EUROPÄISCHE UNION: Gemeinsam sind sie unausstehlich

Kanzlerin Angela Merkel und Präsident Nicolas Sarkozy haben nicht nur in den Reihen der Regierung Luxemburgs für Ärger gesorgt. Auf dem EU-Gipfel in Brüssel konnten sie zum Leidwesen vieler Europäer durchsetzen, dass der Lissaboner Vertrag geändert wird. Härtere Sanktionen gegen „Defizitsünder“ sind vorgesehen.

Längst nicht für alle ein Traumpaar: Bundeskanzlerin Merkel und Staatspräsident Sarkozy, hier karikiert bei einer Aktion der NGO Oxfam am Rande des G20-Gipfels im Juni in Toronto.

Es gibt viele Möglichkeiten, sich in Europa unbeliebt zu machen. Der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy etwa hetzt gerne gegen Minderheiten und zog damit den Zorn von Viviane Reding und ihren Kollegen in der EU-Kommission auf sich. Die ansonsten so konziliante deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel bläst hingegen gerne die Backen auf, wenn es um den Euro geht, und macht sich damit wenig Freunde unter ihren Amtskollegen. Dass beide gemeinsam erst recht unausstehlich sind, haben sie vergangene Woche auf dem EU-Gipfel demonstriert.

Bereits Mitte Oktober hatten sich Merkel und Sarkozy bei einem Treffen in dem französischen Badeort Deauville auf eine gemeinsame Strategie für die Verhandlungen in Brüssel geeinigt. Noch vor wenigen Monaten, während der Krise wegen des griechischen Schuldendesasters, hatte Sarkozy versucht, sich als Gegenspieler Merkels in Europa zu profilieren, und die deutsche Haltung heftig kritisiert. Mittlerweile verfolgt auch der französische Präsident einen rigiden Kurs. Spätestens seit das Land wegen seiner steigenden Schulden ebenfalls das Misstrauen der Rating-Agenturen erregt hat, will auch er kürzen und sparen, wo es geht.

In dem glamourösen Badeort verkündete Merkel einige extreme Forderungen, die in Europa für Entsetzen sorgten. Ihrer Meinung nach sollten Ländern, die die vereinbarte Defizitgrenze überschreiten, das Stimmrecht entzogen werden – eine ultimative Drohung, denn faktisch würden die betroffenen Regierungen damit entmündigt. Griechenland und andere potenzielle Pleitekandidaten wie Portugal oder Irland hätten dann kaum noch Einfluss auf die Wirtschafts- und Finanzpolitik der EU, von der sie in hohem Maße abhängen. Zugleich verlangte Merkel, dass die Sanktionen automatisch erfolgen, sobald ein Mitgliedsland die Stabilitätskriterien verletzt. Dieser Mechanismus sollte außerdem nachträglich in die Lissaboner Verträge aufgenommen werden. Die Änderungen sollen in Kraft treten, wenn im Mai 2013 das „Rettungspaket“ der EU ausläuft. 750 Milliarden Euro waren im Frühjahr bereitgestellt worden, um zahlungsunfähige Euro-Staaten vor der Insolvenz zu retten.

Doch überraschend an diesen Forderungen war weniger ihr Inhalt, schließlich gehören solche Ideen, zu denen auch der Rauswurf bankrotter Mitgliedsstaaten gehört, mittlerweile zum Standardrepertoire deutscher Europa-Politik. Merkels Coup bestand vielmehr darin, den französischen Präsidenten für ihre Pläne zu gewinnen. So stimmte Sarkozy in Deauville dem deutschen Wunsch nach Vertragsänderungen und einem Stimmrechtsentzug für „Defizitsünder“ zu, während die Bundesregierung im Gegenzug auf automatische Sanktionen bei einer Verletzung des Stabilitätspakts verzichtete. Ohne die Unterstützung ihres vermeintlichen Gegenspielers hätte sich Merkel die Fahrt nach Brüssel sparen können. Um solche weitgehenden Ansprüche durchzusetzen, reicht es nicht, dass kleinere Mitgliedsstaaten wie Finnland, Estland oder die Niederlande die deutsche Politik mittragen. Nur zusammen mit Frankreich konnte Merkel den notwendigen Druck erzeugen.

