: Je weniger Vielfalt, umso einfacher die Produktion. Es gilt, einen möglichst großen Teil der Produktion maschinell zu kontrollieren und abzuwickeln. Wir haben eigentlich eine große Verantwortung, dafür zu sorgen, dass solche Pflanzen sich weiter vemehren.“

Nicht nur die Produktion, auch der Geschmack hat sich geändert. Die Zuckerwurzel illustriert den Wandel, der in unserer Kultur gegenüber dem süßen Geschmack in Lebensmitteln stattgefunden hat. Früher, als es noch keinen raffinierten Zucker zu kaufen gab, sei etwa die süße Zuckerwurzel, wie auch andere süße Gemüsearten, sehr beliebt gewesen, erklärt der Gemüsegärtner: „Es ist schon paradox: In unserer heutigen Industriegesellschaft ist alles süß, aber ein süßes Gemüse schmeckt vielen Leuten nicht.“

Wir steigen nun die steilen, schmalen Stiege zu den Terrassen hinauf. Dort erwartet uns nicht nur eine herrliche Sicht über das Alzettetal, sondern auch eine Auswahl von verschiedenen Bohnenpflanzen. Bohnen sind, was die Artenreinheit angeht, pflegeleicht. Auch wenn sie nebeneinander angebaut werden, entstehen selten Kreuzungen: Gelbe Stangenbohnen bleiben gelb, grüne grün usw. Insgesamt neunzehn Sorten Bohnen hat Steve Schwartz dieses Jahr privat angebaut, davon stehen im „Klouschtergaart“ sechs oder sieben. Sojabohnen sind auch dabei. „Wenn es nach der Industrie ginge, würden wohl nur noch die angebaut.“

Was geschieht mit der Ernte des „Klouschtergaart“? Ein Teil, bedauert Schwartz, wird einfach geklaut. Ideen wie jene, Ernten an Kinderkrippen oder Restaurants abzugeben, wurden bislang nicht verwirklicht. „Dafür sind die Ernten zu klein und zu wenig planbar.“ Oft wird in Großküchen auch lieber auf Fertigprodukte zurückgegriffen. Vorrangig geht es beim „Klouschtergaart“ nicht um die Produktion, sondern darum, Pflanzenreichtum aufzuzeigen und darauf aufmerksam zu machen, wie wichtig die Artenvielfalt ist. Für die Slowfood-Gäste gibt es allerdings eine Ausnahme: Die Köchin des „Naturmusee“ hat aus dem reichen Angebot ein herrliches Mittagessen gezaubert.


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