BESTATTUNGEN: Die letzte Reise

Lange war die Einäscherung ein Tabu in Luxemburg. Mittlerweile entscheidet sich mehr als ein Drittel der Bevölkerung für diese Bestattungsform.

Cognac für den Verstorbenen oder doch eher für die Hinterbliebenen?

„Dies ist ein Ort des Friedens und der Besinnung“, heißt es auf dem Hinweisschild vor einem schmalen Weg, der in eine überschaubare Parkanlage führt. Gleich hinter aufgeschütteten Erdhügeln befindet sich ein kleiner Tümpel, dessen Ufer komplett von abgestellten frischen Blumengestecken umrahmt ist. Und was wie Schnee aussieht auf der dahinter liegenden, kurz geschnittenen Rasenfläche – ist Asche.

Hier in Hamm befindet sich das einzige Krematorium des Landes und, daran angrenzend, eine „Streuwiese“, deren es allerdings mehrere in Luxemburg gibt. Es könnte besinnlich sein im so genannten „jardin du souvenir“, wäre die Anlage nicht so klein und der Lärmpegel so hoch, mit der Schnellstrasse gleich hinter den Büschen und den ab- und aufsteigenden Flugzeuge in der Findel-Flugschneise.

Nichtsdestotrotz ist das Krematorium in Hamm eine Errungenschaft auf dem Gebiet des Bestattens. Denn das Verfahren der Einäscherung war in Luxemburg lange unmöglich. Insbesondere die heutige asbl „Flamma – Société pour la propagation de l’incinération“, die letzte Woche ihre Generalversammlung hatte, hat auf diesem Gebiet Pionierarbeit geleistet: Als sie vor rund hundert Jahren am 20. Oktober 1906 vom Hollericher Bürgermeister und überzeugten Freidenker Arthur Daubenfeld gegründet wurde, war es in der Luxemburger Gesellschaft normal, dass man bei seinem Tod in der Erde oder einer Gruft bestattet wurde. Insbesondere die katholische Kirche hatte die Einäscherung, die lange auch in Mitteleuropa gebräuchlich war und nicht nur zu Zeiten der großen Epidemien wie Pest, Cholera oder Pocken praktiziert wurde, nach anfänglicher Duldung verboten. Der Grund für die Ablehnung der Feuerbestattung lag in einem engen, wörtlichen Verständnis der Auferstehung der Toten: Wenn der Körper des Verstorbenen bei der Auferstehung wieder zum Leben erweckt würde, bedeute es eine Missachtung Gottes, den Körper durch Feuer zu zerstören.

Jene, die sich Anfang des 20. Jahrhunderts einäschern lassen wollten, mussten damals das Verfahren selbst organisieren, denn es gab kein Krematorium und kaum Bestattungsfirmen. „Zu der Zeit wurde Kontakt mit dem Krematorium in Mainz, später mit Straßburg und Liège aufgenommen. Ein Unternehmer wurde gefunden für den Transport. Die Einäscherung wurde durch die Beiträge der Mitglieder finanziert“, erzählt der heutige Präsident der Flamma, Aloyse Schmitz. Dabei entwickelte sich die Flamma in einer Zeit, als sich viele Vereine gründeten, die teils von gewerkschaftlichen Gedanken oder von liberalen und demokratischen Bürgeridealen inspiriert waren und die sich der klerikalen Vormacht widersetzten. Auch Flamma musste sich lange gegen stereotype Vorwürfe wehren: ihre Mitglieder seien schlechte Christen, die einem internationalen freimaurerischen Komplott angehörten, der sich gegen die katholische Kirche in Luxemburg richte. Doch die Organisation ließ sich nicht einschüchtern und wandte sich am 18. Januar 1949 gar an die UNO, damit international das Recht auf Einäscherung anerkannt wird.

Jene, die sich Anfang des 20. Jahrhunderts einäschern lassen wollten, mussten das Verfahren selbst organisieren, denn es gab kein Krematorium.