Es ist gut möglich, dass durch die gegen-wärtige Politik die wirtschaftliche Teilung Europas dauerhaft festgeschrieben wird.

Die Absprache zwischen dem „lieben Nicolas“ und der „chère Angela“ provozierte erwartungsgemäß heftige Kritik, insbesondere, weil sich die restlichen EU-Regierungschefs übergangen fühlten. „Das ist schlicht schlechter Stil“, wetterte Ministerpräsident Jean-Claude Juncker stellvertretend für viele seiner Amtskollegen. Insbesondere die kleineren Länder fürchteten, dass sie im Zweifelsfall entmachtet werden, während es niemand wagen werde, Deutschland oder Frankreich das Stimmrecht zu entziehen.

„Ich habe ein Problem damit, dass man mit dem dicken Hammer vorgeht“, ergänzte Außenminister Jean Asselborn. Deutschland und Frankreich verkündeten, „dass der Vertrag geändert wird, und ihr müsst gehorchen. Wenn ihr es nicht macht, dann steigen wir aus, dann könnt ihr sehen, was mit dem Euro geschieht.“ Von deutscher Hegemonie oder von einem „Diktat“ schrieben die Zeitungen in ganz Europa. Angesichts der heftigen Reaktionen mäßigte Merkel zwar ihre Forderungen, zumal fast alle Mitgliedsstaaten die Aussetzung des Stimmrechts rigoros ablehnten. „Das ist nicht realistisch, das ist nicht akzeptabel“, sagte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso beim Gipfel. „Das Thema liegt auf der langen Bank“, meinte Juncker. Damit war die Diskussion erledigt.

In einem anderen wesentlichen Punkt konnte sich Merkel jedoch in Brüssel durchsetzen. Die 27 EU-Regierungschefs stimmten zu, dass der Vertrag von Lissabon geändert wird, um mögliche Sanktionen gegen Defizitländer festzuschreiben. Wie diese Veränderungen genau aussehen sollen, ist noch ungewiss. Herman Van Rompuy, der Präsident des Europäischen Rats, soll bis zum nächsten Gipfel im Dezember zusammen mit der EU-Kommission dafür konkrete Vorschläge ausarbeiten. Ihm soll dabei das Kunststück gelingen, die Änderungen so zu formulieren, dass neue Debatten oder gar Referenden über den Vertrag vermieden werden können. Außerdem werden bei künftigen Rettungsaktionen private Investoren stärker an den Kosten beteiligt. Damit sollen die Steuerzahler entlastet werden, die zum Beispiel einen Großteil der Hilfen für Griechenland tragen mussten.

Obwohl sie auf einige ihrer Forderungen verzichtete, schien Merkel nach dem Gipfel dennoch sehr zufrieden zu sein. Die Beschlüsse seien ein „Quantensprung, um den Euro stabil zu halten“. Auch Sarkozy erklärte, man habe einen „essenziellen Fortschritt“ erzielt, um künftige Krisen zu vermeiden.

Merkels gute Laune legt die Vermutung nahe, dass die Bundeskanzlerin vorab maximale Forderungen formulierte, um am Ende das eigentlich erwünschte Ergebnis zu erzielen. Schließlich sind die Vertragsänderungen für sie besonders wichtig, um die Vorgaben des deutschen Bundesverfassungsgerichts einhalten zu können. Nur so konnte sie sichergehen, dass die Richter künftige Milliardenhilfen für insolvente Staaten nicht als rechtswidrig einstufen. Denn das hätte sicherlich das Ende von Merkels Kanzlerschaft bedeutet.

