Modalsplit: Carsharing als Steigbügelhalter

Luxemburg hat sich ein großes Ziel gesteckt: mindestens ein Viertel der Passagierbewegungen soll bis 2020 auf den öffentlichen Verkehr umgelenkt werden. Das Carsharing-Projekt der Stadt Luxemburg könnte indirekt hierzu beitragen.

Carsharing: Kundenkarte statt eigenem Auto. Das cambio-Modell – hier zum Beispiel eine Mietstation in Bremen – könnte auch für Luxemburg interessant sein.

Ein Anruf aus der Vorschule: Die Kleine, die heute Morgen noch quicklebendig war, hört nicht auf zu weinen, hat anscheinend beißende Ohrenschmerzen. Der erste Gedanke: ich bin heute mit dem Zug und im Modus der so genannten „sanften Mobilität“, nämlich zu Fuß, zur Arbeit gekommen – wann fährt der nächste Zug zurück? Wie befürchtet: erst in 54 Minuten, und dann sind noch 5 Minuten zu Fuß zurückzulegen! Und wenn ich da bin, wie kommen wir dann zum Arzt? Eltern kennen solche Szenarien und den dazugehörigen Stress. Ein Auto unkompliziert für kurze Zeit zu mieten, wäre dafür die Lösung. Und es gibt sie bereits, sie heißt „Carsharing“!

Doch was genau ist Carsharing? Grob vereinfacht handelt es sich um einen Dienst, der es dem Kunden erlaubt, Autos für Minuten- oder Kilometerpauschalen zu mieten. Im Grunde ist es ein Taxi ohne Fahrer oder ein Mietwagen der innerhalb von Minuten zu erreichen ist. Einsteigen, fahren, abstellen – ohne Papierkram und zeitaufwendige Schlüsselrückgabe.

Genau so stellt sich auch Thomas Friederich, Gründer der Start-up Citymov` (www.citymov.lu), das Konzept seiner Firma vor. Die noch junge, aus der „1, 2, 3 GO“-Intiative hervorgegangene Firma setzt auf eine Kombination von Carsharing und Elektroauto. Ihr Konzept basiert auf dem Pilotprojekt CitéVu der südostfranzösischen Stadt Antibes und sieht vor, nur einen bestimmten Elektro-Fahrzeugtyp einzusetzen: den in Luxemburg zugelassenen „Zero“ der Marke Tazzari. Nach dem Konzept der Firma wird das zu erfassende Gebiet in Areale von zwei mal zwei Kilometer eingeteilt. In diesen sollen jeweils 15 Fahrzeuge im öffentlichen Raum abgestellt werden. Der Kunde lokalisiert das nächste Fahrzeug per Handy und benützt seine Kundenkarte, um es aufzuschließen. Etwa zehn Euro monatlich und 25 Cents pro Minute soll der Spaß kosten. „Firmen und Behörden könnten einen wesentlichen Teil unserer Kundschaft ausmachen. Fuhrparks mit persönlich zugeteilten Firmenwagen ließen sich dadurch auf ein Fünftel reduzieren“, so Friederich.

Das klingt einleuchtend, doch die Verantwortlichen auf nationaler und kommunaler Ebene sind mit globaleren Problemen konfrontiert, nämlich dem schnell wachsenden Verkehrsaufkommen und der Forderung, dass die Planungen den Ansprüchen an Nachhaltigkeit zu genügen haben. Grundsätzlich zielen daher alle Anstrengungen auf den so genannten Modalsplit, das heißt das Verhältnis zwischen Personenbewegungen mit öffentlichem und solchen mit motorisiertem Individualverkehr. 25 Prozent zu 75 Prozent soll es im Jahr 2020 landesweit betragen. Für Claude Wiseler, Minister für Nachhaltigkeit und Infrastrukturen, steht kurzfristig jedoch die Kapazitätsfrage an oberster Stelle: „Vor allem was die Verbindungen mit einem hohen Aufkommen an Grenzgängern betrifft, bleibt noch viel zu tun. So steht der Ausbau der Eisenbahnstrecke nach Bettemburg und die kurzfristige Anschaffung von weiteren zehn doppelstöckigen Wagons mit etwa 3.800 Sitzplätzen auf der Tagesordnung. Auch wird der Tram, die auf einer Strecke mit sehr hohem Verkehrsaufkommen eine entsprechende Transportleistung haben wird, große Bedeutung zukommen.“ Auch das Carsharing ist für den Minister interessant, jedoch nur als Ergänzung zum öffentlichen Transport. Die Entwicklungen im Ausland werden aufmerksam verfolgt, an einem konkreten nationalen Projekt wird bisher aber noch nicht gearbeitet.

