FOTOGRAFIE: Insight from outside?

Was kann ein Porträt tatsächlich abbilden? Wie wahr ist unsere Wahrnehmung? Die Foto-Ausstellung „Insight“ bietet einen konkreten Zugang zu abstrakten Fragen.

Wie viel versteckt ein Porträt von einer Person und wie viel fügt es hinzu? Wie viel „innen“ ist „außen“ und was lässt sich davon bildlich festhalten? Fragen, die die drei Künstler Jean Jassins, Tom Lucas und Marc Wilwert in ihrer Fotoporträt-Ausstellung „Insight“ aufgreifen ? das Erfreuliche: ohne dabei in die oft abgegriffene Identitätsdiskussion zu verfallen. Denn sie befragen weniger ihr Motiv als das Genre der Fotografie selbst nach dem Prozess der Identitätskonstruktion.

So setzt die Ausstellung, die aktuell in der Galerie Artgentik zu sehen ist, spürbar Prioritäten: An erster Stelle steht – zumindest für Lucas und Wilwert – die Reflexion über die Subjektivität der Wahrnehmung. Dabei muss der Besucher keine ausgefeilten Kunstkenntnisse aus verstaubten Winkeln der Erinnerung hervorholen, um einen Zugang zu den Bildern zu finden, sondern kann sich ganz frei auf einen Dialog mit ihnen einlassen. Die Porträtblicke begegnen ihm direkt und eindringlich und fordern geradezu zum Mutmaßen und Hinterfragen auf.

Das von Tom Lucas realisierte Porträt beispielsweise, fixiert den Betrachter gleich in achtfacher Anfertigung, von denen jede eine minimal veränderte Überarbeitung der ursprünglichen Fotografie ist. Der Blick der porträtierten kurzhaarigen Frau wirkt fast provokant, wenn der Betrachter akribisch versucht, die Nuancen zwischen den identisch erscheinenden Bildern zu entdecken. Obwohl der Gesichtsausdruck stets das Gemisch aus Verführung, Schüchternheit und Traurigkeit bleibt, scheint sich doch in jedem der Porträts etwas zu verändern, denn je nach Belichtung und Bearbeitung der Haut, tritt einer der Züge einen Hauch mehr zum Vorschein. Unmöglich für den Betrachter, den „einzig wahren“ Ausdruck zu entlarven und so illus-triert auch der dem Bestseller entliehene Titel „Wer bin ich und wenn ja, wie viele?“ genau das Rätsel, das dem Betrachter gestellt wird. Zugegebenermaßen, eine durchaus aktuelle Frage angesichts des Zeitalters der konstruierten Identitäten im web2.0 ?

Marc Wilwert greift in seinem Werk „Anges“ auf ein geradezu vom Verschwinden bedrohtes Darstellungsmittel zurück: das Fotoalbum. Eine junge, blonde Frau, mit klaren blauen Augen und einem ruhigen, undurchdringlichen Gesichtsausdruck – so die spontane Wirkung des Fotos auf der ersten Seite. Oder waren da nicht doch Züge der Zerbrechlichkeit und Depression? Wilwert zielt auf genau diesen Reflex des Zögerns des Betrachters, wenn er mit wenigen Worten den anonymen Blick verändert: „? cette dose de médicaments a failli lui coûter la vie“ ist dem Foto beigefügt. Wie verändert sich die Art des Betrachtens, wenn das Porträt mit einem Einblick in das Leben der Person versehen wird und plötzlich aus der Anonymität heraustritt – das ist die Frage, die Wilwert Foto für Foto in seinem Album stellt.

Während Lucas und Wilwert vor allem durch ihre Idee bestechen, fügt ihr früherer Lehrmeister, Jean Jassins, der Ausstellung eine gute Portion „künstlerische Ausstrahlungskraft“ hinzu. Seine großformatigen Porträts, die er mit einer speziellen Gummidrucktechnik bearbeitet, sind Ausdruck des paradoxen Versuchs, die absolute aber vergängliche Schönheit festzuhalten und befragen somit ebenfalls die Fotokunst selbst. Nicht mehr der schlichte Blick in die Kamera zählt, sondern die inszenierten Posen. In jedem der Werke wird ein Teil eines Gesichtes oder Körpers durch die Arbeit mit Licht und Schatten hervorgehoben und lässt den Betrachter in einem ungewissen Eindruck zwischen positiven und negativen Gefühlen zurück. Der Zuschauer versucht nicht nur den sich in der Dunkelheit verlaufenden Körper, sondern auch die gezeichneten Reflexionen über die Kunst des Porträtierens weiterzudenken.

Erwarten kann man also ein gelungenes Experiment und Gedankenspiel über Dimensionen und Grenzen der Porträtfotografie, das genau dem kleinen dynamischen Raum des artgentik entspricht.

Die Ausstellung ist noch bis zum 23. Oktober 2010 zu sehen.


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