SPANIEN: Die Gewalt der Männer

In Spanien sterben jährlich 70 Frauen durch machistische Gewalt. Für Feministinnen sind die ermordeten Frauen nur der extremste Ausdruck einer Gesellschaft, die – nicht nur in Spanien – weiterhin von Ungleichheit geprägt ist.

Gegen Machismo – nicht nur in Spanien: Demonstration anlässlich des internationalen Tags gegen Gewalt an Frauen am 25. November vergangenen Jahres in Madrid.

56 – Diese Zahl steht für den vorläufigen traurigen Höhepunkt in der diesjährigen Statistik der „violencia de género“ (geschlechtsspezifische Gewalt) in Spanien, wie es sprachlich neutral bezeichnet wird, wenn Männer Frauen angreifen, verprügeln oder töten. Mitte Oktober erstach ein 50-jähriger Mann in der Ortschaft Getafe bei Madrid seine 47-jährige Ehefrau mit einem Messer und tötete sich im Anschluss selbst. Sein Opfer war die 56. Frau, die im laufenden Jahr von ihrem männlichen Partner, Ex-Freund oder „Verehrer“ umgebracht wurde. Damit hat Spanien dieses Jahr bereits Mitte Oktober ein Todesopfer mehr aufgrund machistischer Gewalt zu verzeichnen als im gesamten Jahr 2009. Und täglich gibt es neue Meldungen über versuchte oder vollendete Morde an Frauen, Ende Oktober waren es bereits 58.

„Warum hören die Machos nicht auf zu töten?“, fragte die Tageszeitung „El pais“ Anfang August in einer Überschrift. Tatsächlich scheint es darauf keine einfachen Antworten zu geben. Untersuchungen zeigen zumindest, dass die männlichen Täter keineswegs aus dem Effekt heraus in blinder Eifersucht oder Wut handeln, wie eine beliebte Erklärung lautet. Viele der Morde sind lange vorher geplant. Spanien hat mit dem „Ley Integral contra la Violencia de Género“ im Jahr 2004 eines der umfassendsten Gesetze zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen eingeführt. Damit waren weitreichende Maßnahmen verbunden: die Strafen wurden verschärft, es wurde die Schaffung von 400 neuen Gerichtshöfen für frauenfeindliche Gewalt beschlossen und spezielle staatliche Institutionen wurden eingerichtet. Besondere Regelungen sollen die Opfer davor schützen, neben der erlittenen Gewalt weitere Nachteile hinnehmen zu müssen, beispielsweise durch Lohnausfall oder Kündigung aufgrund häufiger Fehlzeiten. Neu aufgelegte Programme sollen Frauen zudem bessere Möglichkeiten geben, ökonomisch von ihren gewalttätigen Ehemännern unabhängig zu werden. Der Statistik zufolge haben alle diese Maßnahmen wenig ausrichten können: Weiterhin werden im Schnitt jährlich 400.000 Frauen Opfer von häuslicher Gewalt, 120.000 Misshandlungen werden offiziell angezeigt und 70 Frauen überleben die Attacken nicht, so der Regierungsbeauftragte für geschlechtsspezifische Gewalt, Miguel Lorente.

„Das Gesetz von 2004 ist außergewöhnlich und ein großer Schritt nach vorne gewesen“, sagt Isabel Tajahuerce Ángel im Gespräch mit der woxx. Sie arbeitet am Institut für feministische Forschung an der „Universidad Complutense de Madrid“ und ist Vorsitzende des universitären Zusammenschlusses gegen machistische Gewalt „Auvim“. Das Problem sei aber die mangelnde spezialisierte Ausbildung derjenigen, die diese Form der Gewalt bekämpfen sollen. „Es fehlt ein klares Bewusstsein darüber, was machistische Gewalt eigentlich ist. Die beginnt ja nicht erst bei der körperlichen Gewalt“, so Tajahuerce.

Der Kampf gegen die Ungleichheit ist kein einfaches Unterfangen in einem Land, in dem der katholisch geprägte, autoritäre Konservatismus bei einem großen Teil der Gesellschaft noch immer die Werte bestimmt.

