GOOGLE-STREET-VIEW: Durchblick

„Jeder will glotzen, aber niemand will beglotzt werden“, kommentierte ein Blogger das Google-Street-View-Dilemma. Der Präsident der Nationalen Datenschutzkommission, Gérard Lommel, erläuterte der woxx, was er dazu meint und wie er den Datenschutz im Allgemeinen sieht.

Zur Person:
Nach kurzer Tätigkeit als Anwalt, arbeitete Gérard Lommel mehrere Jahre bei der Staatsanwaltschaft Luxemburg bevor er als Rechtsberater in der Privatwirtschaft tätig war. Seit ihrer Gründung im November 2002 steht er der Datenschutzkommission (CNPD) als Präsident vor und vertritt Luxemburg in der Arbeitsgruppe Datenschutz bei der EU Kommission sowie beim Europarat.

woxx: Wie ist die frappierende Unstimmigkeit zu erklären, dass Sie auf Ihrer Internetseite einen Musterbrief zur Beantragung der Pixelung von „Street View“-Hausansichten noch vor deren Veröffentlichung anbieten – und andererseits das kalifornische Internetunternehmen dieses Einspruchsrecht in Frage stellt?

Gérard Lommel: Am Freitag hatte die nationale Datenschutzbehörde die Entscheidung getroffen, das Street-View-Auto so lange zu stoppen, bis feststeht, dass Google das Widerspruchsrecht respektiert. Hier geht es um Artikel 30 des Datenschutzgesetzes. Im Grunde kann man sich nicht dagegen wehren, dass das eigene Haus fotografiert wird, denn es ist Teil des öffentlichen Raums. Relevant ist hier vor allem die Frage, was mit einer Aufnahme geschieht. Wenn jemand sie millionenfach ins Internet stellt, dann wird das Recht des Eigentümers tangiert, und es besteht ein Widerspruchsrecht. Wir hatten ursprünglich Google grünes Licht gegeben, nachdem wir das Auto hinsichtlich der Nutzung von persönlichen WIFI-Daten kontrolliert und erneut auf die Bedingung verwiesen hatten, die dem Unternehmen schon vor einem Jahr mitgeteilt worden war: nämlich dass das Datenschutzgesetz ein allgemeines Widerspruchsrecht vorsieht. Google hat jedoch in der vorigen Woche Kläger eher entmutigt, im Vorfeld Widerspruch gegen die Darstellung ihres Hauses im Internet einzulegen. Begründet wurde dies mit der praktischen Schwierigkeit der Identifizierung von Häusern im Internet: Es sei einfacher, es dem Benutzer anheimzustellen, ob er sein Haus, nachdem die entsprechenden Fotos online gestellt wurden, einfach per Mausklick löschen will oder nicht. Ein Haus nur auf der Grundlage einer angegebenen Adresse im Vorfeld zu lokalisieren und aus dem Netz zu entfernen, sei weit schwieriger, behauptet Google.

Aber welche Lösung bevorzugt die Datenschutzkommission?

Die nationale Datenschutzkommission hatte vor einem Jahr auf ihrer Internetseite einen Musterbrief bereitgestellt, mit dem Bürger gegen die Darstellung ihrer Immobilien im Internet Widerspruch einlegen konnten. Das heißt, wir haben stets auf ein allgemeines Widerspruchsrecht bestanden. Und nicht auf dem Verfahren, wie es in Deutschland praktiziert wurde. Hier wurden von Google auf einer Internetseite Raster vorgegeben, in die der Beschwerdeführer Angaben zum Bild seiner Immobile eintragen konnte, das daraufhin gelöscht wurde. Wenn also Google heute sagen kann, dass sie in Luxemburg nicht das gleiche Verfahren angewendet wird wie in Deutschland, dann deshalb, weil wir das gar nicht gefordert haben. Stattdessen wollen wir, dass besorgte Eigentümer den Musterbrief der Datenschutzkommission auch weiterhin benutzen können, um an den lokalen Repräsentanten von Google zu schreiben. Ich bin sicher, dass wir bei den laufenden Gesprächen mit Google auf einen gemeinsamen Nenner kommen und ein Ergebnis erzielen werden, bei dem der Bürger kein geringeres Recht erhält.

In Deutschland haben mehr als 244.000 Haushalte allein in den 20 größten Städten und bundesweit mehr als eine Million Haushalte beantragt, ihre Wohnhäuser in dem Google-Dienst unkenntlich zu machen. Wieviele Personen haben in Luxemburg bisher von dem Einspruchsrecht Gebrauch gemacht?

Ich nehme an, dass es mittlerweile rund 300 bis 500 Haushalte sind. Die Motivation hierfür lässt sich den Schreiben entnehmen, die bei der nationalen Datenschutzkommission eingegangen sind: So sorgen sich einige um ihre Kinder, andere erklären, dass es ihnen persönlich zwar egal sei, ob Google-Street-View ihr Heim fotografiert, dass sie jedoch fürchten, ein potenzieller Arbeitgeber könnte sich auf diesem Weg einen Eindruck von den Lebensverhältnissen verschaffen und zum Beispiel eine Bewerbung ablehnen, da der Wohnort des Betreffenden wenig repräsentativ ist. Andere kritisieren die grundsätzliche Regelung, nach der der einzelne Bürger sein Recht reklamieren muss, statt dass es Google auferlegt wird, vor der Aktion die Bewilligungen einzuholen.

