KENIA: „Es geht um Reiche und Habenichtse“

Wahu Kaara weilte diese Woche auf Einladung der ASTM in Luxemburg. Die Vorsitzende des Kenya Debt Relief Network kandidierte bei den Wahlen im Dezember, deren Ergebnis die gewalttätigen Unruhen auslöste.

Was hat die Situation in Kenia zum kochen gebracht?

Wir sprechen von einem „backlash“, einer Wiederkehr der ungelösten grundsätzlichen Probleme, die Kenia seit seiner kolonialen Vergangenheit kennt. Dieser backlash ist die Folge der Entmündigung der Mehrheit der Kenianer. Ein Zustand, der von den britischen Kolonialherren initiiert und anschließend von der afrikanischen Führungselite perfektioniert wurde.

Trifft die Darstellung zu, wonach vor allem unterschiedliche Volksgruppen sich gegenseitig bekämpfen?

Es stimmt, dass die Übergriffe sich entlang ethnischer Grenzlinien darstellen lassen. Aber diese Gruppen stehen auch jeweils für die Politik, die von einzelnen Führern in der Vergangenheit verfolgt wurde. So stehen die Kikuyus für Kenyatta, die Kalenjins für Arap Moi. Wenn die Gruppen sich gegenseitig angreifen, dann bedeutet das ein Aufeinanderprallen von Interessen, die unser Land jahrzehntelang politisch, wirtschaftlich und sozial in die Irre geführt haben. Die führende Elite benutzt diese Gruppen, um ihre Konflikte untereinander auszufechten.

Wieso funktioniert dieses Prinzip des „teile und herrsche“ immer wieder?

Vor allem, weil vielen nicht bewusst ist, dass es um einen Konflikt zwischen den Reichen und den Habenichtsen geht. Die Reichen, genau wie die Armen, kommen aus allen Ethnien. Die Reichen der unterschiedlichen Gruppen leben in schönster Harmonie untereinander. Die Habenichtse leben auch zusammen – allerdings in Slums. Nur macht man ihnen weis, dass ihre Schwierigkeiten einzig auf die ethnische Zugehörigkeit des jeweiligen Präsidenten zurückzuführen seien.

Welche Möglichkeiten haben die Basisorganisationen, um sich dem entgegenzustellen?

Die „grassroots“-Bewegung sieht dem Ganzen nicht tatenlos zu. Es gibt einen ganzen Wirtschaftszweig, von dem niemand spricht, der aber für das Leben der Menschen ausschlaggebend ist: die informelle Solidarwirtschaft. Sie erfasst alle jene Menschen, die von der Marktwirtschaft ausgeschlossen sind. Die Globalisierung hat den Trend zum Ausschluss großer Teile der Bevölkerung noch verstärkt. Die informelle Wirtschaft hingegen schließt niemanden aus. Hier sehen wir als soziale Bewegung eine Alternative.

Lässt man dem informellen Sektor denn überhaupt eine Chance?

Natürlich versucht man uns zu unterdrücken. Aber, wie das Beispiel der Frauenbewegung in Kenia zeigt, wird immer wieder mit neuen Ideen versucht, der Lebenssituation der Menschen gerecht zu werden. Manche Modelle, wie das Kleinkreditwesen, werden ja mittlerweile von großen internationalen Institutionen nachgeahmt. Spätestens seit die sozialen Grunddienste im Rahmen der so genannten Strukturanpassungsprogramme ausgedörrt wurden, hat sich ein System der sozialen Versorgung auf Basis der gegenseitigen direkten Solidarität etabliert.

Gibt es eine Perspektive für politische Reformen?

Mich stimmt optimistisch, dass der Konflikt in Kenia weniger mit dem Wahlausgang von 2007 zu tun hat, als mit der Ausgestaltung der Übergangszeit, die wir jetzt brauchen. Wir müssen herausfinden, welches für Kenia der richtige Weg ist. Es geht darum, bis zum Wahlgang 2012 ein neue Verfassung in Kraft zu setzen, die nicht in britischen Amtsstuben geschrieben wurde. Das Gerüst dazu steht: Schon 2004 wurde die „Bomas Draft“ unter Beteiligung der Zivilgesellschaft verabschiedet. Die politische Elite hat immer wieder versucht, diese Vorschläge von der Tagesordnung zu streichen – jetzt müssen sie diese endgültig zur Kenntnis nehmen.


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