Die Professorin hat daher den ersten Studiengang eingerichtet, der Fachkräfte zur Bekämpfung der „violencia de género“ ausbildet. Dabei geht es auch um die Ursachen der Gewalt, die für die Feministin bereits bei der Sozialisation der Kinder beginnt. „Von klein auf werden sie in die Rollen gezwängt: rosa für Mädchen, für Jungs alle Farben – außer rosa. Puppen, Bügelbretter und Mini-Küchen für die Mädchen, Monster und Bausätze für die Jungs.“ In der Schule werde dann die „Welt der Männer“ weiter in den Köpfen verfestigt: „Geschichte erscheint in den Schulbüchern nur als eine Abfolge von Männern, die die Macht innehatten, und anderen Männern, die versucht haben, ihnen diese Macht wegzunehmen. Wir geben das Bild einer Welt weiter, die im Öffentlichen, in der Politik, im Ökonomischen, überall maskulin ist und hier liegt die Basis, auf der die ungleiche Gesellschaft aufgebaut ist“, so Tajahuerce. Für sie ist diese Ungleichheit, die von der Politik, den Medien bis hin zu den „Mädchen, die noch immer glauben, dass die Eifersucht ihres Freundes ein Zeichen seiner Liebe sei“, stetig reproduziert wird, der Ursprung der machistischen Gewalt und zugleich ihre erste Form.

Der Kampf gegen die Ungleichheit ist kein einfaches Unterfangen in einem Land, in dem der katholisch geprägte, autoritäre Konservatismus bei einem großen Teil der Gesellschaft noch immer die Werte bestimmt. Dieses traditionell-reaktionäre Weltbild drückt sich in den großen Demonstrationen gegen die Homo-Ehe ebenso aus wie in den Kampagnen gegen das Recht auf Abtreibung. Die Verneinung des Abtreibungsrechts und die machistische Gewalt haben dabei dieselbe Grundlage: Frauen wird das Recht abgesprochen, über ihren Körper und ihr Leben frei zu entscheiden. Dass es nur ein kleiner Schritt ist von den Kampagnen gegen Abtreibungen hin zur direkten körperlichen oder sexualisierten Gewalt, zeigte beispielhaft der Erzbischof von Granada, Javier Martínez, im Dezember vergangenen Jahres. „Ein wehrloses Kind zu töten, und wenn es dazu noch die eigene Mutter tut, gibt den Männern die uneingeschränkte Erlaubnis, ohne Grenzen, ihren Körper zu missbrauchen“, hatte Martínez während der Sonntagsmesse erklärt.

Die zuständige Bischofsvertretung sah keinen Grund, sich für die Äußerungen zu entschuldigen. Ganz im Gegenteil: Wenn eine Frau fähig sei, ihr eigenes Kind zu töten, dürfe der Mann mit ihr und ihrem Körper machen, was er wolle, so die offizielle Mitteilung. Tajahuerce fordert, solche Aussagen bereits als Teil der machistischen Gewalt zu begreifen: „Natürlich sind die Morde das gravierendste Problem, aber die machistische Gewalt ist ja viel mehr als das.“ Die machistischen Strukturen in der Gesellschaft und die geschlechtsspezifische Diskriminierung, wie bei der Entlohnung oder der Vergabe einflussreicher Ämter in Wirtschaft und Politik, gehörten ebenfalls dazu.

Auch die Frauen, die es doch in die Politik schaffen, bleiben mit dieser Form der Gewalt konfrontiert: Als etwa vor zwei Wochen die Sozialdemokratin Leire Pajín zur Ministerin für Gesundheit, Sozialpolitik und Gleichheit ernannt wurde, erklärte Javier León de la Riva, Bürgermeister von Valladolid und Mitglied der konservativen Partido Popular, in einem Radiointerview: „Jedes Mal wenn ich dieses Gesicht und diese Lippen sehe, denke ich nur an das Eine.“ Bereits im vergangenen Jahr, als Pajín Parteisekretärin der sozialistischen Regierungspartei PSOE war, schrieb Antonio Burgos, ein bekannter Schriftsteller und Journalist, in der rechtskonservativen Tageszeitung „ABC“, dass sie „ein Gesicht wie eine Pornodarstellerin habe, aber eine der verdorbenen Sorte“. Die Frau, die sich solche Äußerungen in der Öffentlichkeit anhören musste, soll nun die Gleichstellung vorantreiben. Dies unter erschwerten Bedingungen, denn genau zu ihrem Amtsantritt wurde das Gleichstellungsministerium nach nur zweijährigem Bestehen wieder geschlossen und mit dem Gesundheitsministerium zusammengelegt. „Die Schließung des Ministeriums ist ein schwerwiegender Fehler gewesen“, betont auch Isabel Tajahuerce. Vor allem würden dadurch diejenigen bestätigt, die von Beginn an gegen das Ministerium gekämpft haben.