Wie beurteilen Sie persönlich die Gefährlichkeit oder Tragweite eines Projekts wie Google-Street-View, verglichen mit Facebook, den I-Phones mit ihren Apps, die ja auch Spionagesoftware enthalten? Und werden auch Sie Ihr Eigenheim pixeln lassen?

Bisher habe ich noch nicht Gebrauch von meinem Widerspruchsrecht gemacht. Aber sicher ist Google-Street-View eine weitere Gefahr, und es gibt viele dieser Gefahren, die durch ihre Kumulation größer werden: Ich hinterlasse Daten, wenn ich mit meiner Kreditkarte einkaufen gehe, ich werde gefilmt von der Kameraüberwachung, die Daten meiner Telefonverbindungen oder kommerzielle Angaben werden in gewissen Datenbanken gespeichert. Dann gibt es die sozialen Netzwerke wie Facebook. Das alles ist des Guten ein wenig zu viel. Deshalb wollen wir auch nicht den Eindruck aufkommen lassen, die Datenschutzbehörde habe es nur mit Google zu tun. Wir wollen noch aktiver werden in puncto Datenschutz-Sensibilisierung. Bisher klären wir Jugendliche in Informatikkursen über die Vor- und Nachteile des Internets auf. Letztlich glaube ich, dass jeder selbst entscheiden muss, welche Daten er preisgibt und ob er eine Unterlassung erwirkt. Die Datenschutzkommission muss dafür sorgen, dass jeder die Rechte nutzen kann, die das Gesetz vorsieht – wie das Widerspruchsrecht.

Inwiefern ist Verhältnismäßigkeit gewahrt, wenn die Datenschutzbehörde einerseits bei Google-Street-View eingreift, andererseits aber bei den biometrischen Pässen, der öffentlichen Kameraüberwachung oder bei vergleichbaren Verwendungen von Häuserfotos ? wie bei Editus vor einigen Jahren ? kaum in Erscheinung tritt?

Wir müssen uns mit allen diesen Fällen auseinandersetzen. Ich glaube, dass wir in unseren Stellungnahmen zu bestimmten Gesetzesprojekten immer kritisch waren und unsere Herangehensweise eine angemessene Antwort auf die Eingriffe in die Privatsphäre ist. Uns war immer wichtig, in den diversen Fragen einen globalen Standpunkt einzunehmen – etwa darauf zu beharren, dass die Videoüberwachung nicht als Allheilmittel gegen Kriminalität angesehen werden darf. Natürlich ist eine ausreichende Polizeipräsenz wichtig, aber genauso sind es die sozialen Maßnahmen.

Welche Herausforderungen sehen sie im Bereich des Datenschutzes?

Die größte Herausforderung ist die schnelle Entwicklung der Technologien. Google-Street-View ist symptomatisch für sie. Wir befinden uns heute nicht mehr ausschließlich in einem nationalen Rahmen, sondern Datenschutz findet auf globaler Ebene statt und sieht sich Datenerhebungen gegenüber, die die ganze Welt umspannen. Ein anderes Thema ist der Stellenwert des Datenschutzes an sich: Datenschutz ist Ende der 70er Jahre entstanden. Wir müssen dieses Schutznetz der Persönlichkeitsrechte kontinuierlich aktualisieren und verhindern, dass es schließlich als ein veraltetes Konzept dargestellt wird. Deshalb sind große Unternehmen wie Google oder Facebook eine große Herausforderung für den Datenschutz, weil sie es sind, die irgenwann propagieren könnten, dass Privatleben an sich ein Wert sei, der der Vergangenheit angehört. Für all die smarten Dienste, die solche großen Unternehmen anbieten und die von den Konsumenten dankbar angenommen werden, sind viele von ihnen bereit, ihre Privatsphäre preiszugeben. An dieser Herausforderung arbeiten wir auf internationaler Ebene. Während aber die Datenschutzbehörden in Europa die Schutzmaßnahmen noch halbwegs umfassend ansetzen, verfahren andere Länder ganz anders. Deshalb ist der Dialog zwischen der alten und der neuen Welt – Amerika und Asien – so, dass uns oft Dinge auferlegt werden, die wir eigentlich nicht wollen. In der Frage, ob die großen Internetfirmen, von denen die wenigsten ihre Wurzeln in Europa haben, sich wirklich mit der Problematik des Datenschutzes auseinandersetzen, neige ich zu vorsichtigem Optimismus. Bisher jedenfalls ist der Dialog zwischen den Konzernen und den Datenschutzbehörden der EU-Staaten noch nicht abgebrochen worden. Aber auch auf lokaler Ebene hat die Datenschutzkommission große Herausforderungen zu meistern, wie etwa die Wahrung der Persönlichkeitsrechte im Bereich der Gesundheitsreform. Hier muss verhindert werden, dass irgendwann die Staatsverwaltung zum Datennetz der persönlichen Krankengeschichten Zugang erhält. Aber auch eine Biobank stellt eine Bedrohung der Privatsphäre dar. Hier müssen wir den richtigen Mittelweg finden, dass wir einerseits der Wissenschaft nicht jede Informationsquelle abgraben, aber andererseits auch nicht den Kranken unkontrollierbaren Interessen preisgeben.

Detaillierte Informationen zu den Kamerafahrten und zum Musterbrief stehen auf folgenden Webseiten:
www.google.lu/streetview, www.cnpd.lu


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