Erst mit dem Gesetz vom 1. August 1972 hat der luxemburgische Staat der Einäscherung den gleichen Status zugebilligt wie dem Begräbnis – nachdem die katholische Kirche in einem Dekret von 1963 anerkannt hat, dass „die Einäscherung des Körpers nicht die Seele tangiert und somit die göttliche Kraft nicht daran hindere den Körper wieder zu erschaffen“. Und erst 1995 kam es aufgrund des Engagements des Flamma-Präsidenten und Anwalts Jean Gremling zur Schaffung des Krematoriums in Hamm. Diese Infrastruktur, die über zwei moderne Einäscherungsöfen verfügt, wird heute von einer öffentlichen, unabhängigen interkommunalen Einrichtung, dem „Syndicat intercommunal pour la construction et l’exploitation d’un crématorium“ (SICEC) verwaltet.

Die Einäscherung scheint somit kein Tabu mehr zu sein: Flamma ist von einer eher elitären Vereinigung zu einer Dienstleistungsgesellschaft mit über 15.000 Mitgliedern angewachsen, mit der nun auch private Unternehmer konkurrieren. Denn immerhin wählen heute rund 35 Prozent der Luxemburger Bevölkerung den Weg der Feuerbestattung.

Auch die Kirche gibt sich mittlerweile in dieser Frage moderater: „Für die Kirche ist die Einäscherung kein Thema mehr. Die Betroffenen entscheiden, wie sie sich ihre Bestattung wünschen und wir akzeptieren diese Entscheidung“, meint Théo Péporté, Pressesprecher des Erzbistums. Auch wenn früher die Gräberfelder oft um die Kirche waren, hätten die heutigen Gemeindefriedhöfe nur noch wenig mit der Kirche zu tun. „Die Gemeinde ist zuständig für die Gräberkonzessionen – unabhängig von der Religionszugehörigkeit“, so Péporté. Einzig an Allerheiligen bei der Gräbersegnung sei die Kirche auf dem Gemeindeterritorium präsent.

Die starke Zunahme der Feuerbestattungen ist vorwiegend praktischer Art: Die Einäscherung erscheint hygienischer. Die Schadstoffbelastung des Bodens ist gering, die des Klimas aufgrund des Kohlendioxid-Ausstoßes dagegen höher. Eine Feuerbestattung gilt als weniger kostenaufwendig als eine traditionelle Beisetzungsform, obwohl die Gesamtkosten auch von den zusätzlich gewählten Dienstleistungen abhängen. „Wenn ich meine Asche streuen lasse ohne Zeremonie, dann muss ich in der Stadt Luxemburg eine einmalige Gebühr von 50 Euro bezahlen“, sagt Jean-Claude Frisch, zuständig für die Friedhofs-Konzessionen der Gemeinde Luxemburg. Die Konzession auf dreißig Jahre für einen Kolumbariumstellplatz belaufe sich auf 450 Euro, ein Grab hingegen koste 600 Euro.

Ein weiterer Grund, warum viele Angehörige sich für die Einäscherung entscheiden, ist das Argument, dann hätten die Angehörigen weniger Mühe mit der Grabpflege. Ebenso können ganz konkrete Ursachen eine Rolle spielen. So können die Toten in verschiedenen Gemeinden wie etwa Olm oder Kehlen aufgrund der geologischen Beschaffenheit des Bodens nicht mehr begraben werden. Hier bietet sich die Einäscherung als Alternative.

Obwohl sich in Europa die vorgebrachten Gründe für die Feuerbestattung insgesamt ähneln, sind die Regelungen, was danach mit der Urne oder der Asche geschehen kann, nach wie vor sehr unterschiedlich. So gibt es in verschiedenen Regionen Friedhofszwang. Das heißt, die Urne muss auf einem Friedhof beigesetzt werden. In anderen Gegenden kann die Asche auf einer ausgewiesenen Aschenfeld gestreut werden. Es gibt die Baum- oder Naturbestattung, die See- oder Luftbestattung oder gar Extravaganzen wie eine Diamantenverarbeitung. Hier wird der verbliebene Kohlenstoff der Asche unter sehr hohem Druck und hohen Temperaturen zu Diamanten verarbeitet, die in verschiedenen Schliffarten und Karatstärken angeboten werden.