Für Alex Kies, stellvertretenden Direktor für Strategische Planung im „Verkéiersverbond“, ist Carsharing so zu gestalten, dass es die Schwächen des öffentlichen Verkehrs ausgleicht. Das Hauptaugenmerk gilt hier den Firmenfahrzeugen. Ein auf größere Firmen zugeschnittenes Carsharing-Angebot könnte berufliche und sporadische private Fahrten der Mitarbeiter abdecken. Im öffentlichen Raum müsste ein äquivalentes Angebot für kleinere Firmen und Privatpersonen vorgesehen werden. Der Einfluss von Carsharing auf das stets komplexer werdende Parkraummanagement bedarf einer genauen Analyse. Unbedingt vermieden werden soll die Benutzung der Carsharing-Autos für überwiegend kurze innerstädtische Bewegungen. „Wenn wir z.B. am Bahnhof und in der Oberstadt jeweils 20 Parkplätze für Carsharing vorsehen und die Benutzer die ?Avenue` damit auf und ab fahren, haben wir wenig zur Verkehrsverbesserung beigetragen“, so Kies.

Velo, Bus, Tram, Carsharing

François Bausch, der für Mobilität und Öffentlichen Verkehr zuständige Schöffe der Stadt Luxemburg, sieht es ähnlich. Es geht ihm nicht darum, das Auto und den Individualverkehr zu stigmatisieren, sondern vielmehr, sie gezielter einzusetzen und eben dorthin zu verlagern, wo es sinnvoll ist. Bauschs Strategie lässt sich etwa so zusammenfassen: Fortbewegung in der Stadt geschieht in der Zukunft zu Fuß, mit dem Fahrrad, dem Bus oder – in Zukunft – der Tram. Mit dem Auto also nur wenn nötig, und dann vorzugsweise auf dem Weg des Carsharing.

Mit dieser Zielsetzung wurde das Busnetz stark modernisiert und das Veloh`-Projekt in die Wege geleitet, das geholfen hat, den Fahrradanteil in der Stadt von weniger als einem Prozent im Jahr 2005 auf fast 4 Prozent zu steigern. „Ein unbestreitbarer Erfolg“, so Bausch gegenüber der woxx. „Längerfristiges Ziel ist es, bis auf zehn Prozent zu kommen. Die zukünftigen Förderungsmaßnahmen für das Fahrrad reichen von der Kennzeichnung von Bussen, die für den Fahrradtransport tauglich sind, bis zur Beseitigung einiger der speziellen topographischen Hindernisse der Stadt. Die hierzu geplanten Bauvorhaben umfassen u. a. die Brücke zwischen Vallée de la Pétrusse und Hollerich, den vorgesehenen Aufzug zwischen Pfaffenthal und dem Park Pescatore und die Brücken zwischen Cents und Weimershof und Kirchberg sowie zwischen Cents und Hamm. Mit ihrer Realisierung würde aus einer Sandsteinhügellandschaft ein Gebilde aus zusammenhängenden Ebenen entstehen, das für Radfahrer und Fußgänger leicht zu durchqueren ist.“ 

Für Bausch soll Carsharing also nicht wie der Veloh`-Dienst ausgelegt sein und eben keinen Anreiz bieten, kurze Strecken statt zu Fuß oder mit dem Fahrrad doch wieder mit dem Auto zurückzulegen. Es ist also etwas anderes als z. B. das auf Autos der Marke „Smart“ basierende Car2Go Projekt (www.car2go.com), das seit 2007 flächendeckend in Ulm läuft. Für die Stadt Luxemburg wird eher eine Lösung ähnlich dem Projekt Cambio (www.cambio-carsharing.de) angestrebt, das eine Flotte von verschiedenen Fahrzeugen, vom Kleinwagen bis zum Kombi, bereitstellt.

Das geplante System soll als Ergänzung zum Bahn-, Tram- und Busangebot fungieren und richtet sich insbesondere an Personen, die keinen Wagen besitzen, damit im allgemeinen gut zurecht kommen und nur sporadisch ein Auto benötigen. Es geht im Wesentlichen darum, eine Alternativlösung für einen besonderen Typ von Verkehrsteilnehmer anzubieten: Pendler, die ihr Auto für die Fahrt zu Arbeit benötigen, es im öffentlichen Raum abstellen und abends wieder nach Hause fahren. Oder solche, die, obwohl über einen guten Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln verfügend, doch das Auto mit zur Arbeit nehmen, damit sie im Fall eines unvorhergesehenen Ereignisses von ihm Gebrauch machen können.