Welchen Sinn die Beschlüsse tatsächlich ergeben, ist indes zumindest fraglich. So warnte Jean-Claude Trichet, der Präsident der Europäischen Zentralbank, dass Investoren künftig höhere Zinsen von Ländern wie Griechenland oder Irland verlangen könnten, die ohnehin um das Vertrauen der Märkte kämpfen müssen. Auch die harten Maßnahmen gegen potenzielle „Defizitsünder“ könnten sich als fatal erweisen. Großbritannien hatte beispielsweise jahrelang eine rigide Haushaltspolitik betrieben und hätte vermutlich jeden noch so scharfen Sanktionsmechanismus unterschrieben. Wegen der fundamentalen Bankenkrise musste die britische Regierung jedoch alle guten Vorsätze vergessen und Schulden in Rekordhöhe aufnehmen, sonst wäre die Wirtschaft des Landes kollabiert. Ähnliches gilt für Irland oder Spanien, und ein solcher Kollaps wäre sicherlich auch nicht im Sinne der deutschen Exportindustrie gewesen.

Vor allem aber wurde auf dem Gipfeltreffen in Brüssel ein Prozess weitergeführt, der sich seit der Finanz- und Währungskrise deutlich beschleunigt hat. Eine der wesentlichen Ursachen für die Krise war der große Unterschied bei der Handels- und Lohnstruktur zwischen den Mitgliedsländern, die zu einem extremen wirtschaftlichen Gefälle führte. Anstatt diesen Unterschied auszugleichen, fährt insbesondere die Bundesregierung fort, die Verlierer dieser Entwicklung zu bestrafen und die entsprechenden Sanktionen in den EU-Verträgen festzuschreiben.

Diese Ungleichheit hat in den vergangenen Monaten sogar noch zugenommen. Während insbesondere Deutschland wegen seiner immensen Exportquote einen wirtschaftlichen Aufschwung feiert, befinden sich die südeuropäischen Länder in einer tiefen Rezession. Eine Dynamik, die sich selbst verstärkt. So berichtete die Bundesregierung vergangene Woche, dass sie wegen der guten Wirtschaftslage deutlich weniger neue Schulden aufnehmen muss als gedacht. Voraussichtlich sind es nur noch 44 Milliarden Euro, knapp die Hälfte des ursprünglich vorgesehenen Betrages.

Die Kombination aus Exporterfolg und Schuldentilgung macht Deutschland wiederum für Anleger besonders attraktiv. Sie ziehen ihr Geld aus den unsicheren Defizitländern ab, zu denen mittlerweile auch die USA zählen, um es im wirtschaftlich stabilsten EU-Land anzulegen. Daher sinken die Zinsen für deutsche Staatsanleihen, während beispielsweise für Portugal neue Kredite immer teuerer werden. Dass sich unter diesen Voraussetzungen hochverschuldete EU-Staaten wie Griechenland oder Irland wieder sanieren können, ist unwahrscheinlich. Gut möglich ist also, dass die wirtschaftliche Teilung Europas dauerhaft festgeschrieben wird.

Dies gilt auch für das politische System. Während sich die Europäische Union in den vergangenen Jahrzehnten immerhin den Anschein gab, ein Kreis gleichberechtigter Partner zu sein, nimmt nun eine hierarchische Entscheidungsstruktur Gestalt an, mit Deutschland an der Spitze und Frankreich dicht dahinter. Dazu passt, dass sich Merkel und Sarkozy einen schwachen Ratspräsidenten und mit Catherine Ashton eine schwache Chefdiplomatin gewählt haben. Die Euro-Krise hat die beiden Regierungschefs in dem Glauben bestätigt, dass es nicht mehr unbedingt auf die Union ankommt, sondern nur auf deren stärkste Teile. Ihre Beliebtheit in Europa steigern sie damit sicher nicht.

Anton Landgraf ist Publizist und lebt in Berlin.


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