Indes ist eine reaktionäre Bewegung gegen den Kampf um Gleichheit entstanden. Mehrere Vereinigungen machen gegen die „Diskriminierung“ der Männer mobil und sehen in Institutionen wie dem „Ley Integral“ oder dem Gleichheitsministerium eine Bevormundung der Frauen sowie eine Bedrohung der Familie. Die Vertreter dieser Vereinigungen verneinen dabei nicht die Existenz machistischer Gewalt, sondern kritisieren vor allem die Maßnahmen dagegen und die Bedeutung, die dem Thema zugemessen wird. Das beliebteste Instrument dieses sogenannten „neomachismo“ ist die Behauptung, dass der Großteil der Anzeigen wegen häuslicher Gewalt aus falschen Anschuldigungen bestünde. Auch in den Tageszeitungen kann man immer wieder empathische Geschichten von verzweifelten Männern lesen, die aufgrund gerichtlicher Auflagen ihre Kinder nicht mehr sehen dürften oder sich nicht mehr frei bewegen könnten, da sie mindestens 500 Meter Abstand zum Haus ihrer (Ex-)Frau halten müssen. Währenddessen stirbt jede Woche eine Frau durch die Hände ihres gegenwärtigen oder ehemaligen Partners.

Migrantinnen sind dabei besonders stark betroffen. Sie stellen ein Drittel der Opfer machistischer Gewalt dar. Dramatisch ist diese Situation vor allem für Frauen ohne gültige Aufenthaltserlaubnis. Aus Angst vor Abschiebung zeigen sie die Täter nur selten an. Und ihre Sorge vor polizeilicher Repression ist nicht unbegründet, wie ein Fall aus Italien zeigt. Polizisten hatten Ende Juli in Bologna in letzter Minute die Vergewaltigung einer 23-jährigen Nigerianerin verhindert. Auf der Wache stellten sie dann fest, dass das Opfer keine Aufenthaltspapiere besaß. Daraufhin wurde die junge Frau in Abschiebehaft genommen und kurz darauf nach Nigeria abgeschoben. Von dort war sie fünf Jahre zuvor geflohen, weil ein Gericht sie zum Tode verurteilt hatte. Sie hatte in Notwehr ihren Chef getötet, als der versucht hatte, sie zu vergewaltigen. Auch in Spanien besteht die Gefahr der Ausweisung, wenn illegalisierte Migrantinnen machistische Gewalt anzeigen, wie das spanische Flüchtlingshilfswerk Cear und Amnesty International in der Vergangenheit mehrfach kritisierten.

Erschreckender als die Zahlen der ermordeten Frauen in Spanien ist allein die Tatsache, dass das Land im europäischen Vergleich keineswegs an der Spitze steht. Mit 2,81 Opfern pro Million Einwohnerinnen, die von ihren Partnern umgebracht wurden, liegt Spanien sogar noch unter dem europäischen Durchschnitt von 3,94, wie eine internationale Studie über Gewalt gegen Frauen für das Jahr 2006 zeigt. In Zypern, Österreich und Finnland ist die Rate demnach am höchsten, Luxemburg nimmt mit 5,09 den neunten Platz ein. „Der große Vorteil in Spanien ist, dass durch das Gesetz von 2004 das Problem sichtbar gemacht wurde und die Leute darüber reden“, erklärt Isabel Tajahuerce. Gewalt gegen Frauen existiere aber in allen Gesellschaften, Kulturen und sozialen Schichten, da sie eine Folge des patriarchalen Modells sei. „Erst wenn man die tatsächliche Ausbreitung und die dahinter stehenden Mechanismen begreift, wird man die Gewalt beenden können.“

Thorsten Mense ist freier Journalist und berichtet für die woxx aus Südamerika und Spanien.


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