Die Stadt Luxemburg will eine Bedarfsanalyse erstellen lassen und gibt sich Firmen gegenüber kooperationsbereit, die einen nützlichen Beitrag zu dem geplanten Projekt leisten könnten. Rückenwind bekommt die Initiative durch Minister Wiselers erklärte Bereitschaft, das geplante Pilotprojekt der Stadt Luxemburg in jeder Hinsicht zu unterstützen. „Zuerst soll mittels eines kommunalen Pilotprojekts herausgefunden werden, ob, und falls ja, unter welchen Rahmenbedingungen Carsharing für Luxemburg auf nationaler Ebene sinnvoll sein kann. Naturgemäß bietet sich hier die Stadt Luxemburg als Vorreiter an.“ so der Minister.

Durch konkrete Vorteile, z. B. für Carsharing-Benutzer reservierte Parkplätze, könnte die Attraktivität erhöht werden. Kritiker bemängeln, dass das Parkproblem der Stadt so noch verschärft werden würde. Möglicherweise greift diese Kritik aber zu kurz, insofern jedes neue System kurzfristig Schwierigkeiten erzeugt, die sich später überwinden lassen. Erfolgreiche Projekte im Ausland beweisen, dass Carsharing in der Tat den globalen Autofuhrpark und somit auch den Stationnierbedarf reduziert und nicht erhöht. So waren laut Bausch zum Beispiel in Luzern viele Paare mit Kindern dank Carsharing bereit, eines ihrer zwei Autos aufzugeben. Das zweite war eh nur sporadisch genutzt worden.

Elektromobilität kein Muss

Auch wenn die Nützlichkeit der Sache so evident ist, dass die Idee fast schon trivial erscheint, wird Carsharing mittelfristig wahrscheinlich doch nur für vereinzelte größere Gemeinden interessant werden können. So zeigt der größte vor fast zehn Jahren in den USA gegründete Carsharing-Anbieter, dass die Wirtschaftlichkeit sich nicht ohne weiteres einstellt. Trotz nicht weniger als 400.000 Kunden in 50 Städten, einem Umsatz von 130 Millionen US$ und fast 30 Prozent Wachstum machte Zipcar (www.zipcar.com) im Krisenjahr 2009 etwa sechs Millionen Verlust. Neben der Kundenakzeptanz und der Ökobilanz wird also auch die Gewinn- und Verlustrechnung die Diskussion wesentlich mitbestimmen. Für Alex Kies besteht daher die planerische Kunst gerade darin, Mobilität, Ökologie und Wirtschaftlichkeit auf einen Nenner zu bringen.

Da Carsharing vor allem kurze Strecken bedienen soll, könnte das Elektroauto sich als idealer Kandidat erweisen. In Luxemburg sind zugelassene Elektroautos derzeit jedoch noch Mangelware. Wenn Bausch mit seiner Auffassung recht hat, dass die Fahrzeugflotten heterogen sein müssen, wird man mittelfristig nicht ohne Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor auskommen. Auch in Wiselers Ministerium werden zurzeit – unter anderem mit dem Centre de Recherche publique Henri-Tudor – Diskussionen über die Elektromobilität und ihre Förderung geführt. Der CRP hat neulich zusammen mit Enovos eine Diskussionsplattform zur Elektromobilität ins Leben gerufen (www.elektromobiliteit.lu). Es gibt Überlegungen, regenerative Energien, wie Photovoltaik oder Windenergie, in einen funktionellen Zusammenhang mit den Elektroautos zu bringen. Und zwar, indem die abgestellten Elektroautos als Speichermedium für die produzierte Energie genutzt werden. Anders als Uran, Öl, Erdgas oder Kohle lässt sich Elektroenergie nicht besonders gut speichern, und die Verwendung der Lithiumbatterien, die gegenwärtig den höchsten Wirkungsgrad besitzen, ist außer durch die absehbare Materialknappheit auch durch Wartungsprobleme beeinträchtigt.

Doch Minister Wiseler ist überzeugt, dass die Emissionsfreiheit der Elektrofahrzeuge mittelfristig eindeutig große Vorteile mit sich bringt. „Ich bin nicht bereit, mir das Potenzial der Elektromobilität zerreden zu lassen, nur weil nicht alle Bedenken heute schon restlos ausgeräumt werden können“, macht er klar: „Im Bereich der Nachhaltigkeit und des Transports gibt es kein Thema, bei dem alle möglichen Probleme von Anfang an restlos geklärt werden könnten“. Doch Stillstand sei keine Option.

Es scheint also Bewegung in die Diskussionen des Carsharing und der Elektromobiltät gekommen zu sein. Zu hoffen bleibt nur, dass die Vielfalt der möglichen Akteure sich positiv auf die dringend benötigten Konzepte und Technologien auswirkt.


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