„Bis Anfang der siebziger Jahre konnte man in Luxemburg die Urnen mit nach Hause nehmen“, erinnert sich Aloyse Schmitz. Erst das Gesetz von 1972 habe festgelegt, dass Aschen auf vorgesehenen Plätzen gestreut oder in der Urne in einem Familiengrab oder einem Kolumbarium beigesetzt werden müssen. Jedoch bestehe ebenso die Möglichkeit, die Aschen im eigenen Wald oder dem eigenen Garten zu streuen. „Im réglement grand-ducal sei vorgesehen, dass in einem solchen Fall der Bürgermeister sein Einverständnis geben muss“, so Schmitz. Dies sei meistens unproblematisch, solange sich ein Anwesen außerhalb einer Gemeinde befinde. „Wir fordern dagegen, dass es erlaubt werden müsse, die Asche nicht nur auf Aschenfelder zu streuen, sondern ohne Urne bestatten zu können,“ sagt Schmitz. Hier strebt Flamma eine Gesetzesänderung an.

Bis Anfang der siebziger Jahre konnte man in Luxemburg die Urnen auch mit nach Hause nehmen, es gab keine strikten Kontrollen.

Neben den Bestattungsformen haben sich in den letzten Jahren die Begräbniszeremonien ebenfalls gewandelt. Es ist möglich, eine weltliche Trauerfeier, die von einem freiberuflichen Trauerredner oder dem Redner einer Weltanschauungsgemeinschaft geleitet wird, zu organisieren. „Zivile Bestattungen gab es schon immer. Sie haben seit dem zweiten Weltkrieg zugenommen, als immer weniger Leute dem christlichen Glauben angehörten“, meint Jean-Claude Frisch. Falls eine weltliche Zeremonie erwünscht sei, müsse ein Mitglied des Gemeinderates einspringen. „Die Redner haben keine spezielle Ausbildung, sondern stützen sich auf schriftliche Vorlagen“, so Frisch.

Insgesamt ist das „Bestattungsgewerbe“ stark im Umbruch: Es kam einerseits zu einer Öffnung und Individualisierung der Möglichkeiten von Bestattung ? andererseits aber auch zu einer Kommerzialisierung. Tote werden heute nicht mehr daheim aufgebahrt, viele sterben in Krankenhäusern und Heimen. Die Totengräber wurden durch Dienstleister ersetzt. Das Geschäft um das Sterben bleibt eben nicht verschont vom Kampf um Kunden. Der Tod ist zu einem lukrativen Business geworden. Medienpräsent sind nicht nur bunte Särge in jeglichen Formen, sondern auch Grabsteine mit eingebauten Lautsprechern oder Beerdigungen im Weltall – für jene die es sich leisten können und wollen. Für die andern regelt die Nachfrage den Markt: Zumindest bei unseren deutschen Nachbarn erobern auch Billiganbieter das Bestattungswesen. So hat etwa die Berliner Firma „Berolina Sarg-Discount“ ein Tabu gebrochen: Die 1983 gegründete Firma wirbt mit günstigen Pauschalangeboten und abgespeckten Trauerfeiern nach dem Motto: „Schnell und preiswert“. Hierzu schickt der Firmeninhaber täglich Kleintransporter mit Toten in Billigsärgen im Laderaum auf eine 400 Kilometer lange Reise in ein Krematorium nach Tschechien, um noch am selben Tag mit den Urnen wieder zurück zu kehren. Die Globalisierung macht eben auch nicht vor dem Bestatten